Nachdem wir bereits vor einiger Zeit Doctor Who in einer der neueren Episoden der Serie ins antike Pompeij begleitet haben, wenden wir uns heute einer frühen Produktion des beliebten BBC-Formats zu. In dieser reist die zweite Inkarnation des von Patrick Troughton verkörperten Doctors in dem Fünfteiler „The Mind Robber“ (1968) an einen Ort, der sich jenseits von Zeit und Raum befindet und literarische und mythologische Figuren lebendig werden lässt.
Zusammenfassung der Handlung von „The Mind Robber“
Als die TARDIS, eine Telefonzelle, die innen wesentlich größer ist als es von außen den Anschein hat und die Doctor Who als Transportmittel dient, von einem Lavastrom verschüttet wird, bleibt dem Doktor nichts anderes übrig, als ein Notfallprogramm zu starten, das die TARDIS außerhalb von Raum und Zeit in Sicherheit bringen soll.
Nachdem dies gelungen ist, finden sich der Doctor und seine Begleiter*innen Zoe und Jamie in einem weißen Nichts wieder. Doch bald schon beginnen Zoe und Jamie in diesem Nichts ihre jeweilige Heimat zu sehen, während der Doctor zunächst vorsichtig bleibt und davor warnt, die TARDIS zu verlassen. Letztlich wagen sich dennoch alle drei aus unterschiedlichen Gründen nach draußen. Kurz darauf scheint die TARDIS zu explodieren, sodass eine Rückkehr ausgeschlossen ist.
In der Folge begegnen der Doctor, Zoe und Jamie diversen Figuren aus Märchen, Mythologie und Literatur. So treffen sie etwa auf Gulliver aus „Gullivers Reisen“, Rapunzel, Roboter, lebensgroße Spielzeugsoldaten und ein Einhorn. Im Zentrum eines finsteren Labyrinths, in dem sie sich ganz traditionell mit einem Faden zu orientieren versuchen, begegnen sie dann dem Minotauros und kurze Zeit später auch der Medusa.
Im weiteren Verlauf der Handlung treten noch Figuren wie d’Artagnan, Cyrano de Bergerac, Captain Blackbeard oder Ivanhoe in Erscheinung. Es stellt sich schließlich heraus, dass sich unsere Gruppe in einem Land der Fiktionen befindet, in das außerirdische Wesen die Menschheit umsiedeln möchten, um den dadurch freigewordenen Planeten Erde leichter unter ihre Kontrolle bringen zu können.
Natürlich gelingt es dem Doctor am Ende, den Plan der Außerirdischen zu durchkreuzen und den ungewöhnlichen Ort mit der TARDIS zu verlassen, die sich wieder zusammensetzt, nachdem die Macht der fremden Wesen gebrochen ist.
Mit Ariadnefaden durch das Labyrinth
Mit dem Minotauros und der Medusa treten in diesem Sammelsurium fiktiver Figuren gleich zwei prominente Wesen der griechischen Mythologie in „The Mind Robber“ in Erscheinung. Der Minotauros befindet sich ganz klassisch in einem Labyrinth und passend zur mythologischen Vorlage liegt auch sofort eine Rolle Garn an dessen Eingang bereit. Da Ariadne im Mythos den Helden Theseus mit dem nach ihr benannten Ariadnefaden ausstattete, um das Labyrinth erfolgreich zu durchqueren, schlussfolgert der Doctor zurecht, dass die bereitliegende Garnrolle sicherlich als Einladung oder Aufforderung zu verstehen ist, in das Labyrinth vorzustoßen.
Der Minotauros in „The Mind Robber“
Im Zentrum des Labyrinths ist zunächst ist nur das Gebrüll des Minotauros zu hören. Dann erscheint der bedrohlich wirkende Schatten seines gehörnten Kopfes an einer Wand, bevor das Wesen endlich sein Gesicht zeigt. Als Maske verwendete das Filmteam einen bereits vorhandenen gehörnten Kopf aus älteren BBC-Beständen, was erklären dürfte, weshalb der Kopf eher wie der eines Kobolds oder Gnoms als der eines Minotauros aussieht. Der Doctor und Zoe besiegen das Wesen jedenfalls, indem sie laut aussprechen, dass sie nicht an seine Existenz glauben.
Die Medusa
Bei der Medusa handelt es sich um eine in einem grauen Ganzköperanzug gekleidete Frau, die eine ausdruckslose Maske trägt und auf deren Haupt sich mit Hilfe von Stop Motion-Technik mehrere Schlangen bewegen. Wie schon der Minotauros erscheint auch die Medusa nur bedingt gelungen, was sicherlich auf das äußerst schmale Budget des Fünfteilers zurückzuführen ist.
Während Theseus seinen Schild als Spiegel nutzte, um die Medusa enthaupten zu können, ohne durch ihren Blick versteinert zu werden, wirft der Doctor ein gefundenes Schwert gleich wieder weg. Vielmehr verwendet er einen Taschenspiegel, mit Hilfe dessen er und Zoe sich gefahrlos das Gesicht der Medusa ansehen und so schließlich die Angst vor ihr verlieren. Daraufhin verwandelt sich das Geschöpf in eine harmlose Statue.
Minotauros und Medusa als bekannte Figuren der griechischen Mythologie
Drehbuchautor Peter Ling wählte für die Erzählung ganz bewusst fiktive Charaktere, bei denen er davon ausgehen konnte, dass das Publikum sie kennt, wobei allgemein bei den späteren Erinnerungen der Beteiligten an die Produktion wiederholt deutlich wird, dass man in Bezug auf das Publikum vor allem auch an Kinder dachte.1 Dementsprechend muss Ling den Minotauros und die Medusa als besonders populär eingestuft haben, was sicherlich auch heute noch so richtig ist wie 1968.2
Schubladen, Schatztruhen und Pools
Eine sehr schöne Idee ist, dass sich in einer Art Zentrale der fiktiven Welt Schubladen befinden, die Aufschriften wie „Legends of Ancient Greece“ oder Titel berühmter Bücher tragen. Denn letztlich ist es genau das, was die Schöpfer*innen von „The Mind Robber“ getan haben und was ebenso für zahlreiche andere Werke der Populärkultur gilt: Sie entnehmen verschiedenen thematischen Schubladen, in denen sich sämtliche erhaltene Geschichten der Menschheit befinden, einzelne Aspekte, um diese dann als Bausteine für neue Erzählungen zu verwenden, was öfters auch zu einer Durchmischung von Materialien unterschiedlicher Herkunft führt. Alternativ könnte man statt von Schubladen auch von (Schatz-)Truhen oder Pools sprechen.
Schlussgedanken
Die Produktion des Doctor Who-Fünfteilers „The Mind Robber“ war von einem Mangel an Zeit und Geld geprägt.3 Dementsprechend kann es nicht überraschen, dass die Geschichte sicherlich gewisse Schwächen aufweist. Im Ergebnis handelt es sich aber dennoch um eine Produktion, die die ungünstigen Begleiterscheinungen der Dreharbeiten mit einigen innovativen und durchaus spannenden Ideen zu kompensieren versucht und sich daher völlig zurecht bis heute einer gewissen Popularität erfreut.4
- Die Bibliothek von Alexandria in „The Atlas Six“ - 28. Oktober 2024
- [Fantastische Antike – Der Podcast] Progressive Phantastik - 21. September 2024
- Walhalla – Die nordische Mythologie im Comic - 31. Juli 2024
Anmerkungen
- Vgl. hierzu die Dokumentation „The Fact of Fiction“ auf der DVD dieses Doctor Who-Fünfteilers.
- Im Begleitmaterial der DVD wird explizit angemerkt, dass Kinder der 1960er Jahre die Geschichte von Theseus und dem Minotauros besonders durch Nathaniel Hawthornes „Tanglewood Tales“ (1853) und Roger Lancelyn Greens „Tales of the Greek Heroes“ (1958) kannten.
- Vgl. auch hierzu die Dokumentation „The Fact of Fiction“ auf der DVD dieses Doctor Who-Mehrteilers.
- Die Bewertungen der fünf Episoden in der IMDB beruhen zwar quantitativ betrachtet auf relativ wenigen abgegebenen Stimmen, sind aber im Hinblick auf die Produktionsumstände nichtsdestotrotz durchaus bemerkenswert. Vgl. hierzu die entsprechenden Seiten der IMDB: Folge 1, 2, 3, 4 und 5.
Ich bin mit Sylvester McCoy als Doctor Who aufgewachsen und habe mich daher bis vorgestern gesträubt, eine Folge mit einem anderen Doctor anzuschauen. Allerdings hatte mich Rebecca Haar in unserer gemeinsamen Podcast-Folge so neugierig auf „The Mind Robber“ gemacht, dass ich nicht widerstehen konnte.
https://fantastischeantike.de/fantastische-antike-der-podcast-rebecca-haar-ueber-star-trek-und-doctor-who-als-moderne-mythen/
Ich denke, dass der Damm damit gebrochen ist und ich mich von nun an auch mit anderen Inkarnationen des Doctors anfreunden kann 😉