Die Anfänge von Wonder Woman und die Bezüge zur Antike (1942)

Wie wir bereits in unserer Gesamtübersicht zu Wonder Woman gesehen haben, durchlief die Amazonenprinzessin Diana in Bezug auf ihre Herkunftsgeschichte verschiedene Phasen, in denen die Ursprünge Wonder Womans immer wieder mal ein wenig angepasst wurden.

Daher wollen wir uns diese Entstehungsgeschichte nun im Detail anschauen, wobei wir heute mit Heft 1 der Wonder Woman-Reihe beginnen.1

Von Sensation (Mystery) Comics zur Wonder Woman-Reihe

Nachdem Wonder Woman im Dezember 1941 erstmals in Heft 8 der Allstar Comics in Erscheinung getreten war, schwang sie sich bereits im Januar 1942 zur Titelheldin der Reihe Sensation (Mystery) Comics auf. Aufgrund ihrer großen Popularität erhielt sie dann im Sommer desselben Jahres schließlich ihre eigene Reihe.

Wonder Womans Herkunftsgeschichte

Schon bei Allstar Comics erzählte eine Geschichte der Justice Society auf 8 Seiten Dianas Hintergrundgeschichte. In Heft 1 (1942) der Wonder Woman-Comics baute die erste Erzählung des Hefts die Herkunft der Amazonenprinzessin dann weiter aus.

Ein „Who is who?“

Heft Nummer 1 der Wonder Woman-Reihe beginnt mit der Vorstellung von vier griechischen Gottheiten. Der Überblick beginnt links oben mit Aphrodite, die der Comic als Göttin der Liebe und Schönheit präsentiert. Oben rechts schließen sich grundlegende Informationen zur Göttin Athene an, die trotz ihrer Wehrhaftigkeit besonders Weisheit und Frieden symbolisiert.

Unten links sehen wir den Halbgott Hercules (Herakles), der für Stärke steht. Der Überblick endet schließlich unten rechts mit dem äußerst schnellen Götterboten Mercur.2

In der Mitte dieser vier Gottheiten befindet sich eine Abbildung Wonder Womans, die in sich die Schönheit der Aphrodite, die Weisheit der Athene, die Stärke des Herakles sowie die Geschwindigkeit Mercurs vereint. Wer ist aber nun diese Amazonenprinzessin, die von einer von Frauen beherrschten Insel stammt? Die Antwort darauf soll uns also die folgende Geschichte liefern.

Griechische oder lateinische Namensformen?

Bevor wie diese näher betrachten, halten wir schon einmal fest, dass der Überblick über die Gottheiten zeigt, dass Wonder Woman-Schöpfer William Moulton Marston3 sich offensichtlich nicht so recht festlegen konnte, ob er nun die griechischen oder die im englischen Sprachraum verbreiteteren lateinischen Namensformen der Göttinnen und Götter verwenden soll. So spricht er etwa von Aphrodite statt Venus, um dann aber deren Mann Hephaistos als Vulcan und den Götterboten Hermes als Mercur zu bezeichnen.

Ein paar Seiten später thematisiert er die unterschiedlichen Namensformen selbst, wenn es ohne weitere Erklärungen heißt, dass Ares heute Mars genannt wird. (Dies trifft natürlich eher für den englischen Sprachraum zu, wo man anders als im Deutschen den lateinischen Schreibweisen folgt.)

Das Bild zeigt die Wonder Woman-Anthologie und die Göttinen Artemis, Aphrodite und Athene als Playmobilfiguren
Die Wonder Woman-Anthologie, die u.a. eine leicht gekürzte deutsche Übersetzung der Originalausgabe von 1942 enthält (Photo: Michael Kleu)

Wonder Womans Ursprung

Im eigentlichen Comic erfahren wir dann im ersten Panel, dass Wonder Womans Geschichte auf eine goldene Ära zurückzuführen sei, in der „stolze und attraktive Frauen, stärker als Männer, in Amazonia herrschten und die unsterbliche Aphrodite innig verehrten – die Göttin der Liebe und Schönheit.“

Weiter geht es mit dem für den Geheimdienst arbeitenden Captain Steve Trevor, der mit einem Flugzeug im Meer abstürzt und daraufhin für tot erklärt wird. Doch Wochen später erscheint eine junge Frau – Wonder Woman -, die Steve Trevor in ein Krankenhaus trägt und dann wieder verschwindet.

Zurück lässt sie nur – ob absichtlich oder versehentlich bleibt offen – eine Schriftrolle, die eine wissenschaftliche Sensation beinhaltet. Denn wie uns ein Archäologe mit dem äußerst einfallsreiche Namen Dr. Hellas erklärt, handelt es sich bei dem Text auf der Schriftrolle um die verlorengeglaubte Geschichte der unbesiegbaren Amazonen.

