Vergil im Mystery-Hörspiel „Forever Club“

Vorbemerkungen und Triggerwarnung

Da Forever Club noch sehr aktuell ist, führe ich zunächst allgemein in die Produktion ein, damit Leser*innen, die die Geschichte noch nicht kennen, im Anschluss an die Einleitung selbst entscheiden können, ob sie sofort meinen Artikel lesen oder doch zuerst das Hörspiel anhören möchten. Bis zum Video-Teaser könnt Ihr unbesorgt lesen, ab dem Kapitel Vergil und der Forever Club folgen Informationen, die mit der Auflösung der Mystery-Erzählung zusammenhängen.

Solltet Ihr Euch dazu entscheiden, Forever Club anzuhören, möchte ich an dieser Stelle noch darauf hinweisen, dass diverse Themen im Hörspiel angesprochen werden, mit denen sich manche von Euch womöglich lieber nicht auseinandersetzen möchten. Daher ist jeder Folge des Hörspiels eine konkret auf die entsprechende Episode zugeschnittene Triggerwarnung vorangesetzt. In meiner Besprechung habe ich diese Themen außenvorlassen können, da sie in Bezug auf die Antikenrezeption irrelevant sind.

Der „Forever Club“ stellt sich vor

Forever Club ist ein aus 20 Episoden bestehender Hörspiel-Podcast aus der Feder von Jette Volland, dessen Ausstrahlung von November 2022 bis April 2023 erfolgte.

Im Mittelpunkt der Mystery- und Coming-of-Age-Serie steht die 17-jährige Kölnerin Mica, deren Leben alles andere als vorbildlich verläuft. Eines Tages hat Micas Mutter genug vom Verhalten ihrer Tochter und schickt sie daher in der Hoffnung, dass sie doch noch ihr Leben in den Griff bekommt, auf ein Internat nach Bayern.

Hier stellt sich heraus, dass einige von Micas Problemen damit zusammenhängen, dass sie über eine besondere Gabe verfügt. Denn Mica kann tote Menschen sehen und mit diesen sowohl kommunizieren als auch interagieren, was sie erst realisiert, als sie im Internat auf den Forever Club stößt. Dieser Forever Club besteht aus Kat und Mike sowie den Geschwistern Alek und Bibi, die 1997 gemeinsam unter mysteriösen Umständen als Abiturient*innen bei einem Autounfall ums Leben gekommen sind. Mica schließt sich der untoten Clique an und begibt sich an die Aufklärung der damaligen Ereignisse, wodurch sie letztlich auch mit sich selbst ins Reine kommt.1

Einen guten ersten Eindruck vom Hörspiel-Podcast vermittelt der folgende Video-Teaser. Sämtliche weiteren Hintergrundinformationen zu der Produktion findet Ihr hier.

 

Vergil und der „Forever Club“

Im Laufe der Erzählung stellt sich heraus, dass der Autounfall von 1997 kein Einzelfall war, sondern seit den 1930er Jahren immer wieder Schüler*innen des Internats an identischer Stelle auf der sogenannten „Straße der Jugend“ ums Leben gekommen sind.

Hinter all dem steckt der 1938 verstorbene Schüler Friedrich Schneider, der zu Lebzeiten über eine ähnliche Gabe wie Mica verfügte und nun als Wiedergänger versucht, eine Armee von Untoten um sich zu scharen, weshalb er alle paar Jahre oder Jahrzehnte Verkehrsunfälle von Internatsschüler*innen provoziert.

Friedrich wird uns zunächst nicht unter seinem bürgerlichen Namen, sondern als Vergil vorgestellt, was einen klaren Bezug zum römischen Dichter Vergil herstellt, der von 70 bis 19 v.Chr. lebte und zur Zeit des Kaisers Augustus mit seiner Aeneis geradezu ein Nationalepos der Römer geschaffen hat.

Natürlich können sich die Hörer*innen schnell denken, dass Forever Club uns sicherlich nicht erzählen möchte, dass der berühmte römische Dichter Vergil nun als mordender Geist sein Unwesen im neuzeitlichen Bayern treibt.

Dennoch löst der Name Assoziationen aus. Ein Wesen, das den Namen Vergil trägt, wird durch diese Benennung mit einer gewissen altehrwürdigen Aura versehen, was im vorliegenden Fall sehr spannend erscheint. Denn während man Antagonisten gut nach historischen Personen benennen kann, die – sei es nun zu Recht oder zu Unrecht – wie etwa Nero oder Caligula über einen eher schlechten Ruf verfügen, ist Vergil als begnadeter Dichter eigentlich eher positiv besetzt – zumindest, insofern man kein mit ihm verbundenes Trauma aus dem Lateinunterricht davongetragen hat.

