Friedhelm Schneidewind ist auf vielfache Weise in der deutschen Phantastik-Szene aktiv. Heute werfen wir einen Blick auf sein 2008 erschienenes Buch „Mythologie und phantastische Literatur“, dessen Ziel es ist, anhand ausgewählter Beispiele aufzuzeigen, wie Topoi (feststehende Bilder) und Motive aus der Mythologie in moderner Literatur und im Film aufgegriffen und dargestellt werden.
Die Grundlagen: Phantastik und Mythos
In seiner Einführung erläutert Schneidewind zunächst zentrale Begriffe, wobei er sich bei der Definition von „Phantastik“ und „Fantasy“ im Wesentlichen an den hier bereits vorgestellten Überlegungen von Frank Weinreich orientiert. Außer diesen beiden Begriffen werden noch „Mythos“, „Sagen“, „Legenden“ und „Sagas“ vorgestellt.
Topoi und Motive: Von Gestirnen, Anderswelten und Supermenschen
Die weiteren sieben Kapitel gruppieren die zu besprechenden Topoi und Motive unter den folgenden Überschriften: (1) Sonne, Mond und Sterne, (2) Unser blauer Planet, (3) Anderswelten, Himmel und Höllen, (4) Alles was wächst und grünt auf Erden, (5) Tiere, Misch- und Fabelwesen, (6) Super-, Wer- und Nichtmenschen, (7) Schwert, Kelch, Stab und Zahl.
Innerhalb dieser Kapitel betrachtet Schneidewind dann mehrere konkrete Aspekte wie z.B. Kentauren (Unterkapitel von Kapitel 5), Giganten und Titanen (Uk.v.K. 6) oder Spiegel und Spiegelbild (Uk.v.K. 7). Sehr ähnlich zu meinen Überblicksartikeln (z.B. Kentauren, Atlantis, Labyrinth) werden dabei bekannte oder besonders interessante Beispiele aus der Phantastik sowie deren mythologische Ursprünge vorgestellt. Ein zentraler Unterschied zu meinen Untersuchungen liegt darin, dass Schneidewind sich nicht auf die Antike konzentriert, sondern viele weitere Mythologien miteinbezieht.
Der Anhang: Kulturen, Mythologien, Religionen und ein Literaturverzeichnis
Im ersten Teil des Anhangs präsentiert Schneidewind die wichtigsten Grundlagen zu den folgenden Kulturen mit ihren jeweiligen Mythologien und Religionen: (1) Sumer, Assyrien und Babylon, (2) Ägypten, (3) Griechenland und Rom, (4) Kelten, (5) Germanen, (6) Hinduismus und Buddhismus sowie (7) Shintoismus.
Das Literaturverzeichnis beginnt mit einer Aufführung der Primärliteratur, womit in diesem Fall die im Buch angesprochenen Werke der Phantastik gemeint sind. Unter „Weiterführende Werke“ finden sich dann die Forschungsliteratur, Lexika und Überblickswerke.
Register: Von Abendmahlskelch bis Zyklopen
Es ist wohl fast jeder Leserin oder fast jedem Leser schon einmal passiert, dass man etwas gelesen hat, aber beim besten Willen die Stelle nicht mehr finden kann. Gerade in einem Buch wie dem vorliegenden, das sehr viele verschiedene Themengebiete auf engstem Raum anspricht, ist ein Register eine große Hilfe. So bietet Schneidewind dann auch ein gutes Sachregister, über das einzelne Stellen leicht wiederzufinden sind.
Fazit
Schneidewind präsentiert seiner Leserschaft eine Vielzahl an spannenden Information zum Verhältnis zwischen Mythologie und Phantastik. Dabei gelingt es ihm sehr gut, immer verständlich zu bleiben, was sich auch in den Fußnoten widerspiegelt, in denen er bestimmte Aspekte gesondert erläutert, um den Textfluss nicht zu stören. Somit eignet sich das Buch sehr gut für Einsteigerinnen und Einsteiger, zumal im ersten Teil des Anhangs die wesentlichen Mythologien vorgestellt werden. Expertinnen und Experten dürften das meiste schon wissen, doch gibt es im Detail sicherlich auch für diese noch Neues zu entdecken. Mir war zum Beispiel unbekannt, dass der griechische Historiker Ktesias bereits im 5./4. Jh. v.Chr. von Einhörnern berichtete.
Bemerkenswert ist, dass Schneidewind sich nicht nur hervorragend in der Phantastik und in der ein oder anderen Mythologie auskennt, sondern dass er umfassend aus zahlreichen Mythologien der Welt schöpfen kann. Zumindest auf die Antike bezogen – für die anderen Bereiche kann ich keine qualifizierten Aussagen treffen – hat alles Gesagte Hand und Fuß, zumal Schneidewind sich auch durch einen angemessen kritischen Umgang mit seinem Material auszeichnet.
Wenn ich auf sehr hohem Niveau kritisieren darf, könnte man noch eine Handvoll kleinerer Flüchtigkeitsfehler im Text korrigieren. Ansonsten habe ich das Buch als interessante Lektüre empfunden, die ich wohl auch zukünftig immer wieder mal als Nachschlagewerk verwenden werde.
Friedhelm Scheidewind: Mythologie und phantastische Literatur, Essen 2008.
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