Was ist „Perry Rhodan“?
Bei Perry Rhodan handelt es sich um eine deutsche Science Fiction-Serie, die seit 1961 wöchentlich als Romanheft erscheint und somit wohl „die umfangreichste und am längsten laufende Fortsetzungsgeschichte der Welt“ darstellen dürfte, wie Chefredakteur Klaus N. Frick anlässlich eines Jubiläums einmal niederschrieb. Neben den mittlerweile über 3.000 Romanheften gibt es noch weitere Veröffentlichungen wie Romane, Hörbücher, Sonderreihen und Miniserien.
Im Zentrum der Erzählungen steht ein Raumfahrer namens Perry Rhodan, der im Jahr 1971 bei der ersten menschlichen Mondlandung auf das außerirdische Volk der Arkoniden trifft und fortan vielerlei Abenteuer auf zahlreichen Welten erlebt. Da sich dabei u.a. herausstellt, dass das sagenumwobene Atlantis eine arkonidische Kolonie gewesen ist, wird es höchste Zeit, Perry Rhodan aus Perspektive der Antikenrezeption näher unter die Lupe zu nehmen.
Als Einstieg in die Thematik soll uns dabei die aktuelle Miniserie „Atlantis“ dienen, die von März bis August 2022 in 12 Teilen erschien und deren erster Band den Titel Im Land der Sternengötter trägt.
Wovon handelt die Miniserie „Atlantis“?
Wir schreiben das Jahr 2.069 NGZ (Neue galaktische Zeitrechnung), was dem Jahr 5.656 n.Chr. unserer Zeitrechnung entspricht. Auf dem Grund des Atlantiks befindet sich eine Unterwasserkuppel, die als eines von wenigen Gebäuden den Untergang von Atlantis überstanden hat.1
Der aristokratische Arkonide Atlan, nach dem der untergegangene Kontinent benannt war, hat als einziger die Katastrophe überstanden und mehrere tausend Jahre in dieser Kuppel verbracht, bevor er sich den Menschen schließlich zu erkennen gab und zum besten Freund Perry Rhodans wurde.2
Da Atlan die Unterseekuppel nicht mehr benötigt, hat er zugestimmt, das uralte Gebäude in ein Museum umzuwandeln. Bei der Eröffnungsfeier kommt es jedoch zu einem schwerwiegenden Zwischenfall, als eine Frau namens Rowena erscheint, die zunächst Atlan niederschießt und dann ein mysteriöses Objekt zurücklässt, bevor sie wieder durch ein Portal verschwindet.
Perry Rhodan und seine Frau Sichu Dorksteiger verfolgen Rowena durch das Portal und reisen dadurch beinahe 14.000 Jahre in die Vergangenheit und wohnen nun um 8.000 v.Chr. der Gründung von Atlantis bei.
Mehr möchte ich an dieser Stelle nicht über die Handlung sagen, um möglichen zukünftigen Leser*innen nicht den Spaß an der Geschichte zu nehmen. Vielmehr konzentriere ich mich im Folgenden auf die Informationen, die die Miniserie über Atlantis liefert.
Die Geographie von Atlantis
Entsprechend der gewöhnlichen Lokalisierung von Atlantis platziert auch das Perry Rhodan-Universum die Insel im Atlantik. Ganz konkret wird Atlantis mit den Azoren in Verbindung gebracht, die in der Welt Perry Rhodans das letzte Überbleibsel der untergegangenen Landmasse darstellen. Dementsprechend handelt es sich bei den Azoreninseln São Miguel und Pico um die Gipfel atlantischer Berge.3
Heft 1 der Minireihe beginnt mit einer Landkarte, die die Leser*innen mit den geographischen Gegebenheiten von Atlantis vertraut macht, ohne hinsichtlich der Antikenrezeption weiter von Belang zu sein.
