Herr Tumnus aus Narnia – Griechischer Schelm oder britischer Gentleman? (Beitrag von Niklas Görn)

In der Welt von Narnia stößt man auf allerhand mythologische Wesen der griechischen Sagen. Es begegnen einem sowohl Kentauren wie auch Minotauren, ein Phönix und Faune bzw. Pane. Unter Letzteren nimmt Herr Tumnus eine besondere Rolle ein. Er ist das erste Wesen, dem Lucy in Narnia begegnet und zu dem sie im weiteren Verlauf eine Freundschaft aufbaut. In diesem Artikel wollen wir einen Blick auf seine Erscheinung und seinen Charakter im Vergleich zu seiner antiken Vorlage werfen. Hierfür wird in erster Linie der Film „Die Chroniken von Narnia: Der König von Narnia“ untersucht.

Herr Tumnus und seine äußerlichen Merkmale

Lucy und Herr Tumnus

Bei ihrer ersten Begegnung treffen sich Herr Tumnus und Lucy an einer Laterne, die mitten im verschneiten Wald steht und womöglich die Passage zum Kleiderschrank, durch den Lucy nach Narnia gelangt ist, markieren soll. Nach einer kurzen Zeit des Versteckens, denn Herr Tumnus scheint sehr schüchtern zu sein, erblickt man den Faun das erste Mal.

Das äußere Erscheinungsbild

Sein Erscheinungsbild zeigt einen aufrechtstehenden Mann. Allerdings besitzt dieser Bocksbeine, die mit dichtem braunem Fell überzogen sind. Auch seine Unterarme und seine Wirbelsäule sind mit dichter, brauner Behaarung überzogen. Zudem befindet sich über seinem Hinterteil ein kurzer Schwanz. Sein Gesicht ähnelt dem von einem Menschen, doch hat er sowohl eine breite Nase mit geschlitzten Nasenlöchern, als auch zwei kleine, stark nach hinten gebogene Hörner auf dem Kopf und fell-überzogene, längliche Ohren, die in einem 90 Grad Winkel vom Kopf abstehen.

Faun, Pan oder Satyr?

Bei seiner Vorstellung betitelt sich Herr Tumnus selbst als einen Faun. Da sich schon in der Antike eine starke Angleichung zwischen den Göttern Faunus und Pan sowie den Satyrn vollzog, sollen all diese Figuren für die Betrachtung herangezogen werden.1

In der griechischen Mythologie wird Pan als ein aufrecht gehender Mann mit Bocksbeinen und einem entsprechenden Kopf beschrieben. Hierbei hat Herr Tumnus, gerade im Gesicht, deutlich menschlichere Züge erhalten und eher die Andeutung von tierischen Charakteristika. So fallen zum Beispiel seine Hörner auch nur bei genauerem Hinsehen auf. Auch sein Bart, der sonst bei Satyrn eher lang und wuchernd ausfällt und diese damit als wild und roh charakterisiert, ist bei Herrn Tumnus deutlich kleiner ausgefallen. Nur die Andeutung eines längeren Bartes lässt sich an seinem Kinn sehen.

Der Faun als Gentleman

Bei sich trägt der Faun einen roten Schal und einen braunen Schirm. In den Armen hält er ein paar Geschenke und ein Taschentuch kann er auch noch von irgendwoher hervorzaubern. Nach eigener Aussage basiert die ganze Buchreihe auf einer Vorstellung des Autors C.S. Lewis, wie ein Faun einen Regenschirm und Geschenke durch einen verschneiten Wald trägt.2

Diese Gegenstände assoziieren wir wahrscheinlich nicht direkt mit einem griechischen Fabelwesen. Vielmehr muten sie eher britisch an. Zudem unterstreichen sie den friedvollen Charakter, den Herr Tumnus zu Beginn macht. So lässt er die Geschenke vor Schreck fallen, als er Lucy erblickt und der leicht zitternde Schirm, den er ihr danach zur anfänglichen Abwehr entgegenhält, lässt ihn noch ängstlicher und vorsichtiger erscheinen.

Herr Tumnus
Photo: Niklas Görn

Das Verhalten des Herrn Tumnus

In einer Höhle unter der Erde lebte ein Faun

Herr Tumnus scheint zunächst ein sehr schüchternes Wesen zu sein. Es ist Lucy, die bei der Begegnung den ersten Schritt auf ihn zu macht. Nach kurzer Zeit fängt er aber an Zuneigung zu ihr zu fassen und erlaubt sich kleine Späße in Form von reimender Ausdrucksweise.

