Das altägyptische Aschenputtel (Roxane Bicker)

Aschenputtel von der Antike bis heute

„Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ – für viele gehört dieser tschechische Märchenfilm von 1973 zur Vorweihnachtszeit wie Adventskranz, Glühwein und Lebkuchen. Zahlreiche Interpretationen und Abwandlungen hat das Aschenputtel-Märchen schon erfahren, bis hin zur Disney-Umsetzung als Cinderella mit Kürbiskutsche. Das Grundmotiv reicht zurück bis in das alte Ägypten und zu Herodot, der allgemein als „Vater der Geschichtsschreibung“ gilt.

Herodot über die Hetäre Rhodopis

Er unternahm um 450 v. Chr. ausgedehnte Reisen und schrieb in seinen „Historien“ die Geschichte der Welt nieder. Dabei bereiste er – natürlich – auch Ägypten und ließ sich von den dortigen Reiseführern allerlei Geschichten aufbinden, die er dann als Tatsachen niederschrieb. Herodots Schilderungen sind also mit Vorsicht zu genießen. Er gibt auch allerlei Legenden wieder, eine davon bezieht sich auf die kleinste der drei Pyramiden von Gizeh (die Mykerinos-Pyramide). Im 2. Buch seiner Historien schreibt er:

„[…] Die sei, wie einige der Griechen sagen, die der Hetäre Rhodopis, doch sagen sie dies nicht zu Recht. Diejenigen, die das behaupten, scheinen mir offensichtlich überhaupt nicht zu wissen, wer diese Rhodopis wirklich war […], zudem fiel die Lebensmitte der Rhodopis in die Zeit, als Amasis König war und nicht in die Zeit von diesem.“ (Historien, 2. Buch, 134, 2)1

Als Herkunft dieser Rhodopis gibt Herodot an, dass sie eine thrakische Sklavin sei (Mitsklavin des Aesop, der mit den Fabeln, aber das ist eine andere Geschichte), die nach Ägypten kam, dort freigekauft wurde (von einem gewissen Charaxos, dem Bruder der Dichterin Sappho, noch eine andere Geschichte). Rhodopis erreichte einen gewissen Wohlstand und spendete einen Teil ihres Vermögens an das Orakel von Delphi. Herodot ordnet sie in die Zeit des Amasis ein, dem fünften Herrscher der 26. Dynastie, der von 570 bis 526 v. Chr. über Ägypten herrschte.

Aschenputtel
Siegel mit Kartusche des Amasis
ÄS 1418
(c) Staatliches Museum Ägyptischer Kunst München, Foto: Marianne Franke

Strabon und der verlorene Schuh

Ein weiteres Mal begegnet uns Rhodopis, diesmal in der Geographica des Strabon. Strabon unternahm 25/24 v. Chr. Eine Ägyptenreise und schrieb später seine 17-bändige Geographica. Auch er nimmt Bezug auf die Pyramidenlegende und greift auch die Verbindung zu Sappho auf:

„Die Pyramide wird „das Grab der Hetäre“ genannt – das von ihren Liebhabern errichtet sein soll –, der Hetäre, die Sappho, die Liederdichterin, Doricha nennt und die die Geliebte ihres Bruders Charaxos war, der als Kaufmann Lesbischen Wein nach Naukratis zu bringen pflegte; Andere dagegen nennen sie Rhodopis. Man fabelt, dass, als sie sich badete, ein Adler ihrer Dienerin einen ihrer Schuhe entriss, nach Memphis brachte und, als der dem König, der im Freien zu Gericht saß, zu Häupten war, ihm den Schuh in den Schoß fallen ließ; dieser, sowohl durch die Form des Schuhs als durch das Wunderbare des Vorfalls dazu ermuntert, habe im Lande umhergeschickt, um nach der Frau zu suchen, die diesen Schuh trug, und als sie in der Stadt der Naukratiter gefunden worden war, habe man sie zu ihm gebracht und sie sei die Frau des Königs geworden; als sie gestorben war, habe sie besagtes Grab bekommen.“ (Buch 17, Kapitel 1, 33)2

Und hier kommt mit dem verlorenen Schuh und der Heirat mit dem König das erste Mal das Aschenputtel-Motiv auf. Interessanterweise zweifelt Strabo den Pyramidenbau für Rhodopis nicht an. Eine zeitliche Einordnung nimmt er nicht vor.

