Römische Blutsauger: Tote beißen nicht (Libri I-III)

[Autorin Karen Aydin hat fantastischeantike.de das im Folgenden zu besprechende Buch als kostenloses Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt.]

Die Handlung des Romans „Tote beißen nicht“

Tote beißen nicht ist der erste Teil eines Zweiteilers, der im Jahr 48 v.Chr. zur Zeit des römischen Bürgerkriegs spielt. Die Handlung des Romans setzt direkt nach dem Tod des Pompeius ein und schildert in der Folge die letzten militärischen Konflikte zwischen Gaius Julius Caesar auf der einen und Marcus Porcius Cato dem Jüngeren sowie weiteren Verteidigern der Republik auf der anderen Seite. Garniert wird die Geschichte mit diversen politischen Ränkespielen, bei denen sich besonders Atia hervortut, die Mutter Octavians, des späteren Kaisers Augustus.

So könnte man Tote beißen nicht fast für einen Historienroman halten, zumal sich Autorin Karen Aydin als promovierte Althistorikerin hervorragend in der Thematik ihres Buchs auskennt.

Doch liegt der besondere Clou darin, dass die uns bekannte Historie nur die offizielle Version der Geschichte ist. Tatsächlich geht es um einen jahrhundertealten Konflikt zwischen untoten Blutsaugern und einer Gruppe konservativer Senatoren, den Optimaten, die eine Übernahme der Republik durch die Untoten zu verhindern versuchen. Da sich die Optimaten gleichzeitig darum bemühen, zur Vermeidung von Panik das Wissen über die Untoten zu unterdrücken, finden sich in der offiziellen Geschichtsschreibung kaum Spuren von deren Existenz (S. 65).

Jedenfalls ist die Lage für die Optimaten ernst wie nie, da niemand Geringeres als Gaius Julius Caesar zu den Untoten zählt und gerade erst bei Pharsalos einen großen militärischen Sieg über Pompeius und die republikanischen Truppen gefeiert hat …

Der Roman endet mit dem Freitod Catos 46 v.Chr.

Die Aufmachung des Buchs

Tote beißen nicht versetzt seine Leserschaft auch optisch in eine zur Handlung des Romans passende Stimmung. Zunächst einmal erweckt der Untertitel (Libri I-III) gleich den Eindruck einer antiken Schrift, die ja nicht selten in einzelne Bücher (libri) unterteilt werden.

Zu Beginn eines jeden der drei Bücher gibt Karen Aydin wie in einem antiken Geschichtswerk die Namen der beiden amtierenden Konsuln sowie Datierungen ab urbe condita an, also eine Zeitrechnung, die mit der Gründung der Stadt Rom beginnt, aber im Roman auch in die gängige christliche Zeitrechnung übersetzt wird.

Hinzu kommen das graphische Design des Buchs sowie der Umstand, dass die Seitenzahlen nicht in arabischer, sondern in römischer Schreibweise angegeben werden. Statt Seite 424 steht im Buch also beispielsweise CDXXIV.

Jedes Kapitel beginnt mit einer Überschrift, die die Jahreszeit, den geographischen Raum und den genauen Ort wiedergibt, was ebenfalls an Editionen antiker Texte erinnert. Hier findet sich etwa „Mitte März, Kilikien, Tarsos, in Caesars Zelt“ (S. CCXVIII bzw. 218) oder „November, Rom, Haus des Publius Cornelius Dolabella (S. CCCL bzw. 350).

Besonders gefällt mir aufgrund des indirekten Wortspiels, dass das Buch vor jedem Kapitel den Kopf einer antiken Säule zeigt, den man in der Fachsprache als Kapitell bezeichnet.

Die Untoten: Keren, Lamien und Tenebrae

Drei Bezeichnungen für ein blutsaugendes Wesen

In Tote beißen nicht erfahren wir, dass sich die untoten Blutsauger als Keren bezeichnen und von sich sagen, die Kinder der Nyx und die Geschwister von Thanatos und Hypnos zu sein. Die weiblichen Untoten heißen Lamien.1 Auf Latein werden die Keren Tenebrae genannt, was so viel wie Finsternisse bedeutet (S. 62).