Der Faun lädt Lucy nach kurzer Zeit in sein zu Hause ein, um sie dort zu bewirten. Der Faun lebt in einer nett eingerichteten Höhle. Schon von Homer wissen wir, dass zumindest die Satyren, auch Silenen genannt, wenn schon nicht in Höhlen gelebt, dort aber zumindest die Bergnymphen geliebt haben.

Ein guter Gastgeber

Auch soll der Gott Faunus der Sage nach Hercules bei sich bewirtet haben. Im Gegensatz zu den Gepflogenheiten der Antike bietet Herr Tumnus aber die britische Variante in Form eines Tees an. Ob hierbei auf den Mythos des bewirtenden Faunus tatsächlich zurückgegriffen wurde, ist leider nicht absehbar. Wahrscheinlich stellt die Einladung einen zu generellen Topos dar, der in diesem Fall auch wichtig für die weitere Handlung ist.

Herr Tumnus und die Damen

Bei seinen Erzählungen vom Leben vor dem langen Winter, der in Narnia herrscht, verweist Tumnus auf die Tänze mit den Dryaden, an die er sich leicht wehleidig erinnert. Dies ist ein direkter Verweis des Autors3 auf seine Kenntnis der Mythologie. Die Dryade gilt als eine Unterart der Nymphe und der Topos der mit den Nymphen tanzenden und singenden, sowie ihnen nachstellenden Faune oder Satyrn ist eine ihrer Hauptmerkmale.

Schlaflieder und Weissagungen

Als Lucy bei Tee bei Herrn Tumnus am Kaminfeuer sitzt, beginnt dieser für sie eine Melodie eines narnianischen Schlafliedes auf seiner Flöte zu spielen. Während Lucy dabei in das Feuer blickt, verändert sich dieses stetig und zeigt ihr dadurch verschiedene figürliche Szenen. Zunächst sieht Lucy einen Kentauren mit einem Speer in der Hand. Darauf folgt ein Reiter, der einen Hirsch verfolgt und ein paar tanzende Faune.

Von antiken Autoren wie Cicero in seinem Werk „Über die Weissagung“ und Macrobius bei seinen „Tischgespräche(n) am Saturnalienfest“ ist uns bekannt, dass Faunus Alpträume bringen kann, viel mehr aber auch eine weissagende Funktion haben soll. In diesem Kontext wird er mit dem Namen Fatuus verbunden und wird zum Beispiel in der Krise der Schlacht gehört, was zu dem Kentauren passt, den Herr Tumnus Lucy im Feuer zeigt.

Der Reiter mit dem Hirsch könnte zudem als prophetischer Hinweis auf das Ende des Films verstanden werden. Die Geschwister finden nämlich zufällig viele Jahre später bei einer Jagd den Wandschrank wieder, durch den sie nach Narnia gekommen sind. Die tanzenden Faune können ein Ausblick auf die kommenden guten Zeiten sein oder ein Rückblick, da Herr Tumnus zuvor von diesen Abenden geschwärmt hatte.

Die Syrinx-Flöte

Um Lucy das Schlaflied vorspielen zu können, nutzt Herr Tumnus seine sehr eckige, an ein Y erinnernde Flöte. Der Sage nach gilt der griechische Pan als Erfinder der Syrinx-Flöte – auch als Panflöte bezeichnet – , welche er aus der gleichnamigen, verwandelten Nymphe schuf, die sich seinen Avancen entziehen wollte. Auch wenn die Flöte mit ihrer Form eher einer Aulos-Flöte gleicht, könnte hier doch wieder ein Charakteristikum des bocksbeinigen Gottes aufgegriffen worden sein.

Herr Tumnus ist nicht immer anständig

Neben all seiner Höflichkeit hat Herr Tumnus auch eine schwache Seite. Das Schlaflied, welches er für Lucy spielt, soll nämlich zur Ablenkung dienen, um der Antagonistin, der weißen Hexe, von der Ankunft der lang erwarteten Menschenkinder zu berichten. Seine unlauteren Absichten lassen sich Herrn Tumnus bei genauerer Betrachtung sogar im Gesicht ablesen. Sein Blick wird frecher, eindringlicher. In einem anderen Kontext könnte man ihn als Versuch der Verführung verstehen.

Seine mythologische Vorlage dagegen ist bekannt für die dauerhafte Suche nach sexuellen Abenteuern, die meist auch nicht einvernehmlich stattfinden. Da es sich hierbei um ein Kinderbuch handelt, sollen hier Herrn Tumnus keine diesbezüglichen bösen Absichten unterstellt werden. Auch bei den erwähnten Nächten mit den Dryaden deutet nichts auf solche Vergehen hin. Doch könnte mit dem Hintergrundwissen zumindest eine Andeutung um das Wissen es Regisseurs um jenes Verhalten entstehen. Herr Tumnus aber sieht, kurz nachdem er ihn begangen hat, seinen Fehler ein und hilft Lucy rechtzeitig zu fliehen.