Die Geschichte der unbesiegbaren Amazonen

Diese besagt, dass die zwei rivalisierenden Gottheiten Ares und Aphrodite den Planeten Erde regieren, wobei die Anhänger des Kriegsgottes mit dem Schwert nehmen, was sie begehren und Frauen oft nur Sklavinnen sind. Die Anhängerinnen der Göttin setzen hingegen auf die Macht der Liebe.

Da es aber scheinbar doch nicht gänzlich ohne Gewalt geht, formt Aphrodite – vermutlich aus Lehm (s.u.) – mit den Amazonen eine Rasse von Superfrauen, die den Männern körperlich überlegen, aber dennoch auch mit der Macht der Liebe versehen sind. Um die Amazonen noch zusätzlich zu schützen, gibt die Göttin der Königin der Amazonen einen Gürtel, der ihr Volk unbesiegbar macht, solange die Herrscherin ihn trägt.4

Das Panel, das Ares und Aphrodite einander gegenüberstellt, zeigt auch eine Weltkugel. Ares steht vor Europa mit Griechenland, während Aphrodite vor Kleinasien (heutige Türkei) sitzt, womit das Comic sicherlich darauf anspielt, dass die antiken Zeugnisse diese Region regelmäßig mit den Amazonen in Verbindung bringen.

Herakles stiehlt den Gürtel

Da die Männer des Ares immer wieder daran scheitern, Amazonia, die gewaltige Stadt der Amazonen, zu erobern, greift der Kriegsgott schließlich auf einen Helden zurück. Er schickt den mächtigen Herakles mit einer großen Armee nach Amazonia. Doch Hypolite, die Königin der Amazonen, besiegt den Muskelberg, der ganz klassisch mit einer Keule bewaffnet ist und das Haupt eines toten Löwen auf seinem Kopf trägt.

Herakles greift darauf zu einer List und gibt vor, Frieden mit den Amazonen zu wünschen. Nachts im Zelt macht er der Amazonenkönigin bei einem Becher Wein schöne Augen, um ihr dann den Gürtel zu stehlen. So können die Griechen die Amazonen besiegen und in Ketten legen.

Als Hippolyte die Göttin Aphrodite in dieser höchsten Not um Hilfe bittet, gewährt diese ihren Amazonen die Stärke, ihre Ketten zu zerreißen. Die metallenen Armbänder, mit Hilfe derer die Ketten an den Armen angebracht sind, sollen sie jedoch von nun an dauerhaft tragen, um für immer daran erinnert zu werden, wie dumm sie waren, sich von Männern unterwerfen zu lassen.

In der griechischen Mythologie soll Herakles von Hippolyte den Gürtel ihres Vaters Ares stehlen. Da die Amazone den Gürtel freiwillig übergeben möchte, provoziert die Herakles nicht wohlgesonnene Göttin Hera einen Streit, der zu einem Kampf mit den Amazonen führt.

Herakles tötet Hippolyte und gewinnt so schließlich doch ihren Gürtel. In einer anderen Variante nimmt der Halbgott während der Kämpfe die Schwester der Königin gefangen, die er dann gegen den Gürtel eintauscht.

Der Comic greift an dieser Stelle also antike Erzählungen auf, die er im Sinne der eigenen Erzählung entsprechend ummodelliert.

Von Amazonia nach Paradise Island

Die Amazonen besiegen daraufhin die Griechen, übernehmen deren Schiffe und reisen damit zur Paradiesinsel (Paradise Isle bzw. Paradise Island), ein gelobtes Land, zu dem Aphrodite sie führt, um fortan ohne Männer in Frieden zu leben.

Mit der Ankunft auf Paradise Ilse endet schließlich die Geschichte der unbesiegbaren Amazonen.

Das Manuskript

Das Pergament, auf dem die Geschichte der unbesiegbaren Amazonen niedergeschrieben ist, ist in zwei Panels so gut zu sehen, dass wir die Überschrift deutlich lesen können.

Auch wenn ein Teil der Buchstaben verdeckt ist, ist klar ersichtlich, dass man sich hier tatsächlich die Mühe gemacht hat, den Titel Die Geschichte der unbesiegbaren Amazonen ins Altgriechische zu übersetzen!

Das Bild zeigt das Manuskript, das die verlorengegelaubte Geschichte der unbesiegbaren amazonen enthält.
Das Manuskript mit der Geschichte der unbesiegbaren Amazonen (aus: Wonder Woman No. 1 [1942]).

Die Schöpfung Dianas

Die weitere Geschichte Wonder Womans erzählt der Comic auf Basis verschiedener späterer Quellen, die nicht mehr einzeln aufgezählt werden.

