Gedanken zu „Assassin’s Creed Odyssey“ (I)

Vorbemerkungen:

Ich habe für mein kleines Forschungsprojekt vom Hersteller ein [REZENSIONSEXEMPLAR] von „Assassin’s Creed Odyssey“ zur Verfügung gestellt bekommen, dem ich mich allmählich etwas ausführlicher widmen möchte, nachdem mir Sony freundlicherweise für zwei Monate eine passende Konsole ausgeliehen hat. Letzteres hat Hans Diemer in die Wege geleitet, nachdem ich ihm mein Projekt vorgestellt habe, was natürlich ausgesprochen nett von ihm war. Zu meinem Umgang mit Rezensionsexemplaren könnt Ihr gerne auf Transparenz klicken.

Aller Anfang ist schwer

Gedanklich habe ich schon sehr oft damit begonnen, verschiedene Artikel über „Assassin’s Creed Odyssey“ zu schreiben, doch hat mich die Masse der Dinge, die ich gerne ansprechen würde, regelrecht erschlagen. Ich habe mich daher entschlossen, jetzt einfach mal einen Anfang zu wagen, um dann darauf aufbauend Weiteres zu besprechen. Dazu möchte ich anmerken, dass auf Twitter unter und weiteren Hashtags einige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schon manch spannende Entdeckung gemacht haben, was zum Teil in meine Gedanken eingeflossen ist.

Die Handlung und der geographische Rahmen

„Assassin’s Creed Odyssey“ spielt im Jahr 431 v.Chr., also zu Beginn des Peloponnesischen Krieges (431-404 v.Chr.), wobei man sich zunächst auf der Insel Kephalonia befindet, später aber einen Teil der damaligen griechischen Welt bereisen kann. Wie leider auch in der Fachwelt oft üblich, werden Sizilien, Süditalien, Südfrankreich und die Küste des Schwarzen Meeres, die ja auch alles griechisch besiedelte Landschaften waren, ausgeklammert. Dabei war das sizilische Syrakus die zweitgrößte Stadt der griechischen Welt und spielte aufgrund der athenischen Sizilien-Expedition durchaus eine wichtige Rolle im Peloponnesischen Krieg. Es wäre daher schön, wenn im Rahmen der regelmäßig erscheinenden Spielerweiterungen zumindest noch Sizilien der Karte hinzugefügt würde.

Kleinasien kommt auch ein wenig zu kurz, denke ich. Aber wie Simon Kleinschmidt unten in den Kommentaren anmerkt, ist die Karte in der vorhandenen Form bereits gewaltig, sodass man hier vielleicht aus Gründen der Spielbarkeit Abstriche machen muss. Jedenfalls festigt sich so die weit verbreitete Vorstellung, dass die antike griechische Welt im Wesentlichen mit der geographischen Ausdehnung des heutigen Griechenlands übereinstimmen würde, obwohl auch die oben genannten Regionen von Griechen besiedelt waren und große Beiträge zu dem leisteten, was wir heute als griechische Kultur bezeichnen.

Assassin's Creed Odyssey
Photo: Michael Kleu

Das Spiel und die Altertumswissenschaften

Grundsätzlich ist natürlich wie bei Filmen, Comics oder Romanen klar, dass auch die Schöpfer von Videospielen nur bis zu einem gewissen Grad auf wissenschaftliche Erkenntnisse zurückgreifen können, da wir aufgrund der Quellenlage heute eben nur versuchen können, die Antike so gut es eben geht zu rekonstruieren, wobei dann manches leider offen bleiben muss. Diese Lücken in der Überlieferung müssen in einer Spielwelt wie der von „Assassin’s Creed Odyssey“ natürlich dennoch irgendwie geschlossen werden, was gar nicht so einfach ist, wie ich aus eigener Erfahrung weiß, da ich an der Entwicklung einer App zum römischen Köln beteiligt war, wo wir ähnliche Probleme hatten.

Hinzu kommt, dass die Spielemacherinnen und -macher mit ihrer Entwicklung ziemlich viele Fachbereiche wie z.B. Alte Geschichte, Archäologie, Kunstgeschichte abzudecken hatten, was die Sache sicherlich nicht leichter machte. So ist es mir z.B. passiert, dass ich mit meiner Kollegin Anca Dan, deren Ausbildung stärker archäologisch ausgeprägt war als meine eigene, über ein Video zu Athen in „Assassin’s Creed Odyssey“ diskutierte (s.u.), wobei ihr zahlreiche Fehler auffielen, die ich selbst nie im Leben bemerkt hätte.1

Als letzten Punkt möchte ich in diesem Kontext noch anmerken, dass es sich bei dem Produkt letztlich natürlich um ein Spiel handelt, dass kommerziell erfolgreich sein und Spaß machen soll.

