Sirenenhafte Amazonen in „Star Trek Voyager: The Favorite Son“

Gegen Ende der dritten Staffel präsentiert uns Star Trek: Voyager die Folge „The Favorite Son“, in der wir auf einem Planeten außerirdische Frauen kennenlernen, die größere Ähnlichkeit mit den Sirenen, den Frauen von Lemnos und den Amazonen der griechischen Mythologie aufweisen. Werfen wir also einen genaueren Blick auf diese Episode.

Inhaltliche Zusammenfassung

Merkwürdige Déjà-vus

Als die die Besatzung der USS Voyager während ihrer Reise durch den Delta-Quadranten ein neues Sternensystem erreicht, beschleicht Ensign Harry Kim das Gefühl, diese Region bereits zu kennen. Was die Crew zunächst als ein „gewöhnliches“ Déjà-vu abtut, hat plötzlich lebensgefährliche Konsequenzen. Denn während eines scheinbar friedlichen Erstkontakts mit dem außerirdischen Volk der Nasari, ergreift Kim die Vorahnung, dass diese einen Hinterhalt planen, weshalb er ohne entsprechenden Befehl das Feuer eröffnet. Zu aller Überraschung stellt sich im Nachhinein heraus, dass diese Entscheidung richtig war und die Nasari wirklich einen Überraschungsangriff auf die Voyager planten.

Nachdem Kim nachts davon träumt, wie er als Kind eine Krankheit hatte, die mit einem Ausschlag im Gesicht verbunden war, erwacht er morgens mit ungewöhnlichen Flecken im Gesicht, die der Schiffsarzt nicht einordnen kann.

Aber damit nicht genug: Als die Nasari mit Verstärkung zurückkehren, ist Kim davon überzeugt, dass sich die Voyager beim Planeten Taresia in Sicherheit bringen kann. Mangels Alternativen folgt Janeway diesem Rat und tatsächlich erscheint ein Schiff der Taresianer, das die Voyager vor der feindlichen Übermacht rettet.

Die Taresianer und ihr „Sohn“

Es stellt sich heraus, dass die Taresianer dieselben „Flecken“ im Gesicht tragen wie Kim. Und sie sind auch keineswegs überrascht ihn zu sehen, sondern geben an, bereits auf ihn gewartet zu haben.

Denn die Taresianer, bei denen es sich zunächst ausschließlich um Frauen handelt, geben vor, dass ihre Männer das Universum bereisen, um auf vielerlei Planeten weiblichen Bewohnerinnen heimlich ihre Embryos einzupflanzen. Wenn die Kinder dann ausgewachsen sind, mache sich ein Instinkt bemerkbar, der dazu führe, dass sie unbewusst nach dem Planeten Taresia suchen und deshalb zum Beispiel der Sternenflotte beitreten. Auf diese Weise möchte die zu 90% weibliche taresianische Gesellschaft sicherstellen, dass ihr Genpool immer wieder von außen aufgefrischt wird.

Doch der taresianische Nachwuchs verfüge nicht nur über den inneren Drang, in ein unbekanntes zuhause zurückzukehren, sondern ist auch genetisch mit diversen Information versehen, zu denen etwa das Wissen zählt, dass den Nasari nicht zu trauen ist. Harry Kims Déjà-vus erklären sich also dadurch, dass er scheinbar ein Taresianer und daher von seiner Genetik her mit einem bestimmten Wissen ausgestattet ist.

Die taresianische Gesellschaft und die schreckliche Wahrheit

Da der Planet Taresia kaum Männer aufweist, sind männliche Rückkehrer bei den Frauen heiß begehrt. So schwärmen sie wie Geishas um Neuankömmlinge herum, um diese dann verwöhnen und heiraten zu können, wobei jeder Mann mehrere Gattinnen erhält.

Was zunächst wie eine (schmutzige) Männerphantasie klingt, erweist sich in Wahrheit als ein absoluter Alptraum. Denn in der Hochzeitsnacht entziehen die Gattinnen dem Bräutigam zur Befruchtung Genmaterial, weshalb von den Männern nur etwas übrig bleibt, das stark an Mumien erinnert.1.

