Die Götter beim Jobcenter – Zeus, Artemis, Kronos & Co beim Casting zum Seriendarsteller in Supernatural

Gottheiten in der griechisch-römischen Antike

Die Strafen der Götter

Die Gottheiten der griechischen und römischen Mythologie zeichnen sich im Allgemeinen nicht gerade durch Milde und Wohltätigkeit aus und sind auch nicht dafür bekannt, Gnade vor Recht ergehen zu lassen – im Gegenteil. Sie sind sogar ziemlich rachsüchtig und nicht zimperlich, wenn es darum geht, jemandem für ein vermeintliches Fehlverhalten drakonische Strafen aufzuhalsen. Einmal mit einer solchen Strafe belegt, hat die entsprechende Person zumeist ein Leben lang darunter zu leiden.

Prometheus

Man denke nur an die Strafe des Prometheus, der, weil er den Menschen das Feuer brachte, an einen Felsen geschmiedet wurde, wo sich täglich ein Adler an seiner Leber gütlich tat. Als ob diese Strafe nicht schlimm genug wäre, blieb es Prometheus verwehrt, einfach zu sterben: Die Leber regenerierte sich stets und er musste die Strafe und die Schmerzen aufgrund seiner Unsterblichkeit als Titan auf ewig erleiden.

Das war zumindest Zeus‘ Plan. Zum Glück für Prometheus wurde er aber von Herkules gefunden und von diesem gerettet. Zeus gab sich damit jedoch noch nicht zufrieden und holte derweil zu einem Rundumschlag aus: Die Menschheit, die das Feuer erhalten hatte, wurde mit der Büchse der Pandora bestraft, die bekanntlich Elend und Leid auf die Erde brachte.[i]

Sisiphos

Ein weiterer prominenter, nicht zuletzt durch das Sprichwort bekannter Fall ist der des Sisiphos. Dieser war dazu verdonnert, bis an sein Lebensende einen Marmorblock einen Berg hinaufzurollen. Kurz bevor er sein Ziel erreichte, rollte der Block jedoch immer an seinen Ausgangsort zurück, und Sisiphos musste von vorn beginnen.[ii]

Staffel 1
Supernatural Staffel 1 (Photo: Michael Kleu)

Strafende Götter und anmaßende Menschen

Die Tantaliden

War die betroffene Gottheit besonders erbost, wurde ab und an auch gleich die zugehörige Familie verflucht. So geschehen bei den Tantaliden[iii]: Weil Tantalos die Götter bei einem Festmahl herausforderte, um ihre Allwissenheit zu prüfen, traf die Strafe nicht nur ihn, sondern gleich seine gesamte Nachkommenschaft. Tantalos selbst blieb es durch den Fluch verwehrt, Speisen und Getränke zu sich zu nehmen, obwohl er unter Hunger und Durst litt.[iv] Wie Prometheus und Sisiphos war auch er unsterblich, und die Strafe dauerte somit ewig. Die Mitglieder seiner Familie brachten sich durch innerfamiliäre Streitigkeiten über Generationen gegenseitig um.[v]

Eines muss man den Göttern lassen: Was die Bestrafung anging, waren sie nicht nur grausam, sondern auch überaus kreativ. Der Grund für die Verstimmung eines Gottes oder einer Göttin war dabei zumeist vergleichsweise simpel: Die Menschen hatten ihnen nicht den gebührenden Respekt bekundet, und die Gottheit fühlte sich in ihrer Ehre gekränkt und herausgefordert.

Niobe und Arachne

Auf schmerzhafte Weise mussten das außerdem auch Niobe und Arachne erfahren. Niobe fiel als Tochter des Tantalos dem besagten Tantalidenfluch zum Opfer: Sie war stolz auf ihre 14 Kinder, 7 Jungen und 7 Mädchen, und beleidigte damit die Titanin Leto, die lediglich zwei Kinder hatte – Apollon und Artemis. Diese beiden schickte die erzürnte Mutter auch sogleich auf die Erde, um die Kinder der Niobe zu töten. Eines nach dem anderen fiel den Pfeilen der göttlichen Zwillinge zum Opfer.[vi]

Arachne erdreistete sich hingegen zu behaupten, dass sie die beste Weberin sei und forderte Athene, neben ihrer Rolle als Göttin der Weisheit und Schutzpatronin von Athen auch Göttin des Handwerks, zu einem Wettstreit heraus. Erkennend, dass Arachne nicht übertrieben hatte, rächte sich Athene prompt, indem sie Arachne in eine Spinne verwandelte. Fortan webte sie in dieser Gestalt wunderschöne Netze.[vii]

Bei derartigen Geschichten verwundert es wenig, welch wichtige Rolle Opfergaben an die Götter im heidnischen Glauben der Griechen und Römer einnahmen. Die Götter verlangten Ehrerbietung und Demut von den Menschen und lebten davon, angebetet zu werden.

Das Christentum macht den heidnischen Gottheiten das Leben schwer

Dass das aufkommende Christentum den leicht reizbaren Gottheiten aufgrund der beschriebenen Charaktereigenschaften nicht wirklich gut zupasskam, liegt auf der Hand: Der Glaube an einen einzigen Gott, der neben sich keine weiteren Götter duldet und ihnen allen daher in der Folge den Rang ablief, machte sie überflüssig. Bei schnell beleidigten und darüber hinaus sehr nachtragenden Wesen keine gute Kombination. Was also tun, wenn man als Gottheit, die nicht mehr länger gebraucht wird, zunehmend in Vergessenheit gerät und sich praktisch arbeitslos melden muss?

Richtig, man sucht nach anderweitigen Möglichkeiten der Beschäftigung und versucht, sich irgendwie doch wieder ins Spiel zu bringen. Genau das ist den Supernatural-Produzenten nicht entgangen und sie haben deshalb zum Casting der Superschurken geladen. Interessant sind vor allem die Einbettung dieser Gottheiten ins 21. Jahrhundert und das Zusammenspiel mit Figuren aus den monotheistischen Religionen.

Staffel 2
Supernatural Staffel 2

Gesucht und zur Bewerbung ausgeschrieben: Antagonisten und ultimative Bösewichte

Seit nunmehr 15 Supernatural-Staffeln werden die Menschen von übernatürlichen Wesen heimgesucht, die wiederum von den Winchester-Brüdern gejagt und zur Strecke gebracht werden. Darunter Dämonen, Drachen, Hexen und auch Luzifer selbst. Bei all den illustren, zumeist biblischen Bösewichten, greifen die Macher der Serie sehr gerne auch auf heidnische Gottheiten der nordischen, ägyptischen, hinduistischen und eben auch der – für uns besonders interessanten – griechisch-römischen Mythologie zurück.

Dadurch, dass die Menschen nicht mehr an sie glauben, haben die heidnischen Gottheiten in Supernatural viel von ihrer ursprünglichen Macht eingebüßt. Sie kämpfen um ihre Daseinsberechtigung und treten als finstere und grausame Gegenspieler Gottes, der Erzengel und der Winchesters auf. Zwar sind sie noch immer mit übernatürlichen Fähigkeiten ausgestattet, doch haben sie jeweils Schwächen, und es gibt Mittel und Wege sie zu vernichten. Die Gottheiten interpretieren ihre Rolle im herkömmlichen Sinne der Antike, passen sich aber dennoch den neuen Gegebenheiten an. Einige Folgen der Serie widmen sich einer einzelnen Gottheit und tragen eine Anspielung darauf bereits im Titel.

Atropos – Mit dem Schicksal muss man immer rechnen (Staffel 6, Ein tiefer Ozean voller Geheimnisse)

Die Moiren

Die drei Moiren (röm. Parzen) – Klotho, Lachesis und Atropos – entschieden in der antiken Mythologie über die Dauer eines Menschenlebens, da sie es waren, die sprichwörtlich den Lebensfaden spannten.[viii] Klotho wird zumeist mit Losstäbchen, Lachesis mit der Spindel mit dem Lebensfaden und Atropos mit einer Schriftrolle dargestellt. Dieses Trio symbolisierte das Schicksal, auf das die Menschen keinerlei Einfluss hatten. Entschieden die Moiren, dass es für einen Menschen an der Zeit war zu sterben, dann trat dessen Tod auch ein. Das Schicksal war zumeist negativ behaftet, wie das häufige Vorkommen und die Darstellung des Motives auf Sarkophagen zeigen.[ix] Das Schicksal schlug unvermeidlich und unerbittlich zu.[x]

Atropos

Atropos war die wichtigste der drei Schwestern. Ihr oblag schließlich die finale Entscheidung über Leben und Tod, da sie den Lebensfaden durchtrennte. Ihr Name bedeutet so viel wie „Die Unabwendbare“. Noch heute meinen wir, wenn wir das Schicksal für besiegelt erklären, dass sich etwas nicht mehr ändern oder rückgängig machen lässt oder nehmen an, dass es sich bei manchen Dingen um eine schicksalhafte Fügung handelt. Zu der hervorgehobenen Rolle einer der drei Schwestern passt, dass in den frühesten Texten immer nur von einer Moira die Rede ist.[xi] Erst später teilten sich drei Schwestern die Arbeit.

Atropos in Supernatural

In Supernatural trauert Atropos genau dieser Macht der Entscheidung über Leben und Tod sehr hinterher – erst recht, als sie gleich um eine ganze Schiffsladung an armen Seelen gebracht wird. Die Macher der Serie spielen das folgende Gedankenexperiment durch: Was wäre eigentlich passiert, wenn die Titanic seinerzeit auf ihrer Jungfernfahrt nicht gesunken wäre? Eigentlich nichts. Sie hätte wohl normal und nach Plan den Hafen von New York erreicht und wäre nie zum Symbol einer Tragödie und der menschlichen Hybris geworden. Ein Erzengel macht den Ausguck des Schiffes rechtzeitig auf den berühmt-berüchtigten Eisberg aufmerksam, und die schicksalhafte Kollision kann vermieden werden.

Atropos, sicher und siegesgewiss, sämtlicher Insassen habhaft zu werden, muss enttäuscht mit ansehen, wie das Schiff, an dem von ihr platzierten Eisberg vorbeisteuert. Als ob es nicht schon schlimm genug wäre, dass sie ihren in der Antike so sicheren Job abtreten musste, wird die arme Atropos nun auch noch um mehrere tausend Passagiere auf einmal geprellt. Was für eine Schmach!

Das Maß ist voll, und Atropos hat es satt übers Ohr gehauen zu werden. Klar, als Schicksal höchstpersönlich lässt man sich eben nicht gerne linken, und diese neuerliche Pleite will sie nicht auf sich sitzen lassen. Nun setzt sie alles daran, die noch lebenden Passagiere und deren Nachkommen, die dementsprechend nie hätten geboren werden dürfen, ausfindig zu machen und sie doch noch ihrem Schicksal zuzuführen. Getarnt sorgt sie dafür, dass die Menschen auf ihrer Liste scheinbar zufälligen Unfällen im Straßenverkehr, zu Hause oder auf der Arbeit zum Opfer fallen.

Die Winchester-Brüder vs. Atropos

Das ruft dann schließlich die Winchester-Brüder auf den Plan, die die Quelle der vielen mysteriösen Todesfälle suchen und dabei schließlