Lorna Hardwick: Reception Studies (Buchbesprechung)

Lorna Hardwick: Reception Studies (Greece & Rome – New Surveys in the Classics No. 33), Oxford 2003.

Einleitung: Ein methodisch-theoretisches Gerüst für die Antikenrezeption

Ich habe in den etwa 20 Monaten, die dieser Blog nun existiert, zusammen mit verschiedenen Kolleginnen und Kollegen viele Einzelbeobachtungen zur Antikenrezeption in der Phantastik vorgestellt. Es wird nun Zeit, auf Basis dieser ganzen Einzelbeobachtungen ein methodisch-theoretisches Konzept zur Antikenrezeption zu entwickeln. Hierfür scheint mir Lorna Hardwicks Buch „Reception Studies“ ein sehr guter Einstieg zu sein, wie mir bei der Lektüre von Louise Jensbys Artikel über die Verwendung griechischer Mythen in den Harry Potter-Büchern erstmals bewusst wurde.

Lorna Hardwick – Eine kurze Vorstellung

Man kann Lorna Hardwick wohl mit Fug und Recht als eine Grande Dame der Antikenrezeption bezeichnen. Denn die emeritierte Professorin der Classical Studies hat nicht nur zahlreiche Bücher und Aufsätze zu dem Thema verfasst, sondern war auch die erste Herausgeberin des Classical Receptions Journal und Mitherausgeberin der Reihe Classical Presences, aus der wir hier bereits ein Werk vorgestellt haben (Classical Traditions in Science Fiction). Auch hat sie den Companion to Classical Reception mitherausgegeben, der viele spannende Einzelstudien beinhaltet. Zu ihren Forschungsinteressen zählen in Bezug auf die Antikenrezeption die Frage nach der Auswirkung von Übersetzungen antiker Texte sowie der postkoloniale Kontext. Man könnte sicherlich noch viel mehr über Lorna Hardwick sagen, doch sollten wir es an dieser Stelle mit einem kurzen Überblick belassen und für weiterführende Informationen auf die offizielle Internetseite verweisen.

Reception Studies – Ein Überblick über das Buch

Gleich zu Beginn des Buches sagt Lorna Hardwick etwas sehr Schönes, wenn sie in ihrem sehr kurzen Vorwort (S. iii) darauf verweist, dass man kulturelle Erzeugnisse in der Antike keineswegs in den Elfenbeinturm gesperrt habe. Vielmehr seien diese Werke ein lebhafter Bestandteil der damaligen gemeinschaftlichen Kultur gewesen, wobei Hardwick den Eindruck hat, dass dies heute (2003) beginnt, wieder der Fall zu sein. Aus der Perspektive des Jahres 2019 kann ich nur sagen, dass die Autorin Recht behalten hat. Wie mein Projekt belegt, sind antike Zeugnisse nicht unantastbar im Elfenbeinturm eingeschlossen, sondern erfreuen sich einer munteren Beliebtheit als Vorlage oder Inspirationsquelle für die moderne Popkultur.

Das erste Kapitel beschäftigt sich dann mit dem Themenfeld „From the Classical Tradition to Reception Studies“ (S. 1-11), während Kapitel 2 die Rezeption innerhalb der Antike thematisiert (S. 12-31). Das dritte Kapitel behandelt Stereotype und die Kontexte der Rezeption (S. 32-50), bevor Kapitel 4 die Antikenrezeption auf der Bühne ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt (S. 51-70). Weiter geht es mit den Themenfeldern Film und Dichtung (S. 71-97). Im letzten Kapitel wird schließlich die Frage aufgeworfen, weshalb die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Antikenrezeption ein wichtiges Forschungsfeld ist (S. 98-113). Das Buch endet mit einer Bibliographie (S. 114-122) und einer thematisch geordneten Vorstellung weiterführender Literatur (S. 123-128).

From the Classical Tradition to Reception Studies

Hardwick beginnt zunächst mit sehr unterschiedlichen Beispielen, die belegen, wie vielseitig Antikenrezeption sein kann. So verweist sie einerseits auf Stalingrad, wo Herman Göring per Radio die eingeschlossene deutsche Armee mit einem Verweis auf die Schlacht bei den Thermopylen zu motivieren versuchte, während sich ein paar der deutschen Offiziere eher an den Massensuizid der von den Römern belagerten Juden in der Bergfestung Masada erinnert fühlten. Andererseits verweist Hardwick auf die literarische Verarbeitung des Mythos um Phaidra von der Antike bis heute, wobei hier die Reise des Ursprungsstoffs durch verschiedene Sprachen und Theatertraditionen im Fokus der Untersuchungen steht. Obwohl die genannten Beispiele äußerst unterschiedlicher Natur sind, handelt es sich in beiden Fällen zweifelsfrei um Antikenrezeption.

Die Rezeptionsgeschichte als solche betrachtet Hardwick im heutigen Umfang als ein eher neues Phänomen, auch wenn die deutsche Forschung schon länger ein gewisses Faible für diese Thematik hatte. Dabei betont sie natürlich zurecht, dass bereits die Griechen und Römer selbst Antikenrezeption betrieben, wenn sie ältere Werke und Stoffe immer wieder neu aufgriffen und ggf. neu interpretierten. Die heutigen Reception Studies legen laut Hardwick einen Fokus auf die jeweiligen Beziehungen zwischen dem ursprünglichen Text bzw. der Kultur, aus der dieser stammt, und den neuzeitlichen Arbeiten und deren Kultur, wobei kontextuelle Vergleiche und Analysen der Übernahmekriterien von größerer Bedeutung seien. Die Reception Studies seien daher ein Bestandteil des fortlaufenden Dialogs zwischen Vergangenheit und Gegenwart.

Hardwicks methodisch-theoretisches Gerüst I – Die Rezeption

Für ihr theoretisch-methodisches Gerüst, das Hardwick den weiteren Untersuchungen des vorliegenden Buches zugrunde legen möchte, betrachtet sie zunächst den eigentlichen Vorgang der Rezeption.

Hier ist für Hardwick der intellektuelle Prozess bedeutsam, der zur Auswahl, Imitation oder Übernahme einer antiken Quelle führt. Wie wurde der Text von den betreffenden Kulturschaffenden aufgenommen und umgestaltet? Wie verhält sich das neugeschaffene Werk zu seiner Quelle? Damit zusammen hängt die Frage nach dem Verhältnis zwischen den gerade skizzierten Prozessen und den Kontexten, in denen sich diese ereignen. Was wussten die jeweiligen Kulturschaffenden über ihr Ausgangsmaterial und woher stammt dieses Wissen? Wie ist das einzelne Werk in das Gesamtwerk des Künstlers oder der Künstlerin einzuordnen und welche Rollen spielten andere Personen wie Übersetzer, Geldgeber, Schauspieler etc. bei der Ausgestaltung des Werkes? Welche Bedeutung kam dem realen oder imaginierten Publikum bzw. der Leserschaft beim Kreieren des Werks zu? Dies alles sind Faktoren, die die antike Quelle nicht direkt betreffen, aber dennoch von großer Bedeutung sein können. Hinzu kommt schließlich noch die Frage nach dem Sinn oder der Funktion des neuen Werkes. Soll es z.B. etwas oder jemanden legitimieren wie wir es etwa oben anlässlich von Stalingrad gesehen haben?

Ich versuche all diese Gedanken in einem groben Schema zusammenzufassen:

  1. Auswahl und Bearbeitung der Quelle
  2. Entstehungskontext
  3. Zweck/Ziel/Funktion
Hardwicks methodisch-theoretisches Gerüst II – Die Beschreibung, Analyse und Bewertung der Rezeption

Ging es eben noch um die Entstehung der Rezeption, rückt nun deren Wahrnehmung durch andere ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Dazu werden drei besonders einflussreiche theoretische Ansätze vorgestellt, die ich jetzt nicht im Detail wiedergeben möchte. Zu nennen sind in diesem Kontext jedenfalls Hans Robert Jauß mit seiner Rezeptionsästhetik, Wolfgang Iser mit seinem Implizierten Leser und Hans Georg Gadamer mit seinem Werk Wahrheit und Methode. Als vierten Ansatz führt Hardwick noch die „critical distance“ auf, die es den Rezipienten ermögliche, die eigene Zeit, Gesellschaft etc. dadurch kritischer betrachten zu können, dass man sich mit dem Produkt einer völlig anderen Zeit beschäftigt und dadurch eine kritische Distanz gewinnt.

Spannend erscheint mir hier jedenfalls eine einleitende Bemerkung Hardwicks zu sein. Würden wir uns eine moderne Aufführung eines antiken Stückes im Theater anschauen und im Anschluss eine Bewertung der Antikenrezeption niederschreiben, würden sich wohl viele Gedanken darüber machen, ob der Chor so eingesetzt wird wie in der Antike, ob Masken getragen werden wie in der Antike etc. Es käme aber wohl kaum jemand auf die Idee zu fragen, ob der Chor denn genauso wie in der Antike finanziert wird und ob er im Anschluss an das Stück wie in der Antike ggf. ausgezeichnet werden wird.

Ein Arbeitsvokabular für die Reception Studies

Im Folgenden möchte ich das Vokabular vorstellen, das Hardwick für ihre Studie verwendet, auch wenn es teilweise nicht leicht zu verstehen ist, was sie genau mit welchem Begriff aussagen möchte.

Acculturation (Akkulturation): Assimilierung in einen kulturellen Kontext

Adaption: eine Version des Ursprungswerks, die für einen anderen Zweck entwickelt wurde oder zu weit vom Original entfernt ist, um als Übersetzung zu zählen

Analogue (Analogon): ähnlicher Aspekt in Quelle und Rezeption

Appropriation (Aneignung): Übernahme eines antiken Textes oder eines Bildes um damit – explizit oder stillschweigend – spätere Ideen oder Praktiken zu sanktionieren

Authentic (Authentizität): große Nähe zu Form und Bedeutung der Quelle

Correspondences (Übereinstimmung/Austausch): Aspekte eines neuen Werkes, die sich direkt auf eine Charakteristik einer Quelle beziehen

Dialogue (Dialog): wechselseitige Relevanz von Quelle, Rezeption und dem jeweiligen Kontext

Equivalent (Equivalent): in Quelle und Rezeption tritt ein ähnlicher Aspekt auf, der jedoch nicht zwingend in Bezug auf Form oder Inhalt übereinstimmt

Foreignization (Entfremdung): auf eine Art übersetzen oder repräsentieren, dass ein Unterschied zwischen Quelle und Rezeption hervorgehoben wird

Hybrid: eine Mischung aus antikem und nicht-antikem Material

Intervention: Umarbeitung der Quelle, um eine politische, soziale oder ästhetische Kritik der bestehenden Gesellschaft zu bewirken

Migration: Bewegung durch Zeit und Raum, die mit Zerstreuung und Diaspora und der Übernahme neuer Charakteristika verbunden sein kann

Refiguration: Auswählen und Überarbeiten von Material von einer früheren oder gegensätzlichen Tradition

Translation (Übersetzung): Übersetzungen von einer Sprache in eine andere. Übersetzungen können wörtlich oder sinngemäß sein. Sehr freie Übersetzungen können zu Adaptionen oder Versionen werden

Transplant (Transplantation/Verpflanzung): einen Text oder ein Bild in einen anderen Kontext setzen und eine dortige Entwicklung zulassen

Version: die Neugestaltung einer Quelle, die zu frei und selektiv ist, um als Übersetzung durchzugehen

Grundannahmen Hardwicks

Bei ihren Studien wird Hardwick von verschiedenen Grundannahmen geleitet, von denen die erste besagt, dass Studien zur Rezeptionsgeschichte wichtig sind, da Rezeptionen einen Beitrag zu dem Bild prägen, dass sich die Menschen von der Vergangenheit bilden. Dabei ist immer zu berücksichtigen, dass die Rezeption bereits in der Antike begann und schon dort zu einer gewissen Diversität führte. Auch bleibt es bedeutsam, das Ursprungswerk im Rahmen seiner Zeit zu betrachten, wie auch die Neuschöpfung im Rahmen ihres Kontexts zu behandeln ist. Kulturelle Horizonte und ihre Annahmen, Erwartungen, Bestrebungen und Wandlungen spielen eine wichtige Rolle für die Reception Studies. Außerdem weist die Rezeptionsgeschichte sowohl Unterschiede als auch Gemeinsamkeiten zwischen Antike und Gegenwart auf. Dabei fungiert die Rezeption klassischen Materials als ein Index für kulturelle Kontinuität als auch für kulturellen Wandel, wodurch sie auch außerhalb der Altertumswissenschaften bedeutsam wird. Schließlich ist Rezeption ein Feld für die Praxis und das Studium des Wettstreits um Werte und deren Verhältnis zu Wissen und Macht.

Reception within Antiquity

Das Kapitel über die Rezeption innerhalb der Antike beinhaltet ein schönes Beispiel. So wird Klytaimnestra erst seit Aischylos die aktive Rolle bei der Ermordung ihres Gatten Agamemnon zugeschrieben, während ältere Versionen der Erzählung ihrem Liebhaber Aigisthos die Initiative zusprechen. Aischylos hat also den Mythos umgewandelt, was Hardwick im Rahmen des oben vorgestellten Vokabulars als „Refiguration“ bezeichnet. Spannend ist dabei, dass diese erst von Aischylos eingeführte Variante die bis heute populärste geblieben ist. Daher spricht sich Hardwick zurecht dafür aus, hinsichtlich der Untersuchung der Antikenrezeption nicht nur die Quelle zu analysieren, sondern auch die Quellen dieser Quelle.

Als Beispiel für ein Analogon nennt sie das Bild eines Bogens als Instrument für moralische und religiöse Vergeltung, das sich im alten Ägypten, in der Bibel und in der Odyssee findet. Die Odyssee wäre hier in diesem Sinne ein Werk der Rezeption, das einzelne Aspekte aus älteren orientalischen und griechischen Erzählungen übernommen hat, ohne die ganze Geschichte zu übernehmen.

Der Rest des Kapitels widmet sich der Überlieferung und Übersetzung von Texten innerhalb der Antike und der vielseitigen Übernahme griechischer Kultur durch die Römer. In diesem Kontext bietet Hardwick auch ein schönes Beispiel für Transplantation, wenn sie darauf verweist, wie Cicero Elemente griechischer Philosophy auf den Kontext römischer Politik bezog.

Photo: Michael Kleu
Challenging Stereotypes – The Contexts of Receptions

In diesem Kapitel erläutert Hardwick, weshalb es wichtig ist, den Weg nachzuverfolgen, den ein antiker Text oder eine antike Idee von der Antike bis heute gegangen ist. Ebenso muss berücksichtigt werden, dass moderne Repräsentationen durch kulturelle Anschauungen gefiltert werden, wobei z.B. künstlerische Formen oder Kulturpolitik eine Rolle spielen können. Ein zweiter Schwerpunkt liegt darin, dass Hardwick die gelegentliche Auffassung widerlegt, dass nur Konservative auf die Antike zurückgreifen, um die eigene Zeit zu analysieren und zu kritisieren. An konkreten Beispielen werden in diesem Kontext u.a. die Rezeption des Spartacus sowie der Umgang der italienischen und deutschen Faschisten mit der Antike besprochen.

Staging Receptions

Nun geht es zu den Brettern, die die Welt bedeuten: Oper, Tanz und Theater. Hier tritt die Besonderheit auf, dass es sich um Live-Auftritte vor einem Live-Publikum handelt, sodass – anders als beim gedruckten Wort – keine Vorstellung 100%ig einer anderen entspricht. Daher ist es enorm schwierig für Theaterhistoriker, sich ein realistisches Bild von vergangenen Theateraufführungen zu machen, die nicht photographisch oder filmisch festgehalten wurden. Zentral ist in diesem Kontext auch das Verhältnis zwischen dem Drehbuch als geschriebenem Text und der eigentlichen Aufführung, bei der Bewegung, Licht, Akustik, Mimik und vieles weitere mehr von großer Bedeutung sind. Interessant ist in diesem Zusammenhang jedenfalls die Feststellung, dass Schauspielerinnen, Designer, Regisseurinnen und Drehbuchschreiber alle im Laufe ihrer Karriere und ihrer Ausbildung in engeren Kontakt zum antiken Theater treten, was besonders für griechische Stücke gilt. Beim Publikum hingegen ist davon auszugehen, dass Zuschauerinnen oder Zuhörer heute nicht über das gleiche Maß an Hintergrundwissen über Mythen etc. verfügen dürften wie es für antike Menschen der Fall gewesen ist. So ist heute von den Zuschauer- oder Zuhörerinnenerwartungen her von einer wesentlich größeren Heterogenität auszugehen.

Völlig zurecht kommt Hardwick hier auch auf die Ältere Komödie zu sprechen. Denn alle, die sich schon einmal mit den Komödien des Aristophanes auseinandergesetzt haben, wissen, wie schwierig es ist, einem modernen Publikum Witze zu erklären, die sich auf aktuelle politische Ereignisse beziehen. So wird z.B. in 2.500 Jahren wohl keiner mehr Witze verstehen, den heutige Kabarettisten über Verkehrsminister Andreas Scheuer machen. Ein weiteres Problem sind die Dialekte, in denen die Figuren auf der Bühne sprechen, was auch nur indirekt nachgeahmt werden kann, z.B. indem man die Spartaner Bayrisch reden lässt, wie es in einer Reclam-Ausgabe der Fall ist.

Film and Poetry

Film und Dichtung in einem Kapitel zu behandeln, kann auf den ersten Blick verwundern, doch zeigt Hardwick, dass hier deutliche Parallelen vorliegen. Neu war für mich, dass für das noch relativ junge Feld der Untersuchung der Antikenrezeption im Film ursprünglich Studien zur Analyse von Shakespeare-Verfilmungen als Modelle von Bedeutung waren. Richtig ist jedenfalls, wenn Hardwick betont, dass Filme auch immer im Kontext ihrer jeweiligen Filmtradition betrachtet werden müssen. Für unseren Blog ist an diesem Kapitel auch besonders interessant, dass mit dem Film auch endlich die Brücke von der „Hochkultur“ (Oper, Theater etc.) zur Populärkultur geschlagen wird. Durch die Populärkultur ist dem Medium Film eine Reichweite gegeben, von der Altertumswissenschaftlerinnen und Altertumswissenschaftler nur träumen können. Daher unterstreicht Hardwick die Bedeutung der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der filmischen Antikenrezeption. Schließlich beziehen heute wohl die meisten Menschen ihre Vorstellungen über die Antike aus dem Fernseher.

Hinsichtlich der Dichtung konzentriert sich Hardwick aufgrund der schieren Masse des Materials auf drei Phänomene, von denen das erste Werke behandelt, die eine Rezeption antiker Stoffe darstellen und dabei neue einflussreiche Werke der Literatur schaffen. Das zweite Phänomen widmet sich Rezeptionen, die Episoden oder Figuren aus der antiken Dichtung übernehmen und diese überarbeiten, wobei häufig auch Genrewechsel zu verzeichnen sind. Und schließlich geht es auch noch um Werke, die ganz explizit die Interpretationen und Werte ihrer antiken Vorlagen infrage stellen.

(Why) Do Reception Studies Matter?

Im abschließenden Kapitel macht Hardwick anhand verschiedener politischer wie auch gesellschaftlicher Beispiele klar, weshalb die Rezeptionsgeschichte – in unserem Fall die Antikenrezeption – so bedeutsam ist. Besonders interessant ist in diesem Kontext, dass Afrika ein Zentrum der kreativen Antikenrezeption geworden zu sein scheint, wobei es ironischerweise zu dem Umstand gekommen ist, dass afrikanische Autorinnen und Autoren die von den ehemaligen Kolonialherren und -damen mitgebrachte Antike dazu nutzen, in Form von Antikenrezeption gegen eben diese das Wort zu ergreifen.

Fazit

Das Buch ist mit 113 Seiten Text eigentlich recht kurz, doch bietet es eine unglaubliche Menge an spannenden Gedanken und an Verweisen auf interessante Literatur, Filme, Theaterstücke etc. Da Hardwick sich mit der Antikenrezeption im Allgemeinen beschäftigt, beinhaltet das Buch manches, was sich nicht direkt auf die Antikenrezeption in der Phantastik anwenden lässt. So werde ich ihr theoretisch-methodisches Gerüst und ihr Vokabular z.B. nicht 1:1 verwenden können, sondern an die Bedürfnisse meines Projekts anpassen müssen. Dies hängt auch damit zusammen, dass Hardwick in der Regel von der Rezeption eines konkreten Textes ausgeht, während die Kulturschaffenden in meinem Themenbereich häufig mehrere Quellen gleichzeitig nutzen.

Dennoch war das gesamte Buch für mich ein Gewinn, weil ich viel Neues erfahren und zahlreiche Denkanstöße erhalten habe. Interessant ist z.B. die Idee, auch Rezensionen zu Werken mit Antikenrezeption zu berücksichtigen. Die Lektüre hat mir außerdem bewusst gemacht, dass ich wesentlich mehr an ähnlichen Arbeiten lesen muss, um aus meinen Einzelergebnissen allgemeingültigere Schlüsse ziehen zu können. Erfreulich ist jedenfalls, dass ich viele der von Hardwick empfohlenen Vorgehensweisen bei der Untersuchung einer Rezeption bereits ganz intuitiv von selbst angewandt habe.

Michael Kleu

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