Elefanten und Schmetterlinge
Während Platon, auf den sämtliche Überlieferungen zu Atlantis letztlich zurückzuführen sind, in seiner Beschreibung der Landmasse von Elefanten spricht, befinden sich auch auf dem Atlantis des Perry Rhodan-Universums im Rahmen einer wie bei Platon äußerst üppigen Flora und Fauna u.a. auch Mastodonten.4 Übrigens ist Atlantis bei Perry Rhodan auch seit Urzeiten als Talanis bekannt, die Insel der Schmetterlinge.5
Die Bewohner von Atlantis bis zu seinem Untergang
Die Arkoniden haben kurz nach Ende der Eiszeit die Erde erreicht und den Menschen Kultur gebracht, wobei sie auch die Kolonie auf Atlantis errichten. Die Menschen dieser Zeit kennen noch keine Metallverarbeitung und teilweise noch nicht einmal Pfeil und Bogen.6
In Wahrheit handelt es sich bei diesen Menschen, die von den Arkoniden als Wilde wahrgenommen werden, um die Nachfahren der Lemurer, die wiederum die ersten menschlichen Raumfahrer waren und die Vorfahren von Arkoniden und Terranern sind, aufgrund diverser Umstände zivilisatorisch später jedoch wieder völlig zurückgefallen waren.7
Jedenfalls leben Arkoniden und Menschen nur fünf Jahre lang gemeinsam auf Atlantis, da die Insel schon im Jahr 8.000 v.Chr. einer interuniversalen Überlappungsfront zum Opfer fällt.8
Jedoch sind wir damit noch nicht beim ersten intelligenten Leben auf dem blauen Planeten angekommen. Denn bereits 200.000 Jahre zuvor unterhielten die außerirdischen Takerer eine Forschungsstation auf der Erde.9
Und das oben angesprochene Portal, das sich unterhalb von Atlans Kuppel befindet, ist stolze 20 Millionen Jahre alt und geht auf eine Superintelligenz namens Archetim zurück.10
Die Ursprünge der menschlichen Mythologie
Die griechische Mythologie
Die gerade erwähnten Takerer, die vor ewa 200.000 Jahren eine Forschungseinrichtung auf der Erde unterhielten, haben einen größeren Einfluss hinterlassen als ihnen vermutlich selbst bewusst war. Denn nicht nur, dass ihre Genexperimente die frühe (Vor-)Menschheit beeinflusste. Mit den Konos schufen sie auch Mischwesen wie die Zyklopen und Zentauren, die sich für lange Zeit im kollektiven Bewusstsein der Menschheit festsetzen und schließlich in die griechische Mythologe übergehen sollten.11
In diesem Kontext erfahren wir auch von einer Figur namens Kronos, die der Mythologie der Menschen von Atlantis entstammt und deren Name sich laut Perry Rhodans Überlegungen vermutlich von den ähnlich klingenden genetisch geschaffenen Mischwesen ableitet. Dieser Kronos, den die Griechen dann später zum Vater des Zeus umdeuteten, zog jedenfalls laut der Vorstellung der Atlanter mit einem Heer von Zentauren gegen seinen Erzfeind, eine Gottheit namens Vrouhtou.12 Bei Vrouhtou scheint es sich um eine Abwandlung des Namens Vhrato zu handeln, einer Rettergestalt aus dem Kontext einer arkonidischen Sage um 12 Heroen, auf was innerhalb des Perry Rhodan-Universums dann wohl die große Bedeutung der Zahl 12 innerhalb diverser menschlicher Kulturen zurückzuführen ist. Nach einem dieser Heroen, Tran-Atlan, ist Atlan benannt, von dem sich wiederum die Bezeichnung Atlantis ableitet.
Die Atlanter verstehen Kronos als Schöpfer der Mischwesen (Konos). So habe er auch die Dämonin Midus geschaffen, die „mit ihrem Geheul arme Seelen in steinerne Sklaven verwandelt“, womit die Erzählung ganz offensichtlich die Figuren Midas und Medusa miteinander vermischt.13
Außerdem gibt es noch die Göttin Gia, die in einem als Weltenschoß bezeichneten Tal die Erde und alle Lebewesen geboren haben soll, was auf die Göttin Gaia anspielt, sowie einen Gott des Todes namens Than-Athos (Thanatos).14
Mesopotamische Mythologien
Im Rahmen dieser Anspielungen auf die griechische Mythologie finden wir schließlich noch eine Verknüpfung mit orientalischen Religionen oder Mythologien. Es handelt sich um einen von Blutklee umgebenen heiligen Baum, dessen Äpfel nicht gegessen werden dürfen und der das Grab der Ishitar markiert. Ishitar, deren Name an die u.a. mit sexuellem Verlangen assoziierte babylonische Göttin Ištar erinnert, war eine Geliebte des Vrouhtou, der an dieser Stelle ein Zyklop den Kopf abgeschlagen hatte, woraufhin sich ihr Körper in den Baum verwandelte und ihr Blut den Klee verfärbte. Den Baum mit den verbotenen Früchten kennen wir natürlich aus dem Ersten Testament.15 Sowohl der ganzjährig Äpfel tragende Baum als auch der Blutklee sind wie die Konos Resultate genetischer Experimente der Takerer.16
Ägyptische Mythologie
Am Rande findet innerhalb der Miniserie auch die negative Superintelligenz Seth-Apophis Erwähnung, deren Namen sich aus dem ägyptischen Wüsten- und Unwettergott Seth sowie dem ebenfalls ägyptischen Gott Apophis zusammensetzt, der für Auflösung, Finsternis und Chaos steht.17
Zur Glaubwürdigkeit von Zeitzeugenaussagen
Im ersten Heft der Reihe betrachtet Perry Rhodan gemeinsam mit Atlan eine Karte von Atlantis und wundert sich darüber, dass die Karte von den Berichten seines Freundes über den versunkenen Kontinent abweicht. Atlan erklärt daraufhin selbstironisch, dass er halt vieles nur geschätzt und manches auch einfach weggelassen habe. Nachdem die Historiker*innen seine Schilderungen einmal aufgeschrieben hatten, ist es dem Arkoniden nicht mehr gelungen, seine Fehler nachträglich zu korrigieren.18
Die Stelle spielt einerseits auf tatsächliche Probleme der Geschichtswissenschaft an. So ist es allgemein bekannt, dass die Aussagen von Zeitzeug*innen aus vielerlei Gründen mit höchster Vorsicht zu betrachten sind. Hinzu kommt, dass (nicht nur) die Geschichtsschreibung gelegentlich dazu neigt, Dinge als Fakten zu betrachten, sobald sie einmal aufgeschrieben sind.