Söldnerinnen und fehlende Schilde

Daher versteht es sich meiner Meinung nach von selbst, dass man als Wissenschaftlerin oder Wissenschaftler ein bisschen nachsichtig sein sollte, wenn man im Spiel Dinge entdeckt, die nicht so ganz richtig sind, wobei gelegentlich die Frage ganz spannend ist, weshalb man sich für eine abweichende Darstellung entschieden haben mag. Ein klassischer Fall ist diesbezüglich der Umstand, dass man mit Kassandra eine umherziehende weibliche Söldnerin spielen kann, was – auch wenn Kassandra aus Sparta stammt, wo die Rolle der Frau offenbar von der in der restlichen griechischen Welt abwich – im „realen“ antiken Griechenland gesellschaftlich sicherlich nicht so ganz unproblematisch gewesen wäre. (Der männliche Gegenpart heißt Alexios.)

Nun spielen aber ja auch Frauen gerne Videospiele und ich finde es gerechtfertigt, da ein paar Anpassungen zu machen, damit Frauen eben einen weiblichen Charakter spielen können. (Ich selbst spiele übrigens auch mit Kassandra.) Konsequenter Weise sind dann auch ein paar der Räuber, Wegelagerer etc., die einem im Spiel über den Weg laufen, ebenfalls Frauen. Und dass man – wohl aus Gründen der Kampfmechanik – auf Schilde verzichtet, kann ich auch verschmerzen, obwohl ich hoffe, dass da nachträglich noch etwas kommt.

Römische Namen im Griechenland des 5. Jh. v.Chr. und Übersetzungsfehler

Was ich aber beim besten Willen nicht verstehe, sind die folgenden sonderbaren Entscheidungen. Zu Beginn des Spieles hat man eine Art väterlichen Mentor – auch wenn er moralisch ein bisschen missraten erscheint -, der auf den Namen Markos hört. Markos ist zwar in der Tat ein in Griechenland gebräuchlicher Vorname, doch gilt dies eher nicht für das 5. Jh. v.Chr., ist Markos doch eine Ableitung vom römischen Namen Marcus, der sich auf den Kriegsgott Mars bezieht. Und im 5. Jh. v.Chr. saßen die ollen Römer noch auf den Bäumen hatte Rom noch keine nennenswerte Prägewirkung auf Griechenland, weshalb ich beim besten Willen nicht verstehe, weshalb man auf die Idee gekommen sein mag, diesen Charakter Markos zu taufen. Ein paar Hundert Jahre später wäre das ok, aber im 5.Jh.? Und dann läuft da auch noch eine Frau namens Drusilla rum, was vielleicht sogar noch ein bisschen alberner ist …

Es gibt so viele griechische Vornamen, dass ich wirklich nicht verstehen kann, weshalb man so etwas tut! Außerdem scheint es mir in der deutschen Version einen Übersetzungsfehler zu geben. Denn im Spiel ist die Rede von der Höhle des Thetys. Thetys war jedoch als Titanin und Meeresgöttin eindeutig eine Frau. Oder ist vielleicht Thetis gemeint? Als Meeresnymphe und Mutter des Achilles ist auch diese Enkelin der Thetys im Normalfall eigentlich ziemlich weiblich. Hier scheint mir die Endung des Namens die Übersetzerinnen und Übersetzer verwirrt zu haben.

Eine gelungene „griechische“ Atmosphäre

Kommen wir wieder zu positiveren Aspekten. Als Griechenland-Begeisterter fühle ich mich in der Nachbildung der Landschaft sehr wohl. Schön ist auch, dass im Hintergrund Charaktere oft auf Altgriechisch sprechen, wobei man die neugriechische Aussprache verwendet zu haben scheint, was ich ok finde. (Ich bin ziemlich schlecht im Hören-Verstehen, daher bin ich mir nicht ganz sicher, was da gesagt wird.) Ziemlich oft hört man ein in Griechenland extrem beliebtes Schimpfwort, von dem ich zwar nicht weiß, ob es in der Antike ähnlich populär war, aber es gehört für uns heute lebenden Menschen halt irgendwie dazu. Nett ist, dass Statuen des Gottes Hermes, der ja in der Mythologie als Götterbote fungiert, genutzt werden, um per Aushang Aufträge unter das Volk zu bringen. (Eine gewisse Pakete ausliefernde Firma ist ja nicht zufällig nach diesem Gott benannt.)

Assassin's Creed Odyssey
Assassin’s Creed® Odyssey (Palast des Odysseus, Screenshot: Michael Kleu)

Antike Ruinen im antiken Griechenland und historische Persönlichkeiten

Richtig toll finde ich auch die Idee, dass sich viele Ruinen in der Landschaft finden, die aus vorherigen Jahrhunderten stammen. So findet man ja z.B. auf Ithaka den Palast des Odysseus (s.o.). So wie wir heute in (teilweise ehemals) griechischen Landschaften durch Ruinen wandeln, machen die Spielerinnen und Spieler das also auch, was die Welt vielleicht sogar noch ein wenig realer erscheinen lässt. In gewisser Weise betätigen sie sich sogar als antike Archäologen, wenn sie in den Ruinen nach Artefakten vergangener Zeiten suchen, auch wenn hier der Übergang zum Raubgräber sicherlich fließend ist.

Als ein gutes Beispiel dafür, dass alte Gebäude und Ruinen vergangener Zeiten die damaligen Griechen tatsächlich beschäftigten, mag Pausanias dienen, der im 2. Jh. n.Chr. von den noch heute erhaltenen Tholos-Gräbern im damals bereits zerstörten Mykene spricht (2.15.4 u. 2.16.6), die ihrerseits aus den Zeiten zwischen 1500 und 1220 v.Chr. stammen.2 Schließlich ist es für historische Begeisterte noch spannend, im Spiel auf reale Persönlichkeiten wie Herodot, Sokrates oder Alkibiades zu treffen.

Frank Millars „300“ als Vorlage

Gelegentlich scheint mir Frank Millers „300“ – sei es nun als Comic oder als Film – einen gewissen Einfluss auf die Spieleentwickler gehabt zu haben. Zu Beginn des Spiels kämpft man z.B. in der Schlacht bei den Thermopylen (480 v.Chr.), um den Kampfmechanismus vor Beginn der eigentlichen Handlung einüben zu können. Teilweise erscheinen hier ungewöhnlich großgewachsene Gegner, die mich ein wenig an die fantastischen Kreaturen aus „300“ erinnern. Hinzu kommt, dass es den „Spartanertritt“ als Fertigkeit gibt, der ganz offensichtlich an die Szene angelehnt ist, in der Leonidas (This is Sparta!) einen persischen Gesandten in eine Grube tritt.

Schließlich ähnelt der Vater Kassandras bzw. des Alexios doch mit den kurzen Haaren und dem Bart arg der Darstellung des Leonidas in „300“, der eine ähnliche Frisur hat, die dort allerdings noch mit einem kleinen Zopf versehen ist. Im Spiel hingegen wird König Leonidas bei der Schlacht bei den Thermopylen langhaarig dargestellt. Aus Herodot 1,82,8 scheint tatsächlich hervorzugehen, dass Spartaner zur hier relevanten Zeit – angeblich seit einem Krieg gegen Argos – die Haare lang trugen, worauf auch ein kurzer Text im Spiel, der die Ladezeit überbrücken soll, verweist.

Assassin's Creed Odyssey
Assassin’s Creed® Odyssey (Kassandra und ihr Vater Nikolaos, Screenshot: Michael Kleu)

Abgesehen von den oben angesprochenen Namen und kleineren Fehlern (vgl. Anm. 1) macht das Spiel hinsichtlich der Antikenrezeption bisher einen recht guten Eindruck. In den folgenden Beiträgen wollen wir das anhand ausgewählter Beispiele weiter vertiefen.

Hier geht es zum zweiten Teil der Artikelreihe.

