Veröffentlicht: 19. Dezember 2019 – Letzte Aktualisierung: 8. Februar 2022
Heute werfen wir einen Blick auf das Buch „Classical Myth and Film in the New Millenium“ von Patricia Salzman-Mitchell und Jean Alvarez. Ich konzentriere mich dabei zunächst auf die Einleitung mit ihren grundlegenden Elementen wie Methodik und Terminologie, da ein Teil der im Buch besprochenen Filme nicht der Phantastik zuzuordnen ist. Die Filme, die zur Phantastik zählen, werde ich mit Hilfe der vorliegenden Kapitel gesondert besprechen.
Die Einleitung
Klassische Mythologie im modernen Film
In der Einleitung verweisen Salzman-Mitchell und Alvares zunächst auf den spannenden Umstand, dass heutzutage vermutlich nicht wenige Menschen über Fernsehsendungen, Comics, Science Fiction-Filme oder Videospiele zum ersten Mal mit der klassischen Mythologie in Berührung kommen. Auf das Medium Film konzentriert halten die beiden AutorInnen fest, dass die Antike mitsamt ihrer Mythologie bereits seit jeher gerne in Filmproduktionen aufgegriffen wird, wobei seit Gladiator (2000) ein starkes Revival dieses Phänomens festzustellen sei. Hinzu komme, dass viele der derzeitig erfolgreichsten Werke der Kinder- und Jugendliteratur, wie z.B. Harry Potter oder Percy Jackson, starke Bezüge zur Mythologie aufweisen.
Das Ziel des Buches
Mit ihrem Buch setzen es sich die beiden AutorInnen zum Ziel, tiefgreifende Interpretationen der Mythen und mythischen Muster in aktuellen Filmen zu bieten. Dabei halten sie gleich zu Beginn fest, dass sich diese Filme in der Regel nicht sonderlich eng an die kanonischen Versionen der antiken Mythologie halten. Damit machen Filme genau das, was Autoren wie Hesiod, Sophokles, Ovid oder Shakespeare bereits lange vor ihnen getan haben: Sie greifen ältere Erzählungen und Traditionen auf und passen sie an ihre eigenen Vorstellungen und an die Bedürfnisse ihrer Zeit an. Mit Recht sprechen sich Salzman-Mitchell und Alvares daher dagegen aus, das eine als Hochkultur und das andere als kulturell minderwertig zu betrachten. Filme und Serien sind ein wichtiger Bestandteil der heutigen Welt und sollten dementsprechend ernstgenommen werden.
Der vorgeschlagene Umgang mit klassischen Mythen
Die AutorInnen regen dazu an, klassische Mythen in ihrem jeweiligen literarischen und kulturellen Kontext (Athen, Rom etc.) zu betrachten und mit den Mythologien anderer Kulturen wie den Ägyptern, Mesopotamiern oder den Kelten zu vergleichen. Außerdem sollte die Weiterentwicklung dieser Mythen bis in unsere heutige Zeit mit in die Betrachtung einbezogen werden. Dabei sollen die Unterschiede zwischen den antiken und den modernen Versionen der jeweiligen Mythen einerseits deren eigentlichen Kern sowie andererseits die Schaffenskraft und die zentralen Fragen und Probleme unserer eigenen Zeit offenbaren.
Der methodische Ansatz
Methodisch gehen Salzman-Mitchell und Alvares daher in drei Schritten vor. Zunächst zeigen sie die frühen Versionen der Mythen auf (1), bevor sie sich die Entwicklung diese Mythen in späteren Zeiten ansehen (2). In einem dritten Schritt betrachten sie schließlich die Verbindungen zwischen den jeweiligen Werken und den kulturellen Strömungen zu ihrer Entstehungszeit (3). Diese Verwendung von Ansätzen aus der Mythen-Theorie verstehen die AutorInnen als als einen neuen Ansatz in diesem Forschungsfeld.
Re-Presenting the Past – Terminologie
Wenn moderne Werke die klassische Mythologie aufgreifen, erfolgt dies entweder in Form von Adaptionen (adaptions), Aneignungen (appropriations) oder Erfindung (invention). Hinzu kommt, dass es sich um bewusste Anleihen und Überarbeitungen (intentional borrowings/reworkings) oder um eine unbewusste Nutzungen ähnlicher Thematiken, Erzähltechniken etc. handeln kann.
Unter einer Adaption versteht man in diesem Zusammenhang die Übertragung einer Erzählung von einem Medium in ein anderes (z.B. vom Buch zum Film), was zwangsläufig mit gewissen Anpassungen verbunden ist. Eine solche Adaption kann sich sehr eng, aber auch äußerst lose an ihre Vorlage halten. Um eine Aneignung handelt es sich, wenn Material übernommen, aber für eigene Ziele verwendet wird, die nichts mehr mit der Ursprungsintention der Geschichte zu tun haben müssen. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn man eine antike Erzählung parodiert oder feministisch uminterpretiert. Als Erfindung bezeichnen die AutorInnen z.B. „Pans Labyrinth“, da dieser Film zwar einzelne antike Aspekte übernimmt – wie z.B. den titelgebenden Pan -, diese aber in eine völlig eigenständige Geschichte einbaut.
Interessant ist die gebotene Erklärung für unabsichtliche Nutzungen ähnlicher Motive: Wenn Menschen unterschiedlicher Kulturen in Zeiten und Situationen leben, die durch vergleichbare Zustände geprägt sind, ist es nicht überraschend, wenn VertreterInnen beider Kulturen ähnliche Thematiken in ihren Werken behandeln. Gerade hier ist dann auch wieder ein direkter Vergleich sehr spannend, da keine Abhängigkeit zwischen den Werken besteht.
Die Antike und die klassische Mythologie im Film
In der Einleitung werden weiterhin viele wichtige Dinge zur Arbeit mit Filmen und zur Geschichte der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Antikfilmen präsentiert, die an dieser Stelle zwar nicht eigens zusammengefasst werden müssen, aber sicherlich einen Blick lohnen, wenn man einen guten Einstieg in das Themenfeld „Antike im Film“ sucht.
Mythos, Archetypen, Gender, Otherness und die Heldenreise
Wie beim vorherigen Abschnitt über die Antike im Film bieten Salzman-Mitchell und Alaves auch einen guten Einstieg in die in der Überschrift genannten Themenfelder, der vielerlei Aspekte anspricht. Für mich ist hier besonders die Bemerkung interessant, dass im Falle archetypischer Elemente Vorsicht angebracht ist. Wenn man sich bezüglich einer bewussten Übernahme eines solchen Elements nicht sicher sein kann, sollte man lediglich sagen, dass das antike und das moderne Werk auf denselben Archetypen zurückgreifen.
In den weiteren Kapiteln des Buches werden zu Beginn jeweils die für die vorliegenden Filme relevanten Mythen vorgestellt. Zwei Aspekte erscheinen den AutorInnen jedoch so zentral und grundlegend, dass sie sie bereits in der Einleitung thematisieren. Dies sind die griechische Weltschöpfungsgeschichte inklusive der Titano- und der Gigantomachie sowie die Heldenreise, deren berühmteste Variante von Joseph Campbell stammt.
Die im Buch besprochenen Filme
Das Buch beginnt mit Homer, dem die erste größere Sinneinheit gewidmet ist. So behandelt das erste Kapitel Wolfgang Petersens „Troy“, während das zweite seinen Fokus auf „Oh Brother, Where Art Thou“ legt. Weiter geht es mit dem unwilligen Helden (The Reluctant Hero). Hier stehen Herkules und Perseus in den Filmen „Hercules“, „Clash of the Titans“, „Wrath of the Titans“ und „Immortals“ im Vordergrund. Im Anschluss geht es um Frauen. Den Anfang machen Überlegungen zur blühenden Jungfrau und Fruchtbarkeitsgöttin in „Pans Labyrinth“. Daran schließt sich der Medea-Mythos in „Such is Life“ an.
Der nächste Schwerpunkt liegt auf Heranwachsenden. „Harry Potter and the Chambers of Riddles“ wird als Gründungsmythos besprochen, bevor die mythischen Aspekte von „The Hunger Games“ ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt werden. Schließlich kommen wir mit „Percy Jackson and the Olympians: The Lightning Thief“ noch zu einer Parodie der klassischen Heldenreise. Im letzten Abschnitt des Buches folgen neue Versionen der Erzählung von Pygmalion in „Lars and the Real Girl“ und „Ruby Sparks“.
In jedem Kapitel findet sich eine Erklärung von Fachbegriffen, die Fachfremden die Lektüre vereinfachen. Sehr spannend ist der Ansatz, am Ende jeder Sinneinheit eine Liste von Fragen aufzuführen, die zu Diskussionen anregen sollen und sicherlich besonders hilfreich sind, wenn man das Buch als Grundlage für eine Lehrveranstaltung nutzt.
Schlusskapitel und Register
In einem kurzen Epilog fassen Salzman-Mitchell und Avares knapp ein paar zentrale Aspekte zusammen. Das Buch endet schließlich mit einem ausführlichen Register.
Mein Eindruck von „Classical Myth and Film in the New Millenium“
Das Buch ist sehr verständlich geschrieben, sodass auch Fachfremde es ohne größere Schwierigkeiten lesen können. Schön sind die zahlreichen Verweise auf andere Werke der Populärkultur sowie der Umstand, dass jedes Kapitel auch Bezug zu den anderen im Buch besprochenen Filmen nimmt. Außerdem gefällt mir, dass die AutorInnen die jeweiligen RegisseurInnen, DrehbuchautorInnen etc. im Kontext ihres Gesamtwerkes betrachten und auch Filmkritiken mit in ihre Betrachtungen einbeziehen.
Auch wenn nur einzelne Kapitel des Buches meine Thematik – die Antikenrezeption in Science Fiction, Horror und Fantasy – direkt berühren, hat sich die Lektüre insgesamt dennoch für mich gelohnt.
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