Entstehung, Ernährung und Religion

Solche Wesen entstehen, wenn andere Untote ihnen vollständig das Blut aussaugen und dann etwas von ihrem eigenen Lebenssaft in die blutleere Hülle einfließen lassen. Gleichzeitig muss die zu verwandelnde Person festen Willens sein, zukünftig zu den Keren zu zählen. Wer zögert oder zaudert, verwandelt sich stattdessen in einen Ghul (S. 179f.).

Keren ernähren sich von Blut. Sie können auch gewöhnliche Nahrung zu sich nehmen und trinken gerne Wein, den Caesar in einer Stelle im Buch als „das Blut der Erde“ und den „Lebenssaft des Dionysos“ bezeichnet (S. 50f). Allerdings können die Keren nicht von gewöhnlicher Nahrung leben, weshalb ihre Körper sie auch gar nicht erst verdauen, sondern unverarbeitet wieder ausscheiden (S. 51). Alkohol scheint aber durchaus Wirkung auf sie zu haben, wie sich gelegentlich an – wie sollte es anders sein – Marcus Antonius zeigt.

Solange die Keren regelmäßig Blut zu sich nehmen, altern sie nicht. Wenn sie Blut von besonders jungen Menschen wie z.B. Kindern trinken, kann ihr Körper sogar jünger werden (S. 52). Bevorzugt trinken sie das Blut von Menschen, die sich gut ernähren und Sport treiben, weshalb z.B. Gladiatoren als „gesundes Essen“ gelten (S. 144). Wenn Keren zu lange kein Blut erhalten haben, verfallen sie in einen Zustand, der – so bei Gaius Julius Caesar – leicht mit einem epileptischen Anfall verwechselt werden kann (S. 143).

Entscheidet sich ein Ker dazu, einen Menschen in einen der Untoten zu verwandeln, wird er zu dessen auctor, also Schöpfer (S. 276).

Keren verehren den Gott Dionysos, da er wie sie gestorben und auferstanden ist. Außerdem betrachten sie ihn als Sinnbild für die Befreiung von gesellschaftlichen Zwängen (S. 193f.).

Wie bekämpft und tötet man Keren?

Bei aller Macht, über die die Keren verfügen, sind sie im Roman keineswegs unsterblich. Will man sie vernichten, muss man ihre Herzen mit einem hölzernen Gegenstand durchbohren, ihnen den Kopf abschlagen oder sie verbrennen, wobei sie auch ohne Kopf noch eine Weile unter Qualen weiterexistieren können (S. 58 und 177f.).

Der Volksmund glaubt, dass Knoblauch vor Keren schütze, tatsächlich hilft aber nur Kohl (S. 54f., 58 u. 177f.). Daher thematisierte die Schrift Über den Ackerbau (De agri cultura) von Markus Porcius Cato dem Älteren auch ursprünglich ein Kapitel, in dem der Autor verschiedene Möglichkeiten der Verwendung von Kohl zur Abwehr der Keren thematisiert (S. 89f.).

Jungen tragen bis zu dem Zeitpunkt, an dem sie mit dem 16. Lebensjahr damit beginnen, eine Männertoga zu tragen, ein als Bulla bezeichnetes Amulett, das sie vor Keren schützen soll.

Abweichend von diversen Gerüchten verfügen Keren über ein Spiegelbild (S. 144) und haben keine Probleme mit Sonnenlicht (S. 149).

Die Keren und das Römische Reich

Von der Königsherrschaft zur Republik

Der letzte etruskische König, Tarquinius Superbus, war in Wahrheit ein Ker. Nach seiner Vertreibung genoss Rom eine gewisse Ruhe vor den Untoten, zumal die bäuerliche römische Gesellschaft uninteressant für die Keren wurde, die eher zu Hedonismus und Luxus neigten. Wenn sich doch einmal ein Ker blicken ließ, bekamen die Römer die Situation schnell in den Griff und töteten den Untoten. Die Diener der höheren Beamten waren zu diesem Zweck mit Rutenbündeln ausgestattet, in denen sich Beile befanden, um die Blutsauger zu enthaupten.

