Veröffentlicht: 26. Oktober 2018 – Letzte Aktualisierung: 8. Februar 2022
Das Labyrinth in der Phantastik
Sei es nun in Freizeitparks, bei einem „verrückten“ Brettspielklassiker oder als Denkübung in Zeitschriften: Labyrinthe erfreuen sich einer größeren Beliebtheit, die sich selbstverständlich auch in der Phantastik widerspiegelt, was vermutlich nicht zuletzt damit zusammenhängt, dass sich ein Labyrinth auch hervorragend als Metapher für schwierige oder scheinbar ausweglose Situationen anbietet.
So spielen die dramatischen Schlussminuten von Stanley Kubricks teilweise etwas freien Verfilmung von Stephen Kings „Shining“ aus dem Jahre 1980 in einem Heckenirrgarten, in dem Protagonist Jack Torrance (Jack Nicholson) schließlich den Tod findet, während „Barbarella“ (Jane Fonda) in der gleichnamigen Verfilmung von 1968 in einem Labyrinth auf Rebellen und Ausgestoßene trifft, zu denen auch der blinde Engel Pygar zählt, in den sie sich in der Folge verlieben wird. In Guillermo del Toros „Pans Labyrinth“ (El laberinto del fauno, 2006) ist das Labyrinth so zentral, dass es gleich titelgebend ist, was im Falle von James Dashners dystopischen Science Fiction-Roman „Maze Runner“ bzw. seiner Verfilmung beim deutschen Titel „Die Auserwählten – Im Labyrinth“ noch etwas deutlicher wird als beim englischen Wort „maze“ (Irrgarten, Labyrinth).
Jim Hensons Klassiker „Labyrinth“ (deutscher Titel: Die Reise ins Labyrinth, 1986) mit David Bowie und Jennifer Connelly gehört selbstverständlich ebenfalls in diese Kategorie, wie auch Wolfgang Holbeins Roman „Indiana Jones und das Labyrinth des Horus“ (1993). Auch in zahlreichen Computer- und Rollenspiele sind Labyrinthe und Irrwege häufig auftretende Elemente.1 (Nicht wenige von uns dürften Stunden damit verbracht haben, bei DSA, D&D etc. durch endlos erscheinende Höhlen- oder Kerkersysteme zu irren.) Umberto Ecos „Der Name der Rose“ (1982) zählt zwar nicht zur Phantastik, doch gefällt mir die Idee eines Irrgartens aus Bücherregalen und Bibliotheksräumen so sehr, dass der Roman hier dennoch genannt werden muss. Mit der ersten Staffel der Netflix-Serie „Dark“ (2017) nähern wir uns dann schließlich einem wichtigen antiken Ursprung der Begeisterung für Irrgärten: Theseus und dem Ariadnefaden, womit wir uns also in der griechischen Mythologie befinden.
Der Minotauros im Labyrinth von Knossos
Im Rahmen eines Konfliktes zwischen Athen und dem kretischen König Minos wissen sich die Athener nicht mehr anders zu helfen als durch eine bedingungslose Kapitulation. Minos gewährt den erbetenen Frieden, verlangt dafür jedoch alle 9 Jahre (oder sogar jährlich) 7 Jungen und ebenso viele Mädchen von den Athenern zu erhalten, um diese an den Minotauros zu verfüttern, was damit zusammenhängen mag, dass Minos‘ eigener Sohn zuvor während eines athenischen Fests gewaltsam zu Tode gekommen war.
Der Minotauros ist bekanntlich ein Mischwesen aus Stier und Mensch, das auf ungewöhnliche Weise entstanden war. Denn Minos hatte sich vom Meeresgott Poseidon einen Stier erbeten, den er vereinbarungsgemäß den Göttern opfern sollte. Da der König dies jedoch nicht tat, rächte sich Poseidon, indem er in Minos‘ Gattin Pasiphaë großes sexuelles Verlangen nach dem schönen Stier erweckte, das diese schließlich zu stillen versuchte, indem sie sich von Daidalos – dem Vater von Ikaros – eine hölzerne Kuh anfertigen ließ, in die sie hineinschlüpfte, um mit dem Stier zu verkehren. (Da sage mal einer, die Alte Geschichte sei langweilig.) Dieser Verbindung entsprang in der Folge der Minotauros, den Minos in einem wiederum von Daidalos geschaffenen Labyrinth einsperrte, wobei das Labyrinth zur Palastanlage in Knossos gezählt zu haben scheint. Dass der König später herausfand, wie seine Frau von dem Stier geschwängert werden konnte, ist übrigens der Grund, weshalb Daidalos und Ikaros mit ihren künstlichen Flügeln von Kreta zu fliehen versuchten.
Theseus und der Ariadne-Faden
Zur dritten Gruppe von Jugendlichen, die von Athen nach Kreta geschickt werden, um dort dem Minotauros als Speise zu dienen, zählt jedenfalls der Held Theseus, dem es dann gelingt, das Ungeheuer zu erschlagen. Doch wäre es ihm wohl nie gelungen, wieder aus dem Labyrinth herauszufinden, hätte sich nicht Ariadne, eine Tochter des Minos, in Theseus verliebt und ihm deshalb auf Anraten des Daidalos, der überall seine Finger im Spiel zu haben scheint, einen sprichwörtlich gewordenen Faden überreicht, mit dessen Hilfe der Held nach seiner großen Tat wieder aus dem Irrgarten herausfindet.
