Veröffentlicht: 2. Juni 2019 – Letzte Aktualisierung: 21. September 2022
Vorbemerkungen Michael Kleu:
Die britische TV-Serie „Dr. Who“ – damals noch mit Sylvester McCoy in der Hauptrolle– gehörte zu meinen ersten Kontakten mit der Phantastik. Umso mehr freue ich mich, nun endlich einen Artikel zu dieser bemerkenswerten Serie auf fantastischeantike.de veröffentlichen zu können. Hinzu kommt, dass dieser Artikel von Fabiane Hörmann verfasst wurde, die einen sehr schönen Blog betreibt, auf dem sie in unregelmäßigen Abständen auf die historischen Hintergründe einzelner Dr. Who-Episoden eingeht. So ist auch der folgende Beitrag über die Sibyllen, der hervorragend zu meinen Überlegungen zu Orakeln und sich selbst erfüllenden Prophezeiungen passt, ursprünglich auf ihrem Blog publiziert worden. Aber schauen wir uns nun an, was Fabiane Hörmann zu dem Thema zu sagen hat:
Dr. Who: Die Feuer von Pompeiji
Die Frage nach der Zukunft hat die Menschen schon immer beschäftigt. In der Dr. Who-Episode Die Feuer von Pompeji treffen der Doktor und Donna nicht nur genau zum Ausbruch des Vesuvs in Pompeji ein, sondern lernen auch die Sibyllen kennen, die eine Gruppe von Priesterinnen sind. Diese Frauen sagen durch das Einatmen von Vulkandämpfen nicht nur eine „Zeit des Sturms und Feuers“ voraus (was eine wirklich nette Umschreibung eines Vulkanausbruchs ist), sondern auch die Ankunft einer „merkwürdigen blauen Kiste“. Durch diese Folge habe ich mich mit dem Thema Seherinnen einmal genauer beschäftigt:
Die Prophezeiungen der Sibyllen
Bei den Sibyllen haben sich die Macher von Doktor Who ziemlich nah an die wirkliche Geschichte gehalten: Die Sibyllen gab es wirklich. Dass sie tatsächlich in die Zukunft sehen konnten, bezweifele ich, aber das hat ja bis heute die Leute nicht davon abgehalten an Wahrsagerei zu glauben. Auf jeden Fall gibt es zahlreiche Überlieferungen von einer Gruppe von Frauen, die später – wohl aufgrund des Namens ihrer Gründerin – die „Sibyllen“ genannt wurden. Die Sibyllen waren „von Geburt an auserwählte Seherinnen“, die geschworen hatten, ihr Leben lang Jungfrauen zu bleiben. Die ersten Sibyllen stammten vermutlich aus Kleinasien, allerdings ist über die einzelnen Sibyllen oft nur wenig bekannt. Auch ihre Namen wurden anscheinend nie festgehalten, da in den Überlieferungen die Sibyllen meist nur durch eine Ortsbezeichnung unterschieden wurden: Die Sibylle von Cumea (eine ehemalige griechische Kolonie in der Nähe von Neapel), die Sibylle von Delphi, usw.
Schon zur Zeit des alten Roms kursierten viele Legenden und Spekulationen über die Sibyllen. Wahrsagerei war zwar in der Antike durchaus eine wichtige Stütze für die Menschen (Bestandteil von so ziemlich jeder Heldensage), die Prophezeiungen der Sibyllen hingegen wurden oft gefürchtet, handelten sie doch meist von Katastrophen und anderen unglücklichen Ereignissen. Auch haben sie – anders als die Seherinnen bei Doktor Who – wohl nie in ‚Orakelbetrieben‘ oder Tempeln geweissagt. Sie sollen im Gegensatz zu anderen Sehern oder Orakeln immer ungefragt und spontan geweissagt haben. Ihre Prophezeiungen schrieben sie dann auf einfachen Pflanzenblättern nieder.
Eine der bekanntesten Sibyllen ist die Sibylle von Cumae. Der lateinische Dichter Vergil schreibt in seiner ‚Aeneis‘, dass sie den Halbgott Aeneas in die Unterwelt führte und ihm prophezeite, dass er einmal der Stammvater der Stadt Rom werden würde. Michelangelo setzte ihr dafür sogar in der Sixtinischen Kapelle in Rom ein Denkmal.
Die Sibyllinischen Bücher oder warum sich harte Verhandlungen manchmal nicht auszahlen
Auch eine andere Sibylle (von der leider nichts bekannt ist, außer dass sie eine Sibylle war) machte im alten Rom von sich reden. Dazu muss man sagen, dass im alten Rom das Wahrsagen zu privaten Zwecken missbilligt wurde. Die Herrscher hatten Angst, jemand könnte eine Vorhersage für einen „göttlich sanktionierten“ Putschversuch nutzen – etwas, das dann zum Beispiel bei den Kreuzrittern oder Johanna von Orleans wieder in Mode kam. Der Legende nach bot eine Sibylle dem damaligen König Tarquinius Superbus neun Bücher voll mit ihren Prophezeiungen zum Kauf an. Der König scheint durchaus interessiert, findet den Preis aber zu teuer. Daraufhin wirft die Sibylle drei der Bücher ins Feuer und fordert den gleichen Preis noch einmal. Tarquinius Superbus hält das nun erst recht für Wucher. Da verbrennt die Sibylle drei weitere Bücher. Aus Angst, dass alle Vorhersagen sonst verloren gehen, kauft der König daraufhin zähneknirschend die restlichen drei Bücher zum ursprünglichen Preis.
Die späteren Kaiser scheinen aus diesem Vorfall gelernt zu haben, denn später ließ man alle Aufzeichnungen von den Sibyllen konfiszieren und nach Rom bringen – die sogenannten Sibyllinischen Bücher. Diese wurden dann bei Fragen zum Wohl des Staates oder dem Wohl des derzeitigen Kaisers zurate gezogen. Diese Prozedur lief immer nach dem gleichen Schema ab:
Wenn jemand ein böses Omen beobachtete, wie z.B. sprechende Statuen oder mysteriöse Wolkenformationen, wurde der Senat unterrichtet. Der entschied dann, ob man die Sibyllinischen Bücher zurate ziehen solle. Wie genau die Bücher konsultiert wurden, ob man sie einfach durchlas bis man etwas Passendes fand oder ob es dazu irgendein Ritual gab, ist meines Wissens leider nicht überliefert. Fest steht jedoch, dass die Bücher verschiedene Vorschriften lieferten, wie das drohende Unheil abgewendet werden könne. Dafür wurden dann etwa Opfer oder Geldspenden dargebracht oder man veranstaltete eine Prozession zu Ehren eines bestimmten Gottes.
Nachwort Michael Kleu:
Wie Fabiane Hörmann in ihrem Artikel gezeigt hat, sind die Sibyllen eine sehr spannende Variante von Orakeln oder Prophetinnen. Hinsichtlich der Sibyllinischen Bücher kann man noch zwischen der Zeit der Republik und der Kaiserzeit (ab 30/27 v.Chr.) unterscheiden. In der Republik zog man die Bücher in Krisenzeiten zurate, bis sie 83. v.Chr. im Rahmen eines Brandes des Jupitertempels auf dem Kapitol vernichtet wurden. Rekonstruktionen dieser Bücher scheinen sich bis ins 4. Jh. gehalten zu haben. Die sogenannten „Sibylinischen Orakel“ der Kaiserzeit scheinen nur noch einen fiktiven namentlichen Bezug zu den Sibyllen aufzuweisen.
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