Im Vordergrund steht hier aber ein anderer Punkt. In den zahlreichen Erzählungen, die Atlantis erwähnen, ist es den Perry Rhodan-Autor*innen nicht gelungen, ein einheitliches Bild des versunkenen Kontinents zu zeichnen, sodass sich manche Informationen innerhalb der unterschiedlichen Heftromane widersprechen. Als Autor Ben Calvin Hary, der die Miniserie maßgeblich entwickelt hat, die Ungereimtheiten bei seinen Recherchen auffielen, entschloss er sich, diesen Umstand augenzwinkernd durch Atlans mangelnde Eignung als Zeitzeuge zu erklären.19
Sonstige Beobachtungen
Auf Atlantis gilt Rotschilf als begehrte Handelsware, die zur Färbung von Textilien Verwendung findet.20 Dies erinnert – sei es nun aus Zufall oder mit Absicht – an die Phönizier und ihre zur Färbung genutzten Purpurschnecken.
Natürlich dürfen in einer Atlantis-Erzählung keine Pyramiden fehlen.21 So begegnen wir in der Miniserie einem tempelartigen Gebäude, das Perry Rhodan an südamerikanische Maya-Pyramiden erinnert.22
Das außerirdische Volk der Maahks verfügt über Kristallauguren, die anders als die Auguren des Römischen Reichs nicht auf Basis des Vogelflugs die Zukunft vorhersagen, sondern anhand des Wachstums von bestimmten Kristallen das Wetter prognostizieren.23
Eine weitere schöne Anspielung, die ausnahmsweise nichts mit der Antike zu tun hat, ergibt sich aus den She’Rantor, die das Cover des ersten Hefts der Miniserie zieren. Es handelt sich um zwei einschüchternde gigantische Statuen, die einen Pass über den Berg Orgon-Duul flankieren und von denen eine eine gewissen Ähnlichkeit zu Aragorn-Darsteller Viggo Mortensen aufweist. Es ist natürlich mehr als offensichtlich, dass es sich hier um eine schöne Referenz auf die Argonath aus den Werken J.R.R. Tolkiens handelt.24
Die Antikenrezeption in der Miniserie „Atlantis“
Die Perry Rhodan-Miniserie „Atlantis“ greift Platons Atlantis-Erzählung sowie die späteren Traditionen eher allgemein auf. Wie beim griechischen Philosophen haben wir eine Insel oder einen Kontinent im Atlantik, der mit einer üppigen Flora und Fauna gesegnet ist und letztlich in einer Katastrophe untergeht.
Von der späteren Atlantis-Überlieferung stammt, dass sich auf der Landmasse zivilisatorisch weit überlegene außerirdische Wesen niederließen und der Menschheit Kultur brachten. Ein besonderer Clou liegt dann aber darin, dass es sich bei den rückständigen Menschen um die Nachkommen der Lemurer handelt, die die ersten Sternfahrer vom Planeten Erde waren und von denen die nun zivilisatorisch weit überlegenen Arkoniden in Wahrheit abstammen.
Somit stellt das Perry Rhodan-Universum klassische Präastronautikerzählungen auf den Kopf, wobei mit den Lemurern natürlich auf den hypothetischen Kontinent Lemuria angespielt wird, der wie Atlantis untergegangen sein soll und der sich einer fast ebenso großen Beliebtheit in Esoterik und Phantastik erfreut wie Platons versunkene Insel.
Schön finde ich auch die verschiedenen Stellen, die Aspekte der griechischen, mesopotamischen und ägyptischen Religionen bzw. Mythologien – natürlich im Rahmen einer fiktionalen Geschichte – rational erklären.