 

Michael Kleu

Anmerkungen

  1. Anca Dan wies darauf hin, dass in der oben eingefügten Tour durch Athen die blauen Umhänge falsch sind, während ein paar der Vasen, die im Video von Handwerkern hergestellt werden, nicht ins 5., sondern ins 4. Jh. v.Chr. gehören. Auch hat sich eine Artemis-Statue eingeschlichen, bei der es sich eigentlich um eine Rekonstruktion aus der frühen Neuzeit handelt. Die gezeigten Sphinxen entsprechen dem ägyptischen Typ, nicht dem griechischen. Hier und da findet sich auch Römisches. Im Video finden größere Bauarbeiten am Olympieion (Tempel des olympischen Zeus) statt, obwohl sich zwischen 510 v.Chr. und dem 3. Jh. v.Chr. diesbezüglich nichts ereignet hat. Das Haus des Perikles ist im minoischen Stil gehalten, was etwa 2.000 Jahre früher anzusiedeln ist. Die Friese aus Persepolis gehören nicht in das Odeion des Perikles.
  2. Vgl. zum Einfluss minoischer und mykenischer Ruinen auf die griechische Welt Nicoletta Momigliano: In Search of the Labyrinth. The Cultural Legacy of Minoan Crete, London/New York 2020, 6-12 und 21-30.

2 Kommentare zu „Gedanken zu „Assassin’s Creed Odyssey“ (I)

Gib deinen ab

  1. Die angeführte Kritik, dass Ubisoft Sizilien sowie die kleinasiatische Westküste gewissermaßen „unterschlagen“ hat, ist aus historischer Perspektive durchaus nachvollziehbar und berechtigt.

    Es ist jedoch anzumerken, dass die tatsächliche vorhandene Map als Openworld, bis zum Release von Red Dead Redemption II (26.10.18), die größte Karte aller Offline-Spiele war, die bis eben zu diesem Zeitpunkt veröffentlicht wurde und schöpfte damit alle Möglichkeiten des damaligen Produktionszeitraums aus. (Natürlich besteht ein Großteil der Karte aus Wasser, aber auch dieses musste programmiert werden! Alternativ hätten die Spielentwickler auch auf bisherige Reisesysteme, wie in AC II zurückgreifen können, in dem man nur von Stadt zu Stadt „springen“ konnte. Dadurch wäre jedoch ein Großteil des „Feelings“ und ein entscheidendes Charakteristikum der antiken griechischen Welt, eben die Seefahrt, verloren gegangen.)

    Die Größe der Karte spiegelt sich nicht zuletzt in der Spielzeit wieder. Nach hausinternen Berichten von Ubisoft sowie mehreren Let’s Playern beträgt die totale Spielzeit bis zu 100 Stunden! (Für 100% Spielfortschritt = 40h für die Hauptstory – 60h für alle Nebenquests; wobei diese zum Teil erfüllt werden müssen, um das empfohlenen Level für die Hauptquest zu erreichen.) Eine Erweiterung der Karte hätte die Spielzeit noch einmal verlängert.
    Das daraus resultierende Problem wäre gewesen, dass durch das begrenzte Aufgaben-Repertoire (Objekte stehlen/abholen/ausliefern, Festungen einnehmen und besetzten, Personen assassienieren) Langeweile entstanden wäre.
    Ein Umstand der jetzt schon bei den meisten Spielern eintritt und auch ich persönlich spiele seit 60 Stunden, bin immer noch nicht mit der Hauptstory durch und bin jetzt schon von den Aufgaben gelangweilt. Wenn ich mir jetzt noch vorstelle, dass ich noch nach Sizilien/ Kleinasien müsste, obwohl ich noch nicht mal die „griechische Welt“ vollendet habe, würde ich aus Frust einfach aufhören – Und nichts ist tödlicher für ein Spiel als Langeweile!
    Ubisoft hat vollkommen richtig gehandelt, um sein eigenes Spiel nicht (noch mehr) zu „überfüllen“.
    Denn seinen wir mal ehrlich: Irgendwann will jeder das Spiel einfach durchhaben und zurück ins Regal stellen.

    Wie Sie schon angemerkt haben, gibt es im Spiel selbst einige archäologische und historische Unstimmigkeiten. So ist mir beispielsweise aufgefallen, dass die Metopen der Tempelarchitektur alle gleich sind / sich am Tempel selbst immer wiederholen. (Das gleiche gilt übrigens auch für die Giebel der Tempel.)

    Angesichts der erforderlichen Menge an Codes, die für das gesamte Spiele geschrieben werden mussten, jedoch Kleinigkeiten, die mit einem Augenzwinkern wahrgenommen werden sollte. Man versucht eben doch, trotz aller Liebe zum Detail, den Arbeitsaufwand ging zuhalten.

    1. Guter Hinweis!

      Dann gehört das zu den Punkten, wo man wegen des Spielmechanismus Abstriche machen muss (wie beim Schild).

      Ich würde aber trotzdem ganz gerne nach Sizilien 😉 Vielleicht kommt da ja doch noch ein Zusatzpaket.

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