Aelian über den Schuh der Rhodopis

Ein drittes Mal begegnet uns Rhodopis. Diesmal in den Schriften des Aelian (~200)

„Die ägyptische Buhlerin Rhodopis soll sehr schön gewesen sein. Als sie einst im Bade war, bereitete ihr das Glück, welches so gerne das Unvermutete und Unerwartete herbeiführt, eine zwar nicht ihrem Charakter, aber doch ihrer Schönheit angemessene Auszeichnung. Während sie sich im Bade befand und ihre Dienerinnen ihre Kleider hüteten, schoss ein Adler herab, nahm einen ihrer Schuhe weg, flog damit fort bis nach Memphis, und ließ ihn dort dem Psammetich, der eben zu Gericht saß, in den Schoß fallen. Die schöne Form des Schuhes und die niedliche Arbeit daran setzten den Psammetich eben so sehr in Bewunderung, als das, was der Raubvogel getan; er gab daher Befehl, in ganz Ägypten nach der Eigentümerin des Schuhs zu forschen. Sie fand sich, und er nahm sie zur Gemahlin.“ (Varia historia, Buch 13, Kapitel 33)3

Von den Pyramiden ist hier nun keine Rede mehr, auch nicht von Sappho, doch haben wir hier wieder einen Pharao namentlich genannt – Psammetich, wohl Psammetich I., der Negründer der 26. Dynastie, der von 664 bis 610 v. Chr. regierte, rund hundert Jahre vor dem von Herodot genannten Amasis.

Originär altägyptische Quellen lassen uns bezüglich der Geschichte der Rhodopis leider im Stich, in ihnen finden wir keine diesbezügliche Erzählung.

Rhodopis‘ Nachleben im englischsprachigen Raum

Gerade im englischen Sprachraum finden sich zahlreiche Neuerzählungen des altägyptischen Aschenputtels. Olive Beaupré Miller griff die griechischen Überlieferungen auf und verwob sie mit den anderen Cinderella-Überlieferungen zu einem altägyptischen Märchen für Kinder, dass auch heute im englischsprachigen Raum tradiert wird. Allerdings ohne Pyramiden. Und natürlich ohne zu erwähnen, dass Rhodopis eine Hetäre war.

Ausgewählte Erzählungen

Olive Beaupré Miller, editor. Through Fairy Halls of My Bookhouse, 1920 (surlalunefairytales.com/a-g/cinderella)

Shirley Climo, The Egyptian Cinderella, 1992

Jill O’Sullivan, Rhodopis, A fairy tale from Egypt, 2013

Über Roxane Bicker

Roxane Bicker ist Museumspädagogy im Staatlichen Museum Ägyptischer Kunst in München und außerdem Fantasyautory. Wenn Ihr mehr über Roxane erfahren möchtet, hört Euch gerne unsere gemeinsame Podcast-Sendung über Ägyptologie und Urban Fantasy an.

Aschenputtel
Photo: Michael Kleu
GastautorIn

Anmerkungen

  1. Übersetzung nach: Kai Brodersen: Herodot, Historien, Zweites Buch, Griechisch/Deutsch. Philipp Reclam jun., Stuttgart 2005.
  2. Übersetzung nach Stefan Radt: Strabons Geographika. Band 4: Buch XIV–XVII: Text und Übersetzung. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2005.
  3. Übersetzung nach Christian Gottlieb Wunderlich, Friedrich Jacobs: Claudius Aelianus Werke. Neun Bändchen, Stuttgart (Metzler) 1839, grammatikalisch angepasst.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

* Bitte stimme den Datenschutzbestimmungen zu.

Betrieben von WordPress | Theme: Baskerville 2 von Anders Noren.

Nach oben ↑