Da die Männer in der Hochzeitnacht – ohne dies vorher zu wissen – ihr Leben verlieren, kann natürlich die Geschichte nicht stimmen, dass Embryos von männlichen Taresianern in sämtlichen Ecken des Weltraums verteilt werden. Es stellt sich heraus, dass in Wahrheit ein für diesen Zweck kreierter Virus dafür sorgt, dass sich männliche Wesen optisch den Taresianern annähern und Wissen über die Nasari etc. eingepflanzt bekommen. Diesen Virus muss sich Harry, bei dem es sich also doch um einen Menschen von der Erde handelt, bei einer Außenmission zugezogen haben.

Sobald der Ensign versteht, dass die scheinbar so freundlichen Taresianerinnen ihn gegen seinen Willen auf dem Planeten festhalten und aus Gründen der Fortpflanzung töten wollen, greifen die Frauen zur Gewalt. Mit Kampfstäben in den Händen umkreisen und attackieren sie ihn, bis er schließlich in letzter Sekunde von der Voyager aus der brenzligen Situation herausgebeamt werden kann.

The Favorite Son Voyager Homer Odysseus
Odysseus und Kalypso vor einer Star Trek: Voyager-Filmbox.

Die Antikenrezeption

Sirenen im Weltraum

Nach seinem Abenteuer auf dem Planeten Taresia erzählt Harry Kim Neelix von der Szene aus der homerischen Odyssee, bei der Odysseus sich am Mast festbinden lässt, um gefahrlos den Gesängen der Sirenen lauschen zu können, während sich seine Männer zum Schutz die Ohren mit Wachs versiegeln. Da die Serie es schon von selbst anspricht, liegt es auf der Hand, sich die Parallelen zu den Sirenen genauer anzusehen.

Die Odyssee ist der älteste erhaltene Text, der uns von zwei namenlosen Sirenen berichtet. Ihr Aussehen wird nicht beschrieben, aber ihr Gesang ist so verführerisch, weil er Allwissenheit anbietet. Erst ab dem 6. Jh. v.Chr. nehmen Sirenen allmählich weiblichere Züge auf und vermischen sich spätestens im Mittelalter mit Vorstellungen von Meerjungfrauen.2

Die Parallele zu den Taresianerinnen liegt daher primär darin, dass sie männliche Wesen über den Virus wie durch „Sirenengesang“ zu sich locken und sie den betroffenen Männern dabei ein Wissen vermitteln, das diese zuvor nicht besaßen. Hinzu kommt, dass die Taresianerinnen von ihren Opfern nur verschrumpelte Körper mit vertrockneter Haut und Knochen übriglassen, was genauso in der Odyssee von den Sirenen gesagt wird.3.

Ein interessanter Unterschied liegt darin, dass sich Odysseus an den Mast fesseln lässt, um den Gesang der Sirenen gefahrlos anhören zu können. Wenn sich die Männer der Taresianerinnen in der Hochzeitsnacht mit ihren Frauen zurückziehen, werden sie ebenfalls gefesselt, in diesem Fall aber, um sie wehrlos zu machen.4

Bezirzende Kirke?

Was das „Bezirzen“ der Männer angeht, denke ich im Kontext der in der Folge angesprochenen Odyssee eher an die Halbgöttin oder Zauberin Kirke, von der sich dieses Wort ableitet.5

Die lemnischen Frauen

Djoyme Baker (S. 88) weist auf eine weitere Parallele hin, nämlich zu den Frauen von Lemnos. Diese sollen die Kulte der Aphrodite nicht angemessen gepflegt haben, woraufhin die verärgerte Göttin der Liebe dafür sorgte, dass die Ehemänner der Frauen diese von nun an verachten und sich thrakischen Sklavinnen zuwandten. Dies führte wiederum dazu, dass die Frauen von Lemnos beschlossen, ihre Gatten, die Thrakerinnen und auch die übrigen Männer der Stadt allesamt umzubringen.

So lebten sie fortan ohne Männer in einem Frauenstaat unter der Herrschaft der Königin Hypsipyle. Als Jason und die Argonauten auf ihrer Suche nach dem goldenen Vlies Lemnos erreichten, begegneten sie den lemnischen Frauen, die beschließen, Argonauten als neue Ehemänner anzunehmen. Dabei erklären sie den Umstand, dass sie alleine auf der Insel leben, indem sie behaupten, ihre Männer hätten sie zugunsten thrakischer Frauen verstoßen. Schließlich wären die Männer dann nach Thrakien ausgewandert. Die Argonauten bleiben dann tatsächlich eine Weile auf Lemnos, bevor es sie letztlich dann aber doch wieder ins Abenteuer zieht.6

Wie die Taresianerinnen müssen die Frauen von Lemnos den Männer also Unwahrheiten, präsentieren, da diese sonst sicherlich nicht bereit wären, bei Ihnen zu bleiben. Beide Gruppen scheinen zudem unter der Leitung einer Anführerin zu stehen.

