Veröffentlicht: 3. Februar 2019 – Letzte Aktualisierung: 21. September 2022
Sebastian Nagel studiert Deutsch und Geschichte an der Universität Bonn, wo wir uns im Rahmen einer Übung zu den Komödien des Aristophanes als historische Quelle kennenlernten. Sein Text passt sehr schön zu den bisherigen Überlegungen zur Antikenrezeption bei Monty Python auf unserem Blog. Der Text kann alternativ auch in einer sehr schön gestalteten PDF-Datei gelesen werden.
SOLDAT:
Wollt Ihr behaupten, daß Kokosnüsse fortziehen?
ARTUS:
Nicht im geringsten. Sie könnte getragen worden sein.
SOLDAT:
Wie bitte? Eine Kokosnuß? Von einer Schwalbe?
ARTUS:
Warum nicht?
SOLDAT:
Ich sag Euch, warum nicht: Weil eine Schwalbe ungefähr zwanzig
Zentimeter lang ist und etwa hundertfünfzig Gramm wiegt. Und ich
möchte die Kokosnuß sehen, die nicht wenigstens ein Pfund wiegt!
CLEESE et al.. 1994. Monty Python – Der heilige Gral (ED. SINGELMANN).
Haffmanns Verlag. 18
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PAPHLAGONIER:
So höre denn und merk auf jedes Wort (liest aus der Rolle):
»Acht, o Erechtheus‘ Sohn, auf den Spruch, den vom heiligen Dreifuß
Dir aus der Tiefe des Felsens herauf Apollon verkündet:
Halt in Ehren den heiligen Hund mit den schneidenden Hauern,
Der erst knurrt, und aus Sorge für dich dann fürchterlich bellend,
Reichen Sold dir verschafft; unterläßt er es jemals, dann weh ihm!
Denn es krächzet um ihn eine Schar feindseliger Dohlen!«
DEMOS:
Nein, bei Demeter, das versteh ich nicht,
Was soll der Hund, Erechtheus und die Dohlen?
ARISTOPHANES. 1990. Die Ritter (ED. SEEGER). dtv artemis. 94
Wie kürzlich MICHAEL KLEU in seinem Artikel über die „bärtigen Frauen“ aufgezeigt hat, lassen sich in den Werken der, zurecht (!), kultisch verehrten britischen Komikertruppe Monty Python interessante Bezüge zu jenen ihres antiken Vorgängers, dem attischen Komödiendichter Aristophanes entdecken – spitzfindige Reminiszenzen und zugleich Zeugnis für die exzellente klassische Bildung der Herren Chapman, Cleese und Co. Es verwundert daher kaum, dass die Engländer auch in ihr wohl bekanntestes Humorstück, The Holy Grail (dt: Der heilige Gral, im deutschsprachigen Raum unter dem Titel „Die Ritter der Kokosnuss“ 1975 veröffentlicht) einige Anlehnungen an den Vorgänger aus dem 5. vorchristlichen Jahrhundert eingebaut haben, für deren Entdeckung dieser kurze Abriss sensibilisieren möchte. Zunächst aber sei kurz auf den Inhalt beider Opera eingegangen.
In den Rittern (gr. Hippeis) transponiert Aristophanes die politische Gemengelage Athens um das Jahr 425 v. Chr. in eine Art metaphorischen Mikrokosmos: Aus dem Lederwarenhändler Kleon – vermutlich einem der ersten Populisten, vielleicht sogar Demagogen der Welthistorie[1] – wird der Paphlagonier, ein intriganter und machtgieriger Obersklave seines Herrn Demos. Dieser Demos nun, eine kaum verschleierte Personifikation des attischen Volkes, hält weiterhin zwei Sklaven mit Namen Nikias und Demosthenes – ebenfalls bedeutende politische Akteure zu des Dichters Zeit, jedoch weitaus weniger Subjekte seines Spottes als vielmehr seines Mitleids. Aristophanes lässt die beiden als vom Paphlagonier geschundene und seiner Gewalt überdrüssige Knechte auftreten, die verzweifelt nach dem Bezwinger ihres brutalen Vorgesetzten suchen. Und tatsächlich: Angeregt durch ein Orakel finden sie den Tyrannenstürzer in persona eines Wursthändlers – „Allein ich habe nichts gelernt; Ein bißchen Lesen, ja, doch schlecht genug!“[2] –, der zunächst die athenischen Ratsherren und dann auch den Demos mit List und Lüge für sich gewinnt, ihn und die Stadt am Ende von dem urbösen Paphlagonier befreit und beiden so zu neuer Blüte verhilft.
Nun zum Heiligen Gral: Zur Mitte des 10. nachchristlichen Jahrhunderts begibt sich der britische König Artus gemeinsam mit seinem Knappen Patsy auf die Suche nach den edlen Rittern des Landes, um sie an seinen Hof zu holen und zu Mitgliedern eines noblen Bundes, der Tafelrunde, zu erheben. Nachdem Artus seine Gefolgsmänner gefunden hat, erhält die Tafelrunde von Gott höchstselbst den Auftrag, in den Besitz des Heiligen Grals zu kommen, um die Welt qua des Artefaktes Glanz von allem Bösen zu erlösen. Ganz in der Manier einer traditionellen Nummern- oder Sketchrevue ermöglichen die Pythons aus diesem losen Handlungsstrang rund um Sir Robin, Lancelot, Bedevere und Galahad diverse humoristische Einblicke in die mittelalterlich-höfische Lebensart und Mentalität, schlaglichtartig werden zudem ein moderner Kriminalfall – die Ermordung eines Historikers vor laufender Kamera – sowie die anschließenden polizeilichen Ermittlungen thematisiert und immer wieder in den Hauptplot eingewoben. Nach und nach dezimiert sich so die Zahl der noblen Ritter, kulminiert im abrupten Ende des Filmes – der Festnahme König Artus durch die Polizei.
Welche Gemeinsamkeiten fallen bereits in dieser kurzen Werksschau auf?
1) DAS »PSEUDO-ODYSSEISCHE« SUCHMOTIV
Beide Komödien konfrontieren den Zuschauer mit einem Topos, das zweifelsohne als eines der literarischen, ja vielleicht sogar anthropologischen Ur-Themen anzusehen ist und schon zu des Aristophanes‘ Zeit eine enorme Rezeptionsgeschichte erfahren hat: dem SUCHEN und FINDEN. Als populärste und prominenteste Interpretation dieser Motivik darf sicherlich auch heute noch Homers Odyssee gelten – ein Werk, auf welches sowohl die Pythons als auch Aristophanes, implizit doch unverkennbar, verweisen.[3] Tatsächlich scheint es sich bei den Aufgriffen homerischer Epen durch den attischen Komödiendichter um frühe Formen von PARODIE zu handeln, weshalb sich argumentieren ließe, dass die Etablierung dieser Kunstform ohne die Opera (Werke) des Aristophanes kaum vorstellbar wäre. Die Implementierung der Parodie in ein filmisches Genre hingegen kann als großer Verdienst von Monty Python angesehen werden. Beiden Künstlern kommt in dieser Auslegung eine humoristische Pionierrolle zu.
2) DIE RITTER-THEMATIK[4]
Betrachtet man den, in Fankreisen kontrovers diskutierten, deutschen Verleihtitel des Python-Filmes – Die Ritter der Kokosnuss – so wird besonders die personelle Analogie beider Werke deutlich. Hier nun darf indes keine falsche Hoffnung auf einen konsequenten Parallelismus aufkeimen, denn die aristophanischen Hippeis teilen bis auf das Charakteristikum des
bewaffneten Reiters kaum eine Gemeinsamkeit mit ihrem mittelalterlichen Pendant. Vielmehr
stellen sie seit den solonischen Reformen um 600 v. Chr. die zweite Zensusklasse Athens dar,
teilen insofern auch nicht den adeligen Status von Sir Lancelot und Konsorten, sondern sind
nicht mehr und nicht weniger als berittene Soldaten. Dieser militärische Status von RITTERSCHAFT hingegen evoziert eine weitere spannende Parallele zwischen antiker Theater- und jüngerer Filmkomödie. Denn ebenso wie Aristophanes mit seinem Ritter-Chor schöpft einer der Holy-Grail-Sketche – jener nämlich der »Singenden Ritter von Camelot« – sein humoristisches Potential aus dem Spannungsverhältnis des maskulinen, tugendhaften und kampfeslustigen Mannes, der nunmehr einer eher musisch-feminin rezipierten Tätigkeit, dem BÜHNENGESANG, nachgeht. Zugegebenermaßen: Die Pythons verharren nicht auf dieser Stufe, sondern machen ihre Interpretation dieser musikalischen Revue („We‘re Knights of the Round Table[!]“ [5]) zum direkten Anfgriff auf das mittelalterliche Ideal des auch in den Künsten hochgebildeten und fähigen Heroen.[6] Auf der reinen Ebene des Humoristischen ändert dieses divergierende Motivation de facto jedoch wenig, denn die Szene funktioniert auch ohne weiterführende historische Kenntnisse, allein aufgrund der ÜBERZEICHNUNG ihrer – männlichen – Charaktere („I have to push the pram a lot.“[7]).