Fazit

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Film sich in Bezug auf Herrn Tumnus sehr nahe an der mythologischen Vorlage hält. Seine äußerlichen Merkmale entsprechen denen seiner antiken Verwandten, wenn sie auch gerade in der Gesichtspartie eher menschlicher und weicher belassen wurden. Hierdurch fällt es den Zuschauern leichter sich mit ihm zu identifizieren.

Durch gezielte Hinweise wie das Tanzen mit den Dryaden wird das Wissen des Autors um die Eigenschaften dieses mythischen Wesens offenbart. Lewis, an dessen Buch sich der Film auch stark hält, studierte unter anderem antike Geschichte und Altgriechisch in Oxford und war daher mit der griechischen Mythologie vertraut.

Lewis hat das Bild des mit Geschenken beladenen und mit einem Schirm durch einen winterlichen Wald laufenden Fauns weiter ausgebaut. Am Ende entstand ein griechischer Faun, der allerdings britisch ausgestattet und mit ebensolchen Manieren versehen wurde. Neben Geschenken und Schirm kann er für Lucy, ganz der Gentleman der er ist, noch ein Taschentuch hervorholen und sie zum Tee einladen.

Sein Buch schrieb der Autor für ein junges britisches Publikum. Herr Tumnus sollte hierbei als eine positiv besetzte Figur verstanden werden. Er ist es, der seinen Fehler einsieht, Lucy vor der weißen Hexe rettet und den Kindern ein guter Freund wird. Um diese Figur den jungen Lesern näher zu bringen, könnte Lewis, wie auch der Regisseur Andrew Adamson, darauf geachtet haben, das mythische Wesen durch ein den Kindern vertrautes, britisches Benehmen vertrauter zu machen.

Auch der Name des Fauns spiegelt seine gesamte Charakterisierung wider. So klingt der Name Tumnus sehr nach Latein, obwohl es kein entsprechendes Wort in dieser Sprache gibt. Tumnus könnte man also als Kauderwelsch bezeichnen. Auf der anderen Seite sticht sein Name durch den explizit erwähnten Titel „Herr“ stark hervor. Dieser ist abgeleitet vom englischen Titel „Mister“. Somit zeigt sich auch hier die Mischung aus seiner griechisch/römischen Herkunft und seinem britischen Benehmen.

Über den Autor:

Niklas Görn studiert an der Universität Bonn Geschichte.

Literatur:

  • S. Lewis: On Storys: And Other Essays on Literature, 1982, p. 53.
  • Graf, Fritz (Princeton), “Faunus”, in: Der Neue Pauly, Herausgegeben von: Hubert Cancik,, Helmuth Schneider (Antike), Manfred Landfester (Rezeptions- und Wissenschaftsgeschichte). Consulted online on 25 January 2020 <http://dx.doi.org/10.1163/1574-9347_dnp_e410240>, First published online: 2006
  • Coren, Michael: The Man Who Created Narnia. The Story About C. S. Lewis, 1996
  • Holzhausen, Jens (Berlin), “Pan”, in: Der Neue Pauly, Herausgegeben von: Hubert Cancik,, Helmuth Schneider (Antike), Manfred Landfester (Rezeptions- und Wissenschaftsgeschichte). Consulted online on 25 January 2020 <http://dx.doi.org/10.1163/1574-9347_dnp_e905250> , First published online: 2006
  • Heinze, Theodor and Bäbler, Balbina, “Satyr”, in: Der Neue Pauly, Herausgegeben von: Hubert Cancik,, Helmuth Schneider (Antike), Manfred Landfester (Rezeptions- und Wissenschaftsgeschichte). Consulted online on 25 January 2020 <http://dx.doi.org/10.1163/1574-9347_dnp_e1102510>, First published online: 2006

 

GastautorIn

Anmerkungen

  1. Jens Holzhausen schreibt in seinem Beitrag im Neuen Pauly über Pan: „man glich ihn an Satyrn an“. Fritz Graf beschreibt Faunus in seinem Beitrag folgendermaßen: „Röm. Gott des Draußen, der früh mit dem griech. Pan identifiziert wurde“.
  2. S. Lewis: On Storys: And Other Essays on Literature, 1982, p. 53.
  3. Sowohl im Buch als auch im Film werden die Nymphen erwähnt. Lewis differenziert diese in seinem Buch sogar. Neben den Nymphen findet die Existenz des Gottes Bacchus/Dionysos, in dessen Gefolge sich Pane/Faune oft befinden, Erwähnung.

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