Die Ursprünge des Labyrinths
Interessanterweise handelt es sich bei dem Begriff „Labyrinth“ (λαβύρινθος) um kein griechisches Wort, wobei unklar bleibt, wo es denn ursprünglich herstammt. Jedenfalls ist es uns das erste Mal auf einem Linear B-Täfelchen überliefert, was ja schön zum Kreterkönig Minos passt.2 Spannend ist auch, dass man unter einem Labyrinth ursprünglich keinen Irrweg verstand, sondern eine geometrische Figur mit einem Eingang, durch die ein einzelner Weg auf verschlungene Weise zum Mittelpunkt führte. Solange man also einfach dem Weg folgte, hatte man keine Chance sich zu verlaufen, während man lediglich den Weg wieder zurücklaufen musste, um zwangsläufig den Ausgang zu erreichen. Ein solches Labyrinth wird seiner Herkunft wegen als kretisches Labyrinth bezeichnet. Bald verwendete man „Labyrinth“ jedoch auch für Irrwege und spätestens seit Platon ist das Wort im metaphorischen Sinne belegt (hier im Sinne einer gedanklichen Sackgasse, Plat. Euthyd. 291b).
In der Wissenschaft gibt es Vermutungen, dass ein Labyrinth ursprünglich den Verlauf eines komplizierten Tanzes wiedergab oder aber anfänglich als Bezeichnung für scheinbar unendliche Höhlen und Grotten diente. Die Idee, ein Labyrinth als Tanzfläche zu verstehen, beruht auf einer Stelle aus der „Ilias“, in der es heißt, dass – Überraschung! – Daidalos der Ariadne einen Tanzplatz konstruiert habe (Hom. Il. 18,590). Die mögliche Verbindung zu Höhlen und Grotten rührt von einem Mosaik aus Zypern her, auf dem ein alter Mann als personifiziertes Labyrinth dargestellt ist, wobei die Ikonographie der von Fluss- und Quellgöttern gleicht.
In ihrem Artikel zum „Labyrinth“ kommt Christine Walde in „Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike“ (DNP) noch auf eine mögliche Urform des Labyrinths zu sprechen, das ursprünglich womöglich den Uterus oder allgemein den menschlichen Körper, vielleicht aber auch die Unterwelt, einen Stadtplan oder den Verlauf von Himmelskörpern symbolisiert haben könnte. Zu Labyrinthen bei außereuropäischen Kulturen kann ich nur auf die Wikipedia verweisen.
Der Minotauros als außerirdischer Besucher bei Isaac Asimov
Übrigens hat Isaac Asimov in jungen Jahren eine Kurzgeschichte geschrieben, in der der Minotauros als ein Außerirdischer auftrat, der mit den besten Absichten im antiken Kreta landete, dort aber auf wenig Sympathien stieß. Leider ist die Geschichte heute verloren, da sie nie veröffentlicht wurde, was Asimov selbst darauf zurückführte, dass er die Geschichte in einer etwas arg antikisierenden Sprache geschrieben habe.3
Schlussbetrachtungen
Während nach dem alten Tausendsassa Daidalos und seinem Sohn Ikaros in der Science Fiction mehrere Raumschiffe benannt wurden, konnte ich bisher außer bei „Dark“ keine direkten Bezüge zu Theseus, Ariadne und Minos finden, was sich aber natürlich noch ändern kann. Und somit endet ein Artikel zum Labyrinth in der Phantastik, der eigentlich ganz kurz werden sollte, mit einer recht überraschenden Länge, was aber wohl das beste Zeugnis für die ewige Faszination des Labyrinthes darstellt.
Literatur:
Artikel „Daidalos“, „Labyrinth“, „Minos“, „Minotauros“, „Theseus“ aus „Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike“ (DNP).
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Anmerkungen
- Beim LucasArts- bzw. Lucas Filmgames-Adventure „Zak McKracken“ wurden teilweise etwas nervige Irrwege bewusst von den Spielemachern eingesetzt, um die Spieldauer bei möglichst geringer Datenvermehrung in die Länge ziehen zu können, ohne der Spielerschaft auf dem C64 die Verwendung einer zweiten Diskette zumuten zu müssen. (Ich erinnere mich noch daran, dass „Monkey Island 2: LeChuck’s Revenge“ für damalige Verhältnisse unglaublich viele Disketten benötigte, was dann aber schon auf dem Amiga 500 gewesen sein dürfte.)
- Bei Linear B handelt es sich um eine Silbenschrift, die vom 15. bis zum 12. Jh. v.Chr. von Kreta ausgehend in weiten Teilen Griechenlands Verbreitung fand (s.u.).
- I. Asimov: In Memory yet Green. The Autobiography of Isaac Asimov 1920-1954, New York 1979, S. 224. Asimov versuchte bei den wörtlichen Reden der Kreter die homerische Ausdrucksweise zu imitieren.