Richtig toll ist schließlich die Idee, widersprüchliche Angaben der einzelnen Romanhefte zu Atlantis mit den nicht ganz so zuverlässigen Aussagen eines Zeitzeugen zu erklären.
So ist die Miniserie letztlich aus Perspektive der Antikenrezeption durchaus spannend, obwohl die eigentliche Atlantisrezeption nicht sonderlich ins Detail geht.
Ausblick
Die hier besprochene Miniserie ist längst nicht alles, was Perry Rhodan in Bezug auf Atlantis zu bieten hat. Einerseits ist mittlerweile eine zweite Miniserie zu Atlantis erschienen. Andererseits gibt es natürlich noch mehrere ältere Perry Rhodan-Erzählungen wie etwa die Heftromane 60 und 70.
Perry Rhodan-Universum, wir werden uns wiedersehen!
Literatur
Ben Calvin Hary: Im Land der Sternengötter (Heft 1)
Lucy Guth: Festung Arkonis (Heft 2)
Sascha Vennemann: Fluchtpunkt Venus (Heft 3)
Olaf Brill: Der Raumschiffsfriedhof (Heft 4)
Michelle Stern: Die Kralasenin (Heft 5)
Dietmar Schmidt: In der Metanhölle (Heft 6)
Kai Hirdt: Tolcais Totenspiele (Heft 7)
Lucy Guth: Quartams Opfer (Heft 8)
Roman Schleifer: Totenstille (Heft 9)
Dietmar Schmidt: Das Talagon (Heft 10)
Olaf Brill: Atlantis muss sterben! (Heft 11)
Ben Calvin Hary: Nekrolog (Heft 12)
- Die Bibliothek von Alexandria in „The Atlas Six“ - 28. Oktober 2024
- [Fantastische Antike – Der Podcast] Progressive Phantastik - 21. September 2024
- Walhalla – Die nordische Mythologie im Comic - 31. Juli 2024
Anmerkungen
- Ursprünglich befand sich die Kuppel nur 150 Meter unter der Wasseroberfläche, seit dem Untergang von Atlantis sind es etwa 3.000 Meter. Vgl. Heft 1, S. 27.
- Vgl. Heft 1, S. 7-8 und Heft 6, S. 5.
- Vgl. Heft Nr. 1, S. 29.
- Vgl. Heft 11, S. 19.
- Vgl. Heft 1 S. 29.
- Vgl. Heft 1, S. 42 u. S. 53.
- Vgl. Heft 1, S. 30.
- Vgl. Heft 1 S. 49
- Vgl. Heft 10, S. 61.
- Vgl. Heft 6, S. 9.
- Vgl. Heft 2, S. 9; Heft 10, S. 61 u. Heft 11, S. 27.
- Vgl. Heft 2, S. 8f.
- Vgl. Heft 2, S. 41f.
- Vgl. Heft 11, S. 4 u. Heft 12, S. 46.
- Vgl. Heft 2, S. 11-13.
- Vgl. Heft 11, S. 27.
- Vgl. Heft 10, S. 28
- Vgl. Heft 1, S. 9.
- Vgl. den Kommentar von Olaf Brill in Heft 2, S. 65.
- Vgl. Heft 1, S. 50f.
- In der pseudowissenschaftlichen Literatur findet sich immer wieder der Gedanke, dass die Menschen von Atlantis den Ägyptern, den Maya und weiteren Völkern u.a. das Erbauen von Pyramiden beigebracht hätten.
- Vgl. Heft 2, S. 45.
- Vgl. Heft 6, S. 29.
- Vgl. Heft 1, S.41 u. Seite 47f.
„Während Platon, auf den sämtliche Überlieferungen zu Atlantis letztlich zurückzuführen sind,…“
Es heißt, dass sich Platon auf eine Gestalt mit dem Namen Solon bezog. „Beschrieben wird Solon als athenischer Staatsmann und Lyriker mit der Datierung * um 640 v. Chr. in Athen; † vermutlich um 560 v. Chr. Solon hat demnach die in Ägypten gehörten Namen ihrer Bedeutung gemäß ins Altgriechische übersetzt und Platon hat die so übersetzten Namen übernommen.“ Es geht darum, dass in Atlantis demnach kein Altgriechisch gesprochen wurde.
Aber hier bei fantastischeantike.de wurde bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass man davon ausgeht, dass es Atlantis nicht wirklich gab. Interessant ist trotzdem, dass bei Platons Atlantis-Saga Kleito durch Poseidon die Mutter der ersten Könige von Atlantis wurde ->
https://www.mythologie-antike.com/t1276-kleito-mythologie-mutter-der-ersten-konige-von-atlantis