Veröffentlicht: 13. Juli 2020 – Letzte Aktualisierung: 21. September 2022
„Wien, vom 1. Oktob. (Aus Privatbriefen.) […] Gestern wurde auf dem Wiednertheater ein Singspiel, die egyptischen Geheimniße, zu welchem Hr. Mozart die Musik komponirte […], mit ungetheiltem Beifall aufgeführt. Hr. Schikaneder hat alles angewendet, diese Oper nach dem wahren Kostum mit gehöriger Pracht in Kleidung und Dekorazionen vorzustellen.“[1]
Mit dem Singspiel, von dem dieser kurze Abschnitt aus der Münchener politischen Zeitung vom 7. Oktober 1791 berichtet, kann nur ‚die Zauberflöte‘ gemeint sein, mit dem Text von Emanuel Schikaneder und der Musik von Wolfgang Amadeus Mozart. Sie wurde am 30. September 1791 im Theater auf der Wieden in Wien uraufgeführt und ist mittlerweile die meistgespielte Oper auf deutschen Bühnen.[2] Auf den ersten Blick ist die Zauberflöte ein klassisches Zaubermärchen: Der Prinz Tamino wird von der sagenumwobenen Königin der Nacht ausgeschickt, um ihre Tochter Pamina zu retten, die von dem ‚bösen Dämon‘ Sarastro geraubt wurde. Als Hilfsmittel erhält er von der Königin eine Zauberflöte, die „der Menschen Leidenschaft verwandeln“[3] kann.
Lulu oder Die Zauberflöte
Dieser Plot erinnert an das Dschinnistan-Märchen ‚Lulu oder Die Zauberflöte‘, in dem der böse Zauberer Dilsenghuin der Fee Periferime ihre Tochter Sidi und einen vergoldeten Feuerstrahl raubt. Die Fee beauftragt daraufhin den Prinzen Lulu, der sich zu ihrem Schloss verirrt hat, mit der Rettung und gibt ihm einen Ring und eine Flöte „mit der Kraft eines jeden Hörers Liebe zu gewinnen“[4]. Würde die Zauberflöte der Handlung des Märchens folgen, müsste Tamino Sarastro besiegen und Pamina befreien, sie nimmt jedoch einen gänzlich anderen Verlauf: Es stellt sich heraus, dass Sarastro kein Dämon, sondern Priester im Weisheitstempel von Isis und Osiris ist. Er hat Pamina entführt, um sie vor ihrer Mutter zu schützen, die erzürnt darüber war, dass ihr Mann vor seinem Tod nicht ihr, sondern Sarastro und den Eingeweihten den ‚siebenfachen Sonnenkreis‘ übergeben hat und versucht sich sowohl über Tamino, als auch über Pamina dafür an Sarastro zu rächen.
Sarastro hingegen bietet Pamina die Freiheit, wenn sie und Tamino sich in die Mysterien der Isis und des Osiris einweihen lassen. Dadurch, dass die beiden die Prüfungen bestehen, die mit der Einweihung verbunden sind, wird die Macht der Königin gebrochen. Mozart und Schikaneder haben sich also dazu entschlossen, die Handlung der Zauberflöte im zweiten Akt ins Alte Ägypten zu verlegen. Und so scheint es wenig verwunderlich, dass ‚die egyptischen Geheimniße‘ ein früherer Arbeitstitel der Zauberflöte war, der auch in den obengenannten Zeitungsartikel Eingang gefunden hat. Doch wie sind Mozart und Schikaneder mit den antiken Stoffen in Berührung gekommen und auf welche Weise lassen sich antike Quellen in der Handlung der Zauberflöte wiederfinden?
Mysterienfieber des 18. Jahrhunderts
Erste Berührungspunkte mit der Antike ergaben sich sowohl bei Schikaneder als auch bei Mozart schon relativ früh in ihrem Leben. Für Schikaneder waren diese vor allem schulischer Natur. Er besuchte das Jesuitengymnasium St. Paul in Regensburg, wo er sowohl in Latein und Altgriechisch als auch in Geschichte unterrichtet wurde.[5] Mozart hingegen ging als Wunderkind schon früh auf Konzertreisen. Diese führten ihn 1770 auch nach Italien, wo er mit seinem Vater die Ausgrabungen in Pompeji und Herculaneum besichtigte.[6]
Besonders beeindruckt hat ihn der Isistempel, der zu Beginn der 1760er Jahre freigelegt worden war und zu den besterhaltensten Bauwerken Pompejis zählt.[7] Hier dürfte er erstmals mit dem Isiskult in Berührung gekommen sein, den Schikaneder und er in der Zauberflöte verarbeitet haben und auch einige der Wandbilder könnten einen Einfluss auf die Handlung und das Bühnenbild gehabt haben. So könnten die zahlreichen Darstellungen von Schlangen auf Lararien in Pompeji die Inspiration dafür gewesen sein, dass Tamino zu Beginn des ersten Akts von einer Schlange verfolgt wird.
Leopold Mozart beschrieb die Besichtigung in einem Brief an seine Frau folgendermaßen: „Man muß alle seltenheiten zu sehen allezeit eine flambo mit haben, indem vieles unter der Erde ist.“[8] Die antiken Stätten – die offenbar zum Zeitpunkt der Besichtigung noch nicht vollständig freigelegt waren – präsentierten sich ihnen also als Ansammlung unterirdischer Gänge, die im Schein der Fackeln sicherlich sehr mystisch gewirkt haben. Diese Erfahrungen standen ganz im Einklang mit der Ägyptenkonzeption des 18. Jahrhunderts. Der Rosettastein, der die Entschlüsselung der Hieroglyphen ermöglichte, wurde erst 1799 gefunden. Davor stellten die Hieroglyphen ein Rätsel dar, was zu der weit verbreiteten Auffassung führte, dass sich große Geheimnisse in der Kultur der Ägypter verbargen.[9]
Die Freimaurer und das alte Ägypten
Die Wiener Freimaurerloge „Zur wahren Eintracht“ sah ihren Ursprung in den Priesterorden des Alten Ägyptens, weshalb sie es sich zur Aufgabe machte, die antiken Mysterien als Vorbild für ihre Logenrituale zu erforschen. Die Ergebnisse wurden im ‚Journal für Freymaurer‘ publiziert.[10] In dieser Zeitschrift wurde auch der Vortrag ‚Über die wissenschaftliche Maurerey‘ von Anton Kreil veröffentlicht, den dieser bei der Meisterweihe Leopold Mozarts hielt. Laut Logenprotokoll war auch Wolfgang Mozart anwesend,[11] der also auch hörte, wie Kreil in seinem Vortrag darlegte, „der ägyptische Priesterorden [sei] in dem Besitze der gesammelten Kenntnisse der Vorwelt gewesen.“
Weiter beschrieb Kreil, die Priester hätten „die Hälfte ihres Lebens in unterirrdischen Höhlen zugebracht“, um „ihre wahre oder vermeintliche Wissenschaft unter einem beynahe undurchdringlichen Schleyer zu verhüllen.“ Dies hätten sie getan, „weil ihr Wissen solche Kenntnisse enthielt, die entweder den Profanen schädlich, oder von den ungeprüften Charakters und Verstandes entweder nicht gefaßt, oder […] aus Schwäche des Herzens mißbraucht werden könnten“.
Damit diese Kenntnisse trotz Geheimhaltung nicht verloren gingen, hätten die Priester „ihre Weisheit, in Hieroglyphen verkleidet, in Pyramiden, Obelisken, steinerne Tafeln, und Säulen zur stummen Aufbewahrung ein[gegraben]. Ausserdem aber wählten sie noch die rechtschaffensten, geprüftesten und hellsten Köpfe aus, um ihnen, nach gehöriger Ausbildung, Prüffung und Einweihung, das kostbare Pfand ihrer Geheimnisse, zur Ueberlieferung auf die Nachkommenschaft, anvertrauen zu können.“[12]
Ägypten als Hort der Weisheit
Das Konzept von einem ägyptischen Priesterorden, der im Untergrund geheime Weisheiten an wenige Auserwählte weitergab, die sich zuvor als würdig erweisen mussten, klingt zunächst nach freimaurerischem Mystizismus. Die Vorstellungen Kreils basieren jedoch auf antiken Quellen, die er auch an zahlreichen Stellen seines Vortrages zitiert – allen voran Diodor, der zum Beispiel beschreibt, bei den Ägyptern „seien Schrift und Sternenkunde erfunden worden, dazu habe man bei ihnen auch die Lehrsätze der Geometrie entdeckt, seien die meisten Künste entstanden und die besten Gesetze gegeben worden.“[13]
Ägypten, das unter anderem wegen seines ehrwürdigen Alters bewundert wurde, galt also schon in der Antike als Ort der Weisheit, zu dem man gereist sein musste, wenn man sich zu den Gelehrten zählen wollte.[14] Bei Herodot findet sich die Beschreibung eines riesigen, teilweise unterirdisch angelegten Labyrinths, an das eine Pyramide anschließt und dessen unterirdische Gänge er nicht betreten durfte.[15] Alle Motive – also die Weisheit der Ägypter, die geheimen unterirdischen Räumlichkeiten verbunden mit der Ausbildung würdiger Adepten in den Mysterien der Isis finden sich gesammelt noch einmal bei Lukian:
„Bei der Fahrt stromaufwärts fuhr zufällig mit uns ein Mann aus Memphis, einer von den ägyptischen Schriftgelehrten, bewundernswürdig ob seiner Weisheit und ein genauer Kenner der ägyptischen Bildung; es hieß von ihm, er habe dreiundzwanzig Jahre in den der Allgemeinheit unzugänglichen Räumen unter der Erde gewohnt, wo er von der Isis herangebildet wurde.“[16]
Durch Kreil wurden also einige antike Quellen an Mozart herangetragen und haben schließlich Eingang in die Zauberflöte gefunden.
Etymologische Antikenrezeption
Bei der Benennung der meisten ihrer Figuren haben sich Mozart und Schikaneder von der Antike inspirieren lassen. Angefangen beim Heldenpaar Tamino und Pamina. Diese Namen haben ihren Ursprung im Alten Ägypten und drücken die Zugehörigkeit zu Min, dem Ortsgott von Koptos und Achmim aus. Pa-min bedeutet soviel wie ‚der dem Min gehörige Mann‘ und Ta-min bedeutet ‚die dem Min gehörige Frau‘, in der Zauberflöte ist es jedoch zu einer Vertauschung der Anfangsbuchstaben gekommen.[17]
Der Name Sarastro erinnert stark an ‚Zoroaster‘ (ital. ‚Zoroastro‘), die gräzisierte Form von Zarathustra. Das Avesta, die heilige Schrift des Zoroastrismus, wurde erst wenige Jahre vor der Zauberflöte erstmals in eine europäische Sprache übersetzt, was die öffentliche Aufmerksamkeit auf das Thema gelenkt haben dürfte. Und dass es sich bei Zarathustra um einen Religionsstifter handelte, passt auch inhaltlich zu Sarastro in seiner Funktion als höchster Priester des Weisheitstempels.[18]
Schließlich ist noch Sarastros Diener Monostatos zu nennen, dessen Name sich aus den griechischen Wörtern μόνος (//allein) und στᾶτός (//stehend, von: ἳστημι//stehen) zusammensetzt, was also soviel wie ‚alleinstehend‘ bedeutet.[19] Und tatsächlich nimmt Monostatos eine Sonderposition ein, denn er wechselt in opportunistischer Weise auf die Seite der Königin der Nacht, da ihm Pamina von Sarastro verwehrt wird.
Tamino als Orpheus
Die Idee, den Orpheusmythos in den Kontext einer Mysterienweihe zu stellen, könnte von Kreil stammen, der in seinem Vortag erwähnte, dass auch Orpheus zu denjenigen gezählt habe, die nach Ägypten reisten, um die ägyptischen Wissenschaften zu erlernen.[20] Die Diodor-Stelle, auf die er sich dabei bezieht, verknüpft die beiden Elemente sogar noch expliziter: „So habe Orpheus die Hauptelemente seines mystischen Geheimkultes, […] dazu auch seine Erzählung von der Unterwelt aus Ägypten mitgebracht […].“[21] Es gibt jedenfalls einige auffallende Parallelen zwischen Tamino und Orpheus:
Parallelen Tamino/Orpheus
Tamino | Orpheus | |
Ihre Musik lockt wilde Tiere an | TAMINO. (Er spielt. Es kommen Tiere von allen Arten hervor, ihm zuzuhören) (1,15) | Solch einen Wald hatte der Sänger herbeigezogen und saß mitten im Kreis der wilden Tiere und in der Vögel Schwarm. (Ov. met. 10,143f.) |
Beide sind auf der Suche nach ihrer Geliebten; Damit die Rettung glückt dürfen sie jedoch nicht mit ihr kommunizieren | Auch dir, Prinz, legen die Götter ein heilsames Stillschweigen auf; ohne dieses seid ihr beide verloren. – Du wirst Pamina sehen – aber nie sie sprechen dürfen; (2,3) | Orpheus erhält sie und zugleich die Weisung, nicht eher die Augen zu wenden, als bis er das Tal der Totenwelt verlassen habe. Sonst sei das Geschenk widerrufen. Sie klimmen durch lastendes Schweigen den steilen Pfand hinan. (Ov. met. 10,52) |
Die Konfrontation mit dem Tod wird nur aufgrund ihrer Musik überstanden | Ihr wandelt durch des Tones Macht Froh durch des Todes düstre Nacht. (2,28) | Während er so sang und zu seinem Lied die Leier schlug, begannen die blutlosen Seelen zu weinen […] und weder die Gattin des Herrschers vermag dem Flehenden seine Bitte abzuschlagen noch der König der Tiefe. (Ov. met. 10,40-48) |
Die Königin der Nacht und Sarastro als Isis und Osiris
Die Königin der Nacht wird in der Zauberflöte auf unterschiedliche Weise angeredet: als ‚sternflammende Königin‘, als ‚mächtige Herrscherin der Nacht’ und sogar als ‚Göttin der Nacht‘ (1, 2). Es wird außerdem beschrieben, dass sie auf einem Thron sitzt, der ‚mit transparenten Sternen geziert‘ ist (1, 6). Diese Beschreibung erinnert an die Darstellung in dem um 170 n. Chr. verfassten Roman ‚Metamorphosen’, wo der Autor Apuleius Isis nachts auftreten lässt und beschreibt, auf ihrer Stirn schimmere ein Vollmond und ihr Gewand sei mit flimmernden Sternen übersäht.[22]
Die Verknüpfung von Isis mit dem Mond ist zwar nicht ursprünglich, sie wird jedoch bereits von Plutarch und Diodor ganz selbstverständlich vorausgesetzt: „Die Bewohner Ägyptens nun, in den frühesten Zeiten entstanden, hätten die Ordnung der Welt und ihre natürliche Beschaffenheit erblickt und in staunender Verwunderung angenommen, es gebe zwei Götter, ewig und vor allem anderen existierend, die Sonne und den Mond. Jene hätten sie Osiris, diesen Isis genannt […].“[23]
Das Gegenstück zur Königin der Nacht ist Sarastro, der in der Zauberflöte als Vertreter der Sonne auftritt. Er trägt den ‚siebenfachen Sonnenkreis‘ auf der Brust, leitet das ‚Heiligtum des größten Lichts’ und sein Sieg über die Königin der Nacht wird damit beschrieben, dass die Sonne die Nacht vertrieben habe.[24] Auch sein Name weist auf eine Verbindung zur Sonne hin, denn in den Kreisen der Freimaurer galt Zarathustra als Prophet, von dem „die Sonne und das durch die Stralen derselben hervorgebrachte Feuer göttlich verehrt wurde“[25].
Dass die Assoziation mit Isis und Osiris von Mozart und Schikaneder wahrscheinlich intendiert war, lässt sich an der Benennung von Tamino und Pamina erkennen. Denn ihr Namensgeber Min wurde in der Antike auch mit Horus identifiziert, dem gemeinsamen Sohn von Isis und Osiris.[26]
Einweihung in die Mysterien
Im zweiten Aufzug der Zauberflöte nimmt die Einweihung Taminos in die Mysterien der Isis und des Osiris einen großen Teil der Handlung ein. Die Hauptquelle für die antike Mysterienweihe sind die Metamorphosen des Apuleius. Es handelt sich dabei um einen fiktiven Roman, in dem Apuleius – der sich zu Lebzeiten in verschiedene Mysterienkulte einweihen ließ – auch seine realen Erfahrungen verarbeitet hat.[27] Nachdem der Protagonist Lucius versehentlich in einen Esel verwandelt, von Räubern entführt und gedemütigt wurde, kann er am Strand von Korinth mit Hilfe der Isis und ihrer Priester in einen Menschen zurückverwandelt werden, woraufhin er sich für die Einweihung in die Mysterien der Isis entscheidet. Diese Weihe weist einige Ähnlichkeiten zu der Taminos in der Zauberflöte auf:
Vorbereitung auf die Weihe
Zauberflöte | Metamorphosen | |
Beide müssen vor Betreten des Heiligtums rituell gereinigt werden | SARASTRO. Führt diese beiden Fremdlinge In unsern Prüfungstempel ein, Bedecket ihre Häupter dann – Sie müssen erst gereinigt sein. (1,19) | Und als nach den Worten des Priesters die Zeit dafür heran ist, führt er mich im Geleit der frommen Gemeinde zum nächsten Bad, überläßt mich zunächst der üblichen Waschung und duscht mich dann nach einem „Gott vergönns!“ ringsherum ganz sauber ab. (11,23,1) |
Beide verzichten während der Probezeit auf Essen | PAPAGENO. Tamino, wollen wir nicht speisen? – – (Tamino bläst auf seiner Flöte.) (2,17) | […] zehn Tage hintereinander von jetzt an sollte ich im Essen mein Gelüst bezähmen […] (11,23,2) |
Beide werden angewiesen, zu schweigen | SPRECHER. […] Noch einmal, vergeßt das Wort nicht: Schweigen. (Ab.) ZWEITER PRIESTER. […], wer an diesem Ort sein Stillschweigen bricht, den strafen die Götter durch Donner und Blitz. (2,13) | Vielleicht magst du […] fragen, was dann gesprochen, was getan wurde. Ich würde es sagen, wenn ich es sagen dürfte, du würdest es erfahren, wenn du es hören dürftest. Aber Ohren wie Zunge würden gleichmäßig eine Sünde begehen, entweder gottloser Schwatzsucht oder frecher Neugier. (11,23,5f.) |
Die Einweihung
Zauberflöte | Metamorphosen | |
Beginn der Prüfung bei Nacht | Nacht, der Donner rollt von weitem. Das Theater verwandelt sich in einen kurzen Vorhof des Tempels, wo man Rudera von eingefallenen Säulen und Pyramiden sieht, nebst einigen Dornenbüschen. (2,1) | Die Sonne neigte sich herab und führte den Abend herauf. […] Dann gebietet der Priester allen Laien weiten Abstand, bedeckt mich mit einem neuen Leinenumwurf, nimmt mich bei der Hand und führt mich ins Innere des eigentlichen Weihehauses. (11,23,3f.) |
Betreten der Unterwelt und Durchschreiten der Elemente an der Grenze zum Tod | Das Theater verwandelt sich in das Gewölbe von Pyramiden. (2,20) […] man sieht sie hinuntersteigen und nach einiger Zeit wieder heraufkommen; (2,28) ERSTER UND ZWEITER GEHARNISCHTER MANN. Der, welcher wandert diese Straße voll Beschwerden, Wird rein durch Feuer, Wasser, Luft und Erden. Wenn er des Todes Schrecken überwinden kann, Schwingt er sich aus der Erde himmelan! Erleuchtet wird er dann im Stande sein, Sich den Mysterien der Isis ganz zu weihn. (2,28) | Ich nahte dem Grenzbezirk des Todes, stieg über Proserpinas Schwelle und fuhr durch alle Elemente zurück; (11,23,7) |
Vollendung der Weihe
Zauberflöte | Metamorphosen | |
Durch die Einweihung erhalten die Adepten ein neues Leben | CHOR. O Isis, und Osiris, welche Wonne! Die düstre Nacht verscheucht den Glanz der Sonne! – Bald fühlt der edle Jüngling neues Leben, Bald ist er unserm Dienste ganz gegeben. Sein Geist ist kühn, sein Herz ist rein – Bald wird er unsrer würdig sein. (2,20) | Denn wenn nach vollbrachter Lebenszeit das Dasein ein Ende habe und man unmittelbar auf seiner Schwelle stehe, pflege die Göttin die zu berufen, denen etwa die großen Glaubensgeheimnisse sicher anvertraut werden könnten, und pflege die durch ihre Obhut gleichsam Wiedergeborenen nochmals in einen neuen Lebenslauf einzusetzen. (11,21,5f.) |
Beide werden nach bestandener Prüfung dem Volk als Sonne geschmückt präsentiert | (Sogleich verwandelt sich das ganze Theater in eine Sonne. […] Tamino, Pamina, beide in priesterlicher Kleidung. Neben ihnen die ägyptischen Priester auf beiden Seiten. Die drei Knaben halten Blumen.) (2,30) | Es wurde Morgen, und nach Abschluß der Feierlichkeit trat ich hinaus […]. Dieses Kleid bezeichnen die Geweihten mit Olympischer Stola. Aber in der rechten Hand hielt ich eine Fackel mit entfachten Flammen, und um meinen Kopf schlang sich ein prächtiger Kranz aus schimmernden Palmblättern, die strahlenförmig vorstanden. So war ich wie der Sonnengott ausstaffiert und einem Bilde gleich aufgestellt […]. (2,24,1-4) |
Mysterienweihen in der Zauberflöte und in den Metamorphosen
Wie man anhand dieser Gegenüberstellung sehen kann, verlaufen die Mysterienweihen in der Zauberflöte und in den Metamorphosen nach dem gleichen Schema. Es gibt eine Vorbereitungszeit, in der sich die Adepten durch Reinigung, Fasten und eine Verschwiegenheitsprobe als würdig erweisen müssen. Darauf folgt die Prüfung, in der sie durch die Konfrontation mit dem Tod in Form eines Durchschreitens der Elemente ihren Mut beweisen müssen. Aus dieser Konfrontation mit dem Tod erwächst dem erfolgreichen Prüfling gleichsam ein neues Leben, das er ganz in den Dienst der Isis stellt. Dies wird symbolisch dadurch dargestellt, dass die neuen Eingeweihten als Sonne geschmückt dem Volk präsentiert werden. Tamino durchläuft also in der Zauberflöte eine klassische antike Mysterienweihe, an deren Ende er ganz in ‚die egyptischen Geheimniße‘ eingeweiht ist.
Über die Autorin
Anna-Maria Schumacher studiert Geschichte an der Universität Bonn.
Anmerkungen
1-10
[1] Kurfürstlich gnädigst privilegirte Münchner-Zeitung (Münchener politische Zeitung), Nr. 158, 07.10.1791, S. 843f. (https://digipress.digitale-sammlungen.de/view/bsb10505695_00149_u001/1) [13.07.2020].
[2] Vgl. Honolka, Kurt: Papageno. Emanuel Schikaneder. Der große Theatermann der Mozart-Zeit, Salzburg/Wien 1984, S. 109-115.
[3] Koch, Hans-Albrecht (Hrsg.): Wolfgang Amadeus Mozart. Die Zauberflöte. KV 620. Eine Oper in zwei Aufzügen. Libretto von Emanuel Schikaneder (Reclams Universal-Bibliothek 2620), Stuttgart 2014 [1991], 1,8.
[4] Liebeskind, August J.: Lulu oder Die Zauberflöte. Von Herrn Hofrath Wieland, Wien 1791, S. 10.
[5] Vgl. Baur, Eva G.: Emanuel Schikaneder. Der Mann für Mozart, München 2012, S. 34.
[6] Vgl. Mozart. Briefe und Aufzeichnungen. Gesamtausgabe, Bd. I 1755-1776, ges. u. erl. von Wilhelm A. Bauer und Otto E. Deutsch, Kassel u.a. 2005, Nr. 191, S. 361.
[7] Vgl. Bastet, Frédéric L.: Mozart in Pompeji, in: Dörner, Friedrich K. (Hrsg.): Hinter den Kulissen der Antike. Übersetzt von Eleonore Dörner, Mainz 1985, S. 56f.
[8] Mozart. Briefe und Aufzeichnungen, Nr. 191, S. 361.
[9] Vgl. Muhlenstein, Kerry: European Views of Egyptian Magic and Mystery. A Cultural Context for The Magic Flute, in: Brigham Young University Studies 43,3 (2004), S. 141-148.
[10] Vgl. Assmann, Jan/Ebeling, Florian: Ägyptische Mysterien. Reisen in die Unterwelt in Aufklärung und Romantik. Eine kommentierte Anthologie, München 2011, S. 114f.
11-20
[11] Vgl. Irmen, Hans-Josef (Hrsg.): Die Protokolle der Wiener Freimaurerloge „Zur wahren Eintracht“ (1781-1785) (SIF 15), Frankfurt am Main u.a. 1994, Nr. 374, S. 271.
[12] Kreil, Anton: Ueber die wissenschaftliche Maurerey, in: Journal für Freymaurer 2.3 (1785), S. 60-68 (https://babel.hathitrust.org/cgi/pt?id=uc1.b3868753&view=2up&seq=6&size=150) [17.06.2020].
[13] Diod. 1,69,5.
[14] Vgl. Diod. 1,69,1.
[15] Vgl. Hdt. 2,148.
[16] Vgl. Lukian. Philops. 34.
[17] Vgl. Morenz, Siegfried: Die Zauberflöte. Eine Studie zum Lebenszusammenhang Ägypten – Antike – Abendland (Münsterische Forschungen 5), Münster/Köln 1952.
[18] Vgl. Lanczkowski, Günter: Art. Iranische Religionen, in: TRE 16 (1987), S. 249f.
[19] Vgl. Gemoll, Wilhelm/Vretska, Karl: Gemoll. Griechisch-deutsches Schul- und Handwörterbuch, 10. völlig neu bearb. Aufl., München 2012, S. 416f, 543.
[20] Vgl. Kreil: Mauerery, S. 62.
21-27
[21] Diod. 1,96,4.
[22] Vgl. Apul. met. 11,3.
[23] Diod. 1,11,1; siehe auch Plut. Is. 52.
[24] Vgl. Schikaneder: Zauberflöte, 2,1; 2,8; 2,30.
[25] Mossdorf, Friedrich: Art. Zoroaster, in: Encyclopädie der Freimaurerei 3 (1828), S. 683-685.
[26] Vgl. Plut. Is. 56.
[27] Vgl. Assmann/Ebeling: Ägyptische Mysterien, S. 30.
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