Jedenfalls erfahren wir, dass die Amazonenkönigin Hippolyte von Athene lernt, aus Ton menschliche Körper zu formen. Das Resultat wächst der Amazone derart ans Herz, dass der Text im Panel einen Vergleich zu Pygmalion und Galatea anstellt, also zu jenem berühmten Bildhauer, der sich in seine eigene Statue verliebte.

So wie Aphrodite Pygmalions Bitten erhörte und dessen Statue zum Leben erweckte, lässt sie auch das Werk der Amazonenkönigin lebendig werden und benennt das so entstandene Kind dann auch gleich nach der Mondgöttin Diana (Artemis).

Im Folgenden zeigt die Geschichte, wie die heranwachsende Diana sich bereits früh als äußerst stark und schnell erweist. Als junge Frau tritt sie in die Dienste der Aphrodite und legt die oben angesprochenen Armreife der Unterwerfung an. (Wonder Woman-Fans wissen, dass diese praktischerweise Pistolenkugeln ablenken.) Auch darf sie nun aus der Quelle der ewigen Jugend trinken, deren Wasser Schönheit und glückliches Befinden bewirkt.

Diana verlässt Paradise Isle

Doch irgendwann stürzt Captain Steve Trevor in der Nähe von Paradise Island ab, was Diana fast schon als schicksalhafte Fügung erscheint. So bringt sie den im Sterben liegenden Steve in die Stadt, in der Männer eigentlich verboten sind. Da die Amazonenprinzessin nicht nur schön, stark und schnell, sondern in der Tradition Athenes eben auch besonders schlau ist und über ein wissenschaftliches Labor verfügt, gelingt es ihr schließlich, das Leben des Amerikaners zu retten.

Da der zweite Weltkrieg Ares ob der globalen Zerstörung frohlocken lässt, gibt Aphrodite den Befehl, dass eine Amazone Steve Trevor begleiten soll, damit die USA den Krieg gewinnen.

Obwohl Hippolyte ihrer Tochter verbietet, daran teilzunehmen, gewinnt die maskierte Diana sportliche Wettkämpfe, die entscheiden sollen, welche Amazone zum Wohle der Menschheit die Paradiesinsel verlassen soll. Als Siegerin erhält sie ein farblich an der Flagge der USA orientiertes Kostüm und das magische Lasso der Wahrheit, das alle, die damit gefesselt werden, dem Willen seiner Trägerin unterwirft.

Mit ihrem unsichtbaren Flugzeug bringt die Amazonenprinzessin Diana schließlich Captain Steve Trevor zurück in die Welt der Menschen, wo sie fortan zur Tarnung als Krankenschwester Diana Prince auftritt, wenn sie nicht gerade als Wonder Woman für das Gute kämpft.

Mein Eindruck vom Ursprung Wonder Womans

Hier und da präsentiert uns Teil 1 der Wonder Woman-Reihe Dinge, die ein wenig verwundern lassen. So trägt die Göttin Aphrodite in manchen Darstellungen eine Art Blumenkleid im Stil der 1940er Jahre statt einer „antiken“ Tracht, in der sie sonst gezeigt wird. Auch ist es etwas überraschend, dass Hippolyte in einem der letzten Panels der Erzählung Aphrodite und Athene als Zwillingsgöttinnen bezeichnet.

Dem steht gegenüber, dass das Comic altgriechische Schrift präsentiert und auch der Verweis auf Pygmalion und Galatea sowie die an Pandora erinnernde Schöpfung aus Lehm oder Ton auf ein gewisses Maß an Hintergrundwissen verweist.

Interessant ist die Entscheidung, Aphrodite als besondere Schutzpatronin der Amazonen darzustellen, zumal sie sich hier in einem Dauerkonflikt mit dem Kriegsgott Ares befindet, mit dem sie in der griechischen Mythologie eigentlich eine langfristige Liebschaft verbindet. Spannend ist in diesem Kontext auch, dass die Amazonenkönigin Hippolyte in der griechischen Mythologie eine Tochter des Ares ist.

So erscheint Athene aus mancher Hinsicht vielleicht als naheliegendere Schutzgottheit der Amazonen, doch verbindet auch die griechische Antike die Göttin der Liebe gelegentlich mit kriegerischen Aspekten.

Vermutlich löst sich die Erzählung hier etwas stärker von der mythologischen Vorlage, weil – vielleicht auch gerade vor dem Hintergrund des zweiten Weltkrieges – es William Moulton Marston diesbezüglich primär darum ging, einer eher negativ besetzten Männlichkeit eine eher positiv besetzte Weiblichkeit entgegenzusetzen, weshalb ihm ein Konflikt zwischen Ares und Aphrodite passend erschienen haben mag.