3) KONFUSE ORAKEL oder DIE ENTTARNUNG RELIGIÖSER SPRACHE
Im Gegensatz zu Aristophanes, dessen Übersetzungshistorie mit den wohlklingenden Namen Droysen, Ribbeck und Seeger verbunden ist, blickt die deutschsprachige Synchronfassung der Ritter der Kokosnuss auf eine eher unrühmliche Geschichte. Der Hauptvorwurf, den man bis heute an sie richtet – und nebenbei einer der Gründe, weshalb der Streaming-Dienst Netflix den Film nur in der englischsprachigen Originalversion listet – ist, dass der bizarre Sprachwitz der Pythons nur fehlerhaft und bisweilen überhaupt nicht übertragen wurde.[8] Dennoch bietet sich die Inspektion einer konkreten, ikonisch gewordenen Dialogstelle aus dem Beginn des Filmes an, da sie in allen Sprachversionen in etwa die selben Akzente setzt und zudem repräsentativ
für ein Muster steht, welches dem Kenner der aristophanischen Rittern wohl vertraut sein dürfte: König Artus ist mitten in der Diskussion mit einem Wachsoldaten, welcher von einer hohen Burgmauer aus zu ihm spricht und ihn fragt, woher er und sein Knappen die Kokosnüsse hätten, mit denen sie das Hufgeklapper von Pferden imitieren. Genervt reckt unser Held den Kopf in die Höhe und versichert, die Tropenfrüchte seien eben in den Norden gezogen. Nun kommt es zu dem anfangs dargelegten Wortwechsel (Textbeispiel 1). Nun zum Vergleich eine Szene in des attischen Dichters Komödie: Hier tritt der Paphlagonier – das stückinterne Pendant zum real existierenden Kleon – vor seinen Herrn Demos – der Personifikation des Volkes – und versucht ihn, mit einem verwirrenden Orakel zu bezirzen, für die eigenen Belange zu instrumentalisieren (Textbeispiel 2).
Was ist den Auszügen gemein? Vordergründig teilen beide offensichtlich nur die Erwähnung eines Vogels – im Falle der Pythons ist es die Schwalbe (Hirundinidae), bei Aristophanes die Dohle (Corvus monedula). Es mag demnach sicherlich eingeworfen werden, diese Äquivalenz stelle ein rein willkürliches Faktum dar und sei zu vernachlässigen. Eine solche Argumentation missachtet jedoch, dass beiden Dialogen eine ähnliche Intention innewohnt: Im Heiligen Gral wird die Schwalbe als pars pro toto aller Zugvögel benutzt, um ein komisches, da konfuses Gespräch am Laufen zu halten. In den Rittern übernimmt die Dohle diese Aufgabe und hinterlässt einen ratlosen und irritierten Demos. Anhand dieser Verballhornung einer althergebrachten Tradition, der Vogeldeutung, wird ergo deutlich: Die Persiflage von BAUERNWEISHEITEN und ORAKELSPRÜCHEN – kurzum das Infragestellen von ritualisiert-gedeuteter und bisweilen religiös instrumentalisierter Sprache sowie das Entblößen ihrer Inhaltsleere – wird in beiden Komödien zum konstitutiven Element, zum humoristischen Schema. Diese Form des kritischen Hinterfragens von Religion, fromme Geister mögen gar von BLASPHEMIE sprechen, kann als eine humoristische inventio des Aristophanes angesehen werden und wird von Monty Python, auch in der bildlichen Darstellung Gottes (siehe oben), konsequent weitergedacht.
Es soll nun indess nicht der Verdacht eines Transfers »auf Biegen und Brechen« aufkommen:
Inhaltlich offenbaren die Komödien nahezu keine Gemeinsamkeiten, wenngleich das markante
Auftauchen eines Kaninchens in beiden Werken – zum Charakter desjenigen im Holy Grail sei an dieser Stelle aus gewissen Gründen Stillschweigen bewahrt – kaum zufällig erscheint. Es ist aber unzweifelhaft primäres Ansinnen des Python-Opus eine Parodie auf die angelsächsischen
Mittelalterepen rund um König Artus, Sir Lancelot et cetera zu entwerfen, wohingegen Aristophanes 424 v. Chr. beinahe tagesaktuell-politisch den Populisten Kleon als kriminellen Volksverräter enttarnen möchte und dessen werkinternes Pendant coram publico (vor aller Welt) gar durch einen ungebildeten und hinterlistigen Wurstverkäufer stürzen lässt. Ritter sind eben nicht gleich Ritter. Doch trotz dieser gravierenden Differenzen lässt sich eine direkte Linie zwischen dem humoristischen Kern beider Interpreten und ihrer prominenten Werke kaum negieren:
„[T]he seeds of […] Monty Python’s Flying Circus are readily apparent in Aristophanes and can easily lead one to assume that not much has changed in comedy since antiquity.”
(Rosen 1998: vii)
Auch an anderer Stelle ist zu lesen:
„As we shall see, anarchistic comedy is associated with Aristophanes and continues all the way down to the Marx Brothers, Monty Python, Saturday Night Live, and even the Muppet movies. […] The world has never seen a more freewheeling and carnivalesque form of comedy than that of Aristophanes. Elements of his accomplishment shine forth hilariously in […] all the Monty Python films[.]” (Horton 2000: 43f.)
Und so ist es gerade das Anarchische – ein humoristisches »Gegen-den-Strich-schwimmen« – das als Erbe der aristophanischen Komödien auch und besonders in The Holy Grail weiterwirkt. Dass sich die »Großen« der Comedyzunft heutzutage wiederum auf Monty Python als Ur-Väter des Anarcho-Humors berufen, macht deutlich, wie vivid deren Vorlagen, demnach auch „Die Ritter“, 2019 noch sein können.
Anmerkungen:
[1] In einem welt.de-Artikel aus dem Jahr 2016 sah B. Seewald in Kleon gar den „Trump der Antike“.
[2] ARISTOPHANES 1990: 63.
[3] Wenngleich natürlich nicht verhehlt werden darf, dass beide Komödien die werksinterne
Destination des Odysseus, das Erreichen der Heimat, durch die jeweils immanenten Ziele ihrer
eigenen Protagonisten – das Finden eines Tyrannenbezwingers respektive des Heiligen Grals
– ersetzen und somit keine Eins-zu-Eins-Parodie anstreben.
[4] Die Tatsache, dass physisch auftretende Pferde im Holy-Grail-Kosmos tatsächlich nur eine
untergeordnete Rolle spielen, sei an dieser Stelle ebenso eine Randbemerkung wie die Vermutung, dass in Aristophanes‘ Komödie vermutlich ebenso wenig lebendige Tiere auf der
Bühne ihren Einsatz fanden. Es wäre selbstredend wünschenswert, wenn sich Folgeuntersuchungen dieser Frage intensiver widmen könnten.
[5] CLEESE et al. 1994: 190.
[6] Erinnert sei an die ritualisierte Form des Minnegesangs sowie die Etablierung des
mittelalterlichen Heron Tristan in Gottfried von Straßburgs gleichnamiger Sage. Hier
manifestiert sich die höfische Bildung des Helden auch und besonders in dessen exquisiter
musikalischer Erziehung innerhalb des Quadriviums.
[7] CLEESE et al. 1994: 190.
[8] Eike Harms kommentiert dieses Faktum in einem Mittelwort in CLEESE et al. 1994: 131-34 und
verweist auf SINGELMANNS deutlich bessere Übersetzung im selben Band.
Verwendete Quellen und Literatur:
ARISTOPHANES. 1990. Die Ritter. In: Aristophanes Komödien. Übersetzt von
Ludwig SEEGER. München: dtv artemis. 54-107.
CLEESE, John et al.. 1994. Monty Python – Der heilige Gral. Übersetzt von
Karsten SINGELMANN, getreu dem englischen Originalskript. Zürich:
Haffmanns Verlag.
GOLDHILL, Simon. 2016. Good dirty fun. In: The Times Literary Supplement.
URL: https://www.the-tls.co.uk/articles/public/good-dirty-fun/
(zuletzt abgerufen am 17.01.2019).
HORTON, Andrew. 2000. Laughing out loud. Writing the comedy-centered screenplay.
Berkeley – Los Angeles: UCP.
ROSEN, Ralph M.. 1998. Introduction. In: David R. SLAVITT – Palmer BOVIE (Hg.).
Aristophanes, 1. Philadelphia: UPP. vii-xiv.
SEEWALD, Berthold. 2016. Kleon hieß der Trump der Antike. Auf: Welt.de.
URL: https://www.welt.de/geschichte/article159876548/Kleon-hiess-der-Trump-der-Antike.html
(zuletzt abgerufen am 26.01.2019).
Mehr vom Autor unter: http://sebastiannagel.bplaced.net/
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