Fest steht jedenfalls, dass der Name Vergil den Hörer*innen zunächst ein höheres Alter des bösen Geistes suggeriert.

Fata viam invenient – Das Schicksal wird seinen Weg finden

Das Hörspiel verrät uns zwar nicht ausdrücklich, weshalb sich Friedrich Vergil nennt, doch wird in Folge 18 ein Vers aus Vergils Aeneis sowohl auf Latein als auch in deutscher Übersetzung zitiert:

Fata viam invenient.

(Das Schicksal wird seinen Weg finden.)

Vergil, Aeneis 10,113

Denn auch Mica macht sich Gedanken über den Namen und bestellt deshalb über die Fernleihe ihrer Schulbibliothek ein Buch über Vergil sowie Dantes Göttliche Komödie, in der Vergil als Charakter in Erscheinung tritt.

Spannenderweise lässt Micas vermeintlicher Mitschüler Toby, bei dem es sich in Wahrheit ebenfalls um einen Wiedergänger und außerdem um einen unfreiwilligen Helfer Vergils handelt, die Bücher verschwinden, was nahelegt, dass Mica in diesen etwas hätte finden können, das ihr Aufschluss über den mordenden Geist hätte geben können.

Als Mica Toby auf den römischen Dichter anspricht, spricht dieser etwas geistesabwesend wirkend das obige Zitat aus, sagt aber dann, dass er sich nicht weiter mit Vergil auskenne.2 Es könnte also sein, dass Toby, der in den 1930er Jahren das Internat besuchte, den Ausspruch Fata viam invenient noch aus dem Lateinunterricht kennt. Es könnte aber auch sein, dass er diesen Spruch von Friedrich aufgeschnappt hat, der ja offensichtlich einen engeren Bezug zu Vergil verspürt, da er sich andernfalls wohl kaum nach ihm benannt hätte.

Vielleicht erlauben die Aeneis und die Göttliche Komödie weitere Rückschlüsse auf die Namensgebung.

Fata viam invenient in Vergils „Aeneis“

Vergils Aeneis thematisiert den Helden Aeneas, der aus dem von den Griechen eroberten Troja flieht und nach diversen Abenteuern Mittelitalien erreicht, wo er schließlich zum Stammvater der Römer wird. Bei dem Werk handelt es sich somit um einen Gründungsmythos, der Rom mit Troja verband und auf diese Weise in die griechische Mythologie integrierte.

Nachdem Aeneas Italien erreicht hat und sich dort niederlassen möchte, kommt es zu verschiedenen Konflikten, in die sich auch die Göttinnen und Götter einmischen. In Buch 10 der Aeneis hält Zeus einen Rat der Göttinnen und Götter ab, in dessen Verlauf er zum Schluss kommt, den Ereignissen ihren freien Lauf zu lassen, da – wie oben bereits zitiert – das Schicksal seinen Weg schon finden werde.3 Gemeint ist hier ein Schicksalsbegriff, der eng mit Vorsehung verbunden ist.

Sollte Toby den Satz von Friedrich übernommen haben, könnte dies darauf hindeuten, dass sich Friedrich vom Schicksal vorherbestimmt glaubt, eine Armee von Wiedergängern anzuführen. Wahrscheinlicher ist aber vielleicht, dass die Geister hier den Gottheiten aus der Aeneis gleichgesetzt werden. Denn wie die Göttinnen und Götter in der Aeneis greifen auch verschiedene Untote gelegentlich in die Geschichte ein. So versorgt Toby, der eigentlich für Friedrich arbeitet, Mica heimlich mit wichtigen Informationen zur Auflösung des Rätsels. In diesem Kontext könnte das gegen Ende der Erzählung eingestreute Vergil-Zitat in Forever Club bedeuten, dass ab nun eben alles seinen Lauf nehmen wird, sei es nun mit oder ohne weiteren Eingriffen von übernatürlicher Seite.

Sicher ist, dass Fata viam invenient sowohl in der Aeneis als auch in Forever Club darauf hindeutet, dass die Erzählung allmählich auf ihren Höhepunkt zusteuert.

Vergil in Dantes Göttlicher Komödie

In Dantes Göttlicher Komödie aus dem frühen 14. Jh. n.Chr. führt Vergil den Ich-Erzähler durch die Hölle und durch einen Leuterungsbereich, in dem sich die Seelen befinden, die es nicht gleich ins Paradies schaffen, die aber auch nicht in die Hölle müssen. Gelegentlich ist in diesem Kontext vom Fegefeuer die Rede.