An die Waffen, Amazonen!

Wenn die Taresianerinnen Kim gegen Ende der Folge mit Kampfstäben von der Flucht abzuhalten versuchen, löst dies unweigerlich Assoziationen mit den Amazonen aus. Während die aufgrund der Nennung in der Folge offensichtliche Parallele zu den Sirenen bereits gelegentlich in der Forschung Beachtung gefunden hat, sind die Bezüge zu den Amazonen – soweit ich sehe – bisher noch nicht thematisiert worden.

Auch die Amazonen lebten ohne Männer in einer reinen Frauengesellschaft. Laut Strabon (Geographika 11,5,1-2) trafen sie sich jedes Jahr zwei Frühlingsmonate lang nachts auf einem Berg mit den Gargariern, um dort mit diesen Kinder zu zeugen. Handelte es sich bei den Neugeborenen um Mädchen, verbleiben diese bei den Amazonen. Handelte es sich um Jungen, übergaben die Frauen diese ihren Vätern.

Fazit

Obwohl die Macher*innen der Serie die Parallele zu den homerischen Sirenen in den Vordergrund rücken, weist die Folge „The Favorite Son“ auch Bezugspunkte zu den Frauen von Lemnos und den Amazonen auf, wobei offen bleiben muss, ob dies beabsichtig war oder eher zufälliger Natur ist.

Es gibt so einiges, das an der Folge „The Favorite Son“ fragwürdig erscheint. Hinsichtlich der Antikenrezeption gehört sie jedoch zweifellos zu den besonders spannenden Episoden der Serie.

Im Data sein Hals-Podcast habe ich diese Folge übrigens mit Felo besprochen. Hört dort gerne rein!

Mehr Star Trek

Eine Übersicht über alle Star Trek-Artikel auf fantastischeantike.de findet Ihr hier.

Literatur

Baker, Djoyme: „Every Old Trick is New Again“ – Myth in Quotations and the Star Trek Franchise, in: Matthew Wilhelm Kapell: Star Trek as Myth. Essays on Symbol and Archetype at the Final Fronier, Jefferson, North Carolina 2010, 80-91.

Wenskus, Otta: Umwege in die Vergangenheit. Star Trek und die griechisch-römische Antike, Innsbruck 2009.

Michael Kleu

Anmerkungen

  1. Djoyme Baker (S. 88) verweist zurecht auf die Parallelen zur Star Trek: The Animated Series-Episode „The Lorelei Signal“, die eine ähnliche Thematik aufweist. Bezeichnenderweise befindet sich der Planet dort im taureanischen System, was eine gewisse Ähnlichkeit zu Taresia aufweist.
  2. Da ich die Sirenen bereits in einem anderen Artikel ausführlich vorgestellt habe, belasse ich es hier bei den nötigsten Informationen. Wenn Ihr mehr über Sirenen erfahren möchtet, findet Ihr hier meinen Artikel.
  3. Vgl. hierzu Homer, Odyssee 12,45-46 und Wenskus S. 108.
  4. Vgl. Baker S. 89.
  5. Djoyme Baker (S. 87) spricht dem Gesang der Sirenen auch eine erotische Komponente zu.
  6. Die hier wiedergegebene Variante der Erzählung stammt von Apollonios von Rhodos (Argonautika 1,609-908). Laut Apollodoros 1,9,17 strafte Aphrodite die Frauen mit schlechtem Geruch bzw. schlechtem Atem und sorgte so dafür, dass sich die Männer den Thrakerinnen zuwandten.

3 Kommentare zu „Sirenenhafte Amazonen in „Star Trek Voyager: The Favorite Son“

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  1. Irgendwie ja ne geile Geschichte, dass eine Göttin die Frauen eines Volkes mit Befall von Mundgeruch straft! 😀
    Mit Odol wär das alles nicht passiert.

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