Fazit

Die Entstehungsgeschichte Wonder Womans macht richtig Spaß und ich bin gespannt, wie die Erzählungen der folgenden Jahrzehnte den Ursprung der Amazonenprinzessin weiter ausbauen und anpassen werden.

Das Bild zeigt einen Nachdruck des ersten Wonder Woman-Hefts in meinem Bücherregal. Davor stehen Playmobilfiguren der Göttinnen Artemis, Aphrodote und Athene
Der Faksimile.Nachdruck von Heft 1 der Wonder Woman-Reihe aus dem Jahr 1942 (Photo: Michael Kleu)

Literatur

Als Arbeitsgrundlage diente mir ein Faksimile-Nachdruck der englischen Originalausgabe von Wonder Woman No. 1 (1942) vom Januar 2024.

Deutsche Übersetzungen und Informationen zur historischen Einordnung habe ich dem folgenden Werk entnommen:

Die Geburt von Wonder Woman, in: Wonder Woman Anthologie. Die vielen Gesichter der Amazonenprinzessin, Stuttgart 2016, S. 9-22.

Vgl. außerdem die in unserem Überblicksartikel zu Wonder Woman angegebene Literatur.

Michael Kleu

Anmerkungen

  1. Ich arbeite im Folgenden mit einem Faksimile-Nachdruck der englischen Originalausgabe. Deutsche Übersetzungen habe ich der Wonder Woman-Anthologie entnommen. (Siehe Literaturverzeichnis)
  2. Innerhalb des Heftes ist eine alte Werbeanzeige für Flash zu sehen, bei denen dieser DC-Held noch einen Flügelhelm trägt, der klar von Hermes/Mercur inspiriert ist.
  3. Im Faksimile-Nachdruck der Originalausgabe ist statt dem richtigen Namen des Autors noch das Pseudonym Charles Moulton angegeben.
  4. Hierbei handelt es sich sicherlich um eine bewusste Vermischung des Gürtels der Aphrodite, der seine Trägerin unwiderstehlich macht, mit dem Gürtel des Ares, den Hippolyte in der griechischen Mythologie trägt.

3 Kommentare zu „Die Anfänge von Wonder Woman und die Bezüge zur Antike (1942)

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  1. „Ares steht vor Europa mit Griechenland, während Aphrodite vor Kleinasien (heutige Türkei) sitzt, womit das Comic sicherlich darauf anspielt, dass die antiken Zeugnisse diese Region regelmäßig mit den Amazonen in Verbindung bringen.“

    Die Amazonen werden konkret mit Kleinasien kombiniert. Die griechische Mythologie berichtet, dass die legendären Amazonen ihre Heimat am Ufer des Thermodon hatten. Männergleich zogen die Amazonen demnach in den Kampf.

    Der Thermodon heißt heute Terme Çayı. Der Fluss Terme Çayı mündet im Schwarzen Meer (ca. 50 Kilometer östlich der Küstenstadt Samsun).

    Der Amazonas in Südamerika wurde nach den Amazonen benannt:

    „Im Jahr 1541 war der spanische Eroberer Francisco de Orellana der erste, der die Fahrt über den Amazonas wagte. Er traf auf kriegerische Frauen aus dem Stamm der Icamiabas. Diese kriegerischen Frauen erinnerten den Eroberer an die Amazonen aus der griechischen Mythologie und deshalb gab er diesem Fluss den Namen Amazonas.“ ->

    https://www.mythologie-antike.com/t252-flussgott-thermodon-mythologie-am-ufer-des-thermodon-sollen-die-amazonen-gelebt-haben

    1. „Die griechische Mythologie berichtet, dass die legendären Amazonen ihre Heimat am Ufer des Thermodon hatten.“

      Ich habe das sehr bewusst so formuliert. „Die griechische Mythologie“ gibt es ja nicht, sondern es gibt zahlreiche einzelne Erzählungen. Und so gibt es auch zu den Amazonen mehrere Überlieferungen. Abgesehen von Kleinasien geht es gelegentlich auch um andere Gebiete am Schwarzen Meer, z.B. Thrakien oder „Skythien“. Das Ufer des Thermodon ist natürlich die gängige Variante, aber ich muss in meiner Ausrucksweise ja schon einfließen lassen, dass es mehrere Überlieferungen gibt.

      1. OK, ich habe auf die gängige Variante aufmerksam gemacht. Ares spielt im Zusammenhang mit den Amazonen natürlich auch eine sehr große Rolle – und in dieser Kombination kommt auch Thrakien stark in den Fokus.

        LG
        Holger

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