Jenseits solcher Führungen verbringt Vergil seine Zeit im Limbus, in dem diejenigen Seelen untergebracht sind, die sich zu Lebzeiten anständig verhalten haben, denen aber nach christlicher Vorstellung der Zugang zum Paradies und somit die Erlösung verwehrt ist, weil sie keine Christ*innen waren.

Dantes Vergil in Forever Club

Und genau hier ergibt sich ein Bezug zu Forver Club. Denn in Episode 17 erklärt ein Priester Mica, dass sie in der Kirche vor Friedrich/Vergil sicher sei, da dieser keine Erlösung suche und die Kirche eben einen Ort der Erlösung repräsentiere. Vielleicht fürchte sich Vergil wegen seiner schlimmen Taten sogar davor.

Es scheint hier also darum zu gehen, dass die Wiedergänger der Erzählung aus jeweils unterschiedlichen Gründen allesamt als Geister in einer Art Zwischenwelt verweilen müssen. Während Kat, Mike, Alek und Bibi sich nach Erlösung sehnen und diese durch die Aufklärung ihres Unfalls zu finden hoffen, will Friedrich explizit als Untoter in unserer Welt bleiben.

So passt der Vergil Dantes dann eigentlich besser zu Kat, Mike, Alek und Bibi, da er vor der Geburt des Jesus von Nazareth gestorben und somit unschuldig in den Limbus gekommen ist – er hatte ja aufgrund seiner Lebenszeit gar keine Möglichkeit Christ zu sein -, während die Mitglieder des Forever Clubs ohne eigenes Zutun in die Machenschaften Friedrichs hineingezogen wurden. Friedrich ist der einzige Charakter der Erzählung, der absichtlich zum Wiedergänger geworden ist.

Dass das Hörspiel explizit Vergil im Kontext der Göttlichen Komödie anspricht, deutet wohl darauf hin, dass es Friedrich (bzw. der Autorin) bei seiner Selbstbenennung um den Zwischenstatus ging, in dem der Vergil Dantes sich befindet. Denkbar ist auch, dass sich Friedrich in Anlehnung an Dantes Vergil als Führer durch das das Zwischenreich betrachtet, wobei in seinem Fall damit allerdings der Anspruch verbunden ist, der Anführer zu sein.

Schlussbetrachtungen

Die wenigen Informationen, die Forever Club in Bezug auf Vergil und seinen Ausspruch Fata viam invenient bietet, lassen vielerlei Interpretationen zu, wobei manches zwangsläufig Spekulation bleiben muss. Sicher ist jedenfalls aufgrund der skizzierten Zusammenhänge, dass Autorin Jette Volland Dichter und Zitat definitiv bewusst in die Geschichte eingeflochten hat.

Dabei erweist sich der Mangel an konkreten Fakten, die die diesbezügliche Interpretation erleichtern würden, in zweierlei Hinsicht als durchaus vorteilhaft. Zunächst einmal regt das Ausmaß der Möglichkeiten ungemein die Phantasie an, was dazu führen kann, dass sich die Hörer*innen – wie ich in diesem Artikel – längerfristig intensiv mit der Geschichte beschäftigen. Hinzu kommt, dass die Erzählung so gestaltet ist, dass eine zweite Staffel denkbar ist. In diesem Fall gäbe es dann wohl noch genug darüber zu erzählen, weshalb Friedrich ausgerechnet Vergil als neuen Namen wählte.

Wenn Ihr Euch jetzt fragt, was Forever Club-Schöpferin Jette Volland zu meinen Überlegungen und besonders natürlich zu den offengebliebenen Fragen zu sagen hat, dann geht es hier mit einem kleinen Interview weiter.

Titelbild Forever Club
Das Titelbild des Mystery-Podcast-Hörspiels „Forever Club“ (WDR Pressematerial zur Produktion)

 

 

Michael Kleu

Anmerkungen

  1. Micas Geschichte entspricht in mancherlei Hinsicht der klassischen Heldenreise nach Joseph Campbell.
  2. Als Mica Toby auf Vergil anspricht, denkt Toby zunächst an den untoten Vergil und ist ganz erleichtert, als er festellt, dass Mica den Dichter meint.
  3. Fata ist im Lateinischen der Plural von fatum = Schicksal. Vergil verwendet den Plural, da die Römer in Anlehnung an die griechischen Moiren von drei als Parzen bezeichneten Schicksalsgöttinnen ausgingen.

2 Kommentare zu „Vergil im Mystery-Hörspiel „Forever Club“

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