In der Folge wandten sich mehr und mehr Völker an die Römer, um diese um Schutz vor den Umtrieben der Untoten zu bitten. So gewann Rom ohne jeden Eigennutz immer mehr Gebiete hinzu, bis Macht und Reichtum dann doch irgendwann Teile der römischen Gesellschaft verführten, was Rom durch das damit verbundene Aufkommen von Luxus wieder interessant für die Keren machte, die sich bis dahin an den östlichen Herrscherhöfen aufgehalten hatten (S. 62-66).

Da es in den antiken griechischen Landschaften immer noch nur so von untoten Blutsaugern wimmelt, schickt die römische Nobilität ihren Nachwuchs in Friedenszeiten für ein bis zwei Jahre in den Osten, damit dieser sich dort im Jagen und Töten der Untoten übt. Doch manche Römer ließen sich verführen und selbst zu Keren machen (S. 62-66).

Optimaten und Popularen

In Rom spielten sich die Keren als Vertreter des gemeinen Volks auf und instrumentalisierten als Popularen die Masse, um ihre eigenen Ziele zu verfolgen. Und anders als in der frühen römischen Zeit begannen Teile der Gesellschaft damit, die Keren zu akzeptieren statt sie auszurotten (S. 62-66). Ein letzter größerer Versuch, gegen die Untoten vorzugehen, stellten Sullas Proskriptionen dar, bei denen Listen mit Namen von Römern veröffentlicht wurden, die straffrei getötet werden konnten (S. 173f.).

Dienlich ist den Keren das Numen, eine Kraft, die es ihnen ermöglicht, geistigen Einfluss auf normale Menschen auszuüben und ihnen ihren Willen aufzuzwängen, was besonders gut bei jungen oder ungebildeten Personen funktioniert (S. 176 u. 344).

Cato der Ältere ist nicht nur in seiner Schrift über die Landwirtschaft auf die Keren eingegangen, sondern hat mit den Origines auch eine Geschichte der Keren verfasst, die – zumindest offiziell – als verschollen gilt (S. 442). Eine weitere Schrift über die Untoten schreibt Tote beißen nicht Fabius Pictor zu (S. 65).

Keren, Lamien und Tenebrae in den antiken Zeugnissen

Die Autorin stellt dem Roman einen Auszug aus Hesiod voran, in dem die Keren als dunkle und blutverschmierte Gestalten mit klappernden hellen Zähnen sowie einem fürchterlichen Blick beschrieben werden, die auf Schlachtfeldern nach dem Blut der Gefallenen gieren (Der Schild des Herakles 248-253). Die verwandtschaftliche Beziehung der Keren zu Nyx und Thanatos hat Karen Aydin hingegen aus der Theogonie des Hesiod (211-217) entnommen.

Auch Homer erwähnt die Keren an mehreren Stellen als Schädlinge und Schadegeister sowie als Bringer von Verderben und Tod2, womit die Keren also bei beiden frühen griechischen Dichtern und somit spätestens ab dem 8. oder 7. Jh. v.Chr. in Erscheinung treten.

In späterer Zeit verstehen die antiken Autoren unter Keren Unglücksgeister, die die Natur verseuchen und Menschen erblinden lassen können, bevor der Begriff schließlich dämonische Geister im Allgemeinen umschreibt.3

Abweichend von der Darstellung in Tote beißen nicht scheint die griechische Antike unter Keren allerdings eher weibliche Wesen verstanden zu haben, wobei Ker auch im Singular für die Todesgöttin, den gewaltsamen Tod oder das Todeslos stehen kann.4

Die lateinische Bezeichnung Tenebrae (Finsternis) entspricht auch in Wirklichkeit den griechischen Keren.5

Den Lamien bzw. der Lamia sind wir auf diesem Blog bereits mehrfach begegnet, sodass an dieser Stelle eine Zusammenfassung genügen mag: Die nach einer Geliebten des Zeus benannten Lamien töten Kinder und stellen außerdem als verführerische weibliche Schreckgestalten eine Gefahr für junge Männer dar, wobei es durchaus Parallelen zu weiblichen Vampiren gibt.

Anspielung auf die Lebenswelt der Römer

Unsere bisherige Zusammenfassung weist bereits einige spannende Stellen auf, an denen Karen Aydin ihr Expertinnenwissen über das antike Rom äußerst geschickt in den phantastischen Teil der Romanhandlung einfließen lässt.

So spielt etwa der Umstand, dass ein luxusfreies und auf Ackerbau basierendes Leben den besten Schutz vor Keren bietet, ganz klar auf das konservative Idealbild eines römischen Bürgers an. Dabei ist es natürlich kein Zufall, dass der Roman dies ausgerecht mit Cato dem Älteren in Verbindung bringt, der sowohl in der Politik als auch in seinen Schriften das Ideal des römischen Bauernsoldaten hochhielt.

In diesem Kontext erhalten auch Optimaten und Populare, Sullas Proskriptionen etc. gänzlich neue Nuancen. Schön ist auch, wie die Autorin Bildungsreisen des aristokratischen Nachwuchs nach Griechenland zur Ausbildungen hinsichtlich der Jagd von Untoten umfunktioniert.

Spannend ist außerdem, dass Tote beißen nicht die Vertreibung des letzten etruskischen Königs zur Befreiung von der Herrschaft der Keren erklärt, was der römischen Republik eine weitere Bedeutungsebene verleiht.

Der römische Imperialismus ist ein spannendes Thema, das – grob vereinfacht – um die Frage kreist, ob die Römer ein extrem eroberungshungriges und angriffslustiges Volk waren oder ob die Expansion des Reiches eher als defensiver Imperialismus zu beschreiben ist, der den Römern durch wiederholte Angriffe ihrer Nachbarn geradezu aufgezwungen wurde. Tote beißen nicht greift dieses Thema auf und erklärt die Expansion mit dem Versuch der Römer, andere Völker vor Untoten zu retten.

Die Beile im Rutenbündel, mit denen die Diener der Beamten ausgestattet waren, beziehen sich auf die sogenannten Fasces, die höheren Magistraten als Amtssymbole dienten. Die von Jungen getragene Bulla gab es ebenfalls wirklich.

Auch der Bezug der Untoten zum wiedergeborenen Gott Dionysos erscheint stimmig. Schließlich ist noch hervorzuheben, wie großartig das numen zu den Keren passt, da es in der realen Überlieferung den Willen einer Gottheit bezeichnet.

Ghule

Außer den Keren gibt es auch noch Ghule, zu denen etwa Cicero zählt. Ghule verfügen nicht über die gleiche Macht wie die Keren und treten häufiger als deren Diener auf. Während die Keren nur das Blut ihrer Opfer trinken, fressen die Ghule die Überreste auf, wenn sie sich ihre Nahrung nicht auf dem örtlichen Friedhof suchen (S. 45).

Wie wir bereits weiter oben erfahren haben, entstehen Ghule, wenn Menschen, die in Keren verwandelt werden sollen, plötzlich zögern oder ins Wanken geraten.

Anders als die Keren hat Karen Aydin die Ghule nicht der griechisch-römischen Überlieferung, sondern nach eigener Aussage der arabischen Dichtung entnommen. (Ich könnte mir jedenfalls vorstellen, dass diejenigen Leserinnen und Leser, die ein zwiespältiges Verhältnis zu Cicero pflegen, Gefallen daran finden, dass ausgerechnet er in Tote beißen nicht als Ghul auftritt.)

Das Bild zeigt den Roman "Tote beißen nicht" von Karen Aydin in meinem Bücherregal zwischen einer Zeus-Büste und einer Karyatide.
Karen Aydin: Tote beißen nicht (Foto: Michael Kleu)

Atia, Octavian und die Hexe Erichtho

Der heimliche Star der Erzählung ist in meinen Augen Atia, die nichts unversucht lässt, um ihren Sohn Octavian zu Caesars Nachfolger zu machen. Zu diesem Zweck sucht Atia mit Octavian das Tempe-Tal in Thessalien auf, um sich dort von der kannibalistischen Hexe Erichto mit Hilfe eines vorübergehend wiederbelebten Leichnams die Zukunft vorhersagen zu lassen (S. 98-107).

