Veröffentlicht: 29. Oktober 2021 – Letzte Aktualisierung: 1. Mai 2023
Star Trek: Short Treks
Bei „Star Trek: Short Treks“ handelt es sich um eine Reihe kurzer Episoden, in denen 10 bis 20-minütige Geschichten über Orte oder Personen aus anderen Star Trek-Serien wie „Discovery“ oder „Picard“ erzählt werden. Während die erste Staffel (2018-2019) vier Folgen umfasst, zählen zur zweiten Staffel (2019-2020) sechs Episoden.
Episode 2: Calypso
Die zweite Episode der ersten Staffel der Short Treks stammt aus dem Jahr 2018 und trägt den Titel „Calypso“. In der Kurzgeschichte befindet sich ein Mann namens Craft nach einem 10-jährigen Krieg in einer defekten Rettungskapsel. Als er in die Nähe des vor 1.000 Jahren verlassenen Raumschiffs „Discovery“ kommt, rettet deren künstliche Intelligenz Zora Craft das Leben, indem sie ihn an Bord holt, ärztlich versorgt und mit Nahrung versieht.
Im Laufe der Zeit entwickelt sich eine Romanze zwischen Zora und Craft, der eine Zyklopen-Eulen-Tätowierung auf dem Rücken trägt und eine Leidenschaft für das Meer hegt. Doch Craft entscheidet sich letztlich gegen eine Beziehung zu der künstlichen Intelligenz, da auf seinem Heimatplaneten Alcor IV seine Frau und der gemeinsame Sohn auf ihn warten. Letzterer war noch kein Jahr alt, als Craft seine Familie verlassen hat, um in den Krieg zu ziehen. Zora sieht schließlich ein, dass Craft zu Frau und Kind zurückkehren sollte, und ermöglicht ihm, mit der letzten Rettungskapsel der „Discovery“ seine Heimreise anzutreten.
Calypso: Eine Odyssee im Weltall
Wie Drehbuchautor Michael Chabon im Kommentar zur Episode anmerkt, handelt es sich hier natürlich um eine in den Weltraum übertragen Version des Aufenthalts des Odysseus auf der Insel der Kalypso.1 Aus dem schiffbrüchigen Odysseus ist der Passagier einer defekten Raumkapsel geworden, wobei die „Discovery“ als rettende Insel fungiert. Während Kalypso in der griechischen Mythologie eine Nymphe ist, handelt es sich bei Zora als körperlose künstliche Intelligenz ebenfalls um einen nicht-menschlichen weiblichen Charakter. Wie Odysseus versucht Craft zu Frau und Sohn zurückzukehren, wobei er letzteren wie der König von Ithaka als Säugling verlassen hat. Der 10-jährige Krieg ist eine Referenz auf den Trojanischen Krieg, der ebenfalls 10 gedauert haben soll und auf den für Odysseus eine weitere 10 Jahre andauernde Irrfahrt folgte.
Der listenreiche Odysseus
Der Name Craft leitet sich davon ab, dass Odysseus in der Odyssee häufig als listenreich bezeichnet wird, was in englischen Übersetzungen mit „cunning“ oder eben auch „crafty“ wiedergegeben wird. Denn als Craft diesen Namen nennt, fragt ihn Zora: „Beause you are so crafty? Is that a quality people value on Alcor IV?“ Kurz darauf fügt sie hinzu, dass er offensichtlich listenreich genug war, um in einer feindlichen Rettungskapsel zu fliehen.
Dass Craft einer Kultur entstammt, deren Angehörige ihre wahren Namen nicht preisgeben möchten, dürfte sich darauf beziehen, dass sich Odysseus in der „Odyssee“ wiederholt mit falschem Namen vorstellt. Bezeichnenderweise sagt unser Protagonist nicht, dass er Craft heiße, sondern dass ihn die meisten so nennen.
Zyklopen-Eulen
Kommen wir zu der Zyklopen-Eule, die als Tätowierung Crafts Rücken ziert. Die Eule verweist auf Athene, die in der homerischen Vorlage die Schutzgöttin des Odysseus ist. Dass es ausgerechnet eine Zyklopen-Eule ist, spielt natürlich auf den Kyklopen Polyphem an, mit dem Odysseus und seine Männer im Verlauf ihrer Reise in Konflikt geraten. Schließlich ist Crafts Leidenschaft für das Meer noch als weiterer Hinweis auf die „Odyssee“ zu verstehen.
Eine Narbe als Erinnerung
Zora spricht Craft auf eine Narbe an, die er an seinem Körper trägt, obwohl er sie aus kosmetischen Gründen hätte entfernen lassen können. Cast erklärt daraufhin, dass er sich diese Narbe bei einer Jagd zugezogen habe. Über ein ähnliches Andenken verfügt auch Odysseus, den in jungen Jahren ein Eber bei einer Jagd am Schenkel verletzte, was zu einer dauerhaften Narbe führte (Homer, Odyssee 19,413–466).
Moderne Anpassungen
Bei allen Parallelen wird jedoch deutlich, dass die Geschichte der Folge „Calypso“ ein wenig an das heutige Publikum angepasst werden musste. So bleibt Craft seiner Frau treu, während Odysseus durchaus eine Beziehung mit Kalypso einging. Und anders als die künstliche Intelligenz Zora hat die Nymphe der Odyssee ihren Geliebten keineswegs freiwillig ziehen lassen. Vielmehr kommt der Götterbote Hermes zu ihr, um zu verkünden, dass Kalypso Odysseus auf Befehl des Zeus freigeben soll.
Fazit
Die sehr schöne Episode greift den Besuch des Odysseus auf der Insel der Kalypso als Grundgerüst für die Handlung auf, was ich im Rahmen meiner Projekte als strukturgebende Antikenrezeption bezeichne.2 Heraus kommt dabei eine richtig gute Erzählung, die auf Basis eines antiken Werks mit der Darstellung einer Beziehung zwischen Mensch und Künstlicher Intelligenz brandaktuelle Fragen aufgreift.
Weiterführunde Informationen
Eine ausführliche Besprechung der Folge mit entsprechenden Verweisen auf die griechische Mythologie findet Ihr bei den Kollegen vom Dicovery Panel-Podcast. Der Podcast spricht auch popkulturelle Bezüge an, die ich an dieser Stelle ausgeklammert habe.
Im Data sein Hals-Podcast habe ich diese Folge übrigens mittlerweile auch mit Felo besprochen. Hört dort gerne mal rein!
Mehr zur Antikenrezeption in Star Trek findet Ihr hier.
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