Wer sich für die Zeit des Bürgerkriegs interessiert, dürfte einer thessalischen Hexe namens Erichtho – so die griechische Schreibweise – bereits in Lucans Pharsalia (VI, 507–830) begegnet sein, wo sie einen Toten erweckt, um den Ausgang der bereits eingangs angesprochenen Schlacht bei Pharsalos vorherzusagen.

Übrigens besteht Atia im Roman darauf, dass Octavian der Sohn des Apoll sei, der sie in Form einer Schlange geschwängert habe, weshalb sie aufgrund von Parallelen zu Alexander dem Großen und Scipio Africanus von einer ruhmreichen Zukunft ihres Sohnes ausgeht (S. 98f.).

In den realen Quellen beschreibt der antike Autor Sueton diesen Sachverhalt in seiner Biographie des Augustus sehr ähnlich, wobei er außerdem noch einige weitere Vorzeichen aufzählt, die die große Zukunft des Octavian bereits früh vorausgesagt haben sollen (Leben des Augustus 92).

Ägyptische Magie

Die Hexe Erichto ist nicht die einzige Person in Tote beißen nicht, die Magie wirken kann. So tritt in einem Handlungsstrang, der in Ägypten spielt, ein Papyrus in Erscheinung, auf dem sich Zauberformeln befinden, wobei gleichzeitig sehr schön erklärt wird, was ein Palimpsest ist (S. 120). Tatsächlich hat es im griechisch-römischen Ägypten Papyri mit Zauberformeln gegeben, von denen uns zumindest ein Teil erhalten geblieben ist.

Der phantastische Caesar in Tote beißen nicht

Da Caesar eine prominente Rolle innerhalb des Romans einnimmt, verbindet ihn Karen Aydin gleich mehrfach mit den phantastischen Elementen ihrer Erzählung.

So handelt es sich bei Caesars berühmtem „Ich kam, ich sah, ich siegte.“ um ein Missverständnis. Tatsächlich soll er „Ich kam, ich biss, ich sättigte mich.“ gesagt haben, was jeweils auch auf Altgriechisch angegeben wird (S. 292).

Als Caesar aufgrund seiner Ehe mit Cinnas Tochter Cornelia vor Sulla geflohen war, entschied er sich am Hof des Nikomedes IV. von Bithynien im Kontext eines homoerotischen Verhältnisses zum König dazu, ein Ker zu werden (S. 173-175). Auch die realen Quellen sagen Caesar anlässlich seines Aufenthalts in Bithynien eine Affäre mit dem bithynischen Herrscher nach.

In diesem Rahmen erzählt Tote beißen nicht auch die Geschichte, in der Caesar in die Gewalt von Piraten gerät, aus einer völlig neuen Perspektive, bei der das Numen seinen überraschenden Einfluss aus die Seeräuber erklärt (S. 176f).

Dass Keren bei Blutmangel in einen Zustand verfallen, der an Epilepsie erinnert, bezieht sich darauf, dass die antiken Quellen Caesar eine Art Anfälle zuschreiben, die die Forschung gelegentlich als epileptisch einstuft.

Caesars 10. Legion, die sich in Gallien hervorgetan hatte, ist in Tote beißen nicht auch als „unheilige Schar“ bekannt, da auch die Legionäre Untote sind (S. 54).

Weitere Spielereien mit Fakt und Fiktion

Kommen wir noch zu zwei letzten kleineren Stellen, bei denen Karen Aydin in Tote beißen nicht ihre fiktive Erzählung mit der realen historischen oder mythologischen Überlieferung verbindet.

So bringt die Autorin auch die Vesper von Ephesos, bei der auf Befehl des Mithridates VI. zehntausende Römer den Tod fanden, mit den Keren in Verbindung (S. 307).

Schließlich sei noch eine kurze Erwähnung des Kerberos im Roman genannt. Während es für gewöhnlich die Aufgabe des Höllenhunds ist, Tote am Verlassen des Totenreichs und Lebende am Betreben desselben zu hindern, soll er in Tote beißen nicht die untoten Keren vom Hades fernhalten (S. 174). Womöglich ist diese Idee auf die erste Silbe des Namens Kerberos zurückzuführen, die ihn leicht in eine direkte Beziehung zu den Keren setzen lässt.

Popkulturelle Anspielungen

Auf S. 81 bezeichnen zwei Keren einen jungen Griechen, den sie sich als Abendessen ausgesucht haben, als „griechischen Wein“, was sicherlich auf das berühmte Lied von Udo Jürgens anspielt. Und wenn Kleopatra auf S. 93 ein „Die spinnen, die Römer.“ entfährt, handelt es sich natürlich um einen klaren Bezug auf Asterix & Obelix.

Der Titel des Buchs

Der Titel Tote beißen nicht leitet sich von einer Stelle aus Plutarchs Biographie des Pompeius (77,7) ab, an der es heißt: „Ein Toter beißt nicht“.  Gemeinsam mit dem bereits oben angeführten Auszug aus Hesiod ist dieses Zitat der Romanerzählung vorangestellt.

Horror – oder doch Fantasy?

Aufgrund der Keren, die der Roman natürlich ganz eindeutig in Anlehnung an moderne Vampirvorstellungen präsentiert, würde man Tote beißen nicht spontan dem Horror-Genre zuordnen. Tatsächlich hat besonders der Besuch bei der Hexe Erichtho ein gewisses Gruselpotential.

Doch gibt es verhältnismäßig wenig solcher Szenen, zumal Caesar und andere Keren keineswegs als wirklich böse Wesen präsentiert werden, sondern durchaus menschlich erscheinen. So ist Tote beißen nicht aufgrund der übernatürlichen Elemente klar der Phantastik zugehörig, ohne aber – auf das gesamte Buch bezogen – nennenswerten Horror oder Grusel zu erzeugen.

Daher würde ich den Roman insgesamt betrachtet als Historical Fantasy oder als Urban Fantasy in einem historischen Setting beschreiben, wobei mir bewusst ist, dass solche Kategorisierungen sehr vom persönlichen Blickwinkel abhängen.

Fazit: Mein Eindruck von Tote beißen nicht

Wow! Karen Aydin gelingt es auf Basis ihres profunden Wissens über die römische Geschichte auf beeindruckende Weise, bekannte Sachverhalte immer wieder so umzudeuten, dass sie sich hervorragend in das phantastische Element ihrer Erzählung einbetten lassen.

Eine derartig kreative Verknüpfung von Alter Geschichte und Phantastik tritt keineswegs häufig auf. Spontan fallen mir nur Isaac Asimovs Kurzgeschichte The Dead Past und Dan Simmons Romane Ilium und Olympos als vergleichbare Werke ein.

Auch, wenn ich den zweiten Teil von Tote beißen nicht noch nicht gelesen habe, wage ich an dieser Stelle mal die wohl nicht sehr gewagte Prognose, dass bei der Ermordung Caesars an den Iden des März sicherlich auch eine hölzerne Waffe zum Einsatz kommen wird …

Weiterführende Artikel

Wenn Ihr mehr über Geister, Hexen und Menschfresser im antiken Rom lesen möchtet, geht es hier sofort mit einem Überblick weiter.

Literatur

Walde, Christine: Artikel „Ker“, in: Der neue Pauly 6 (1999), S. 428.

Karen Aydin: Tote beißen nicht. Libri I-III, TribusVerlag 2022.

 

Michael Kleu

Anmerkungen

  1. Der Roman bezeichnet Clodia Pulchra (S. 433) als sichere und Catos Schwester Servilia (47) als mögliche Lamia.
  2. Vgl. Walde (1999).
  3. Vgl. Walde (1999).
  4. Vgl. Walde (1999)
  5. Vergleiche hierzu Ciceros Vom Wesen der Götter (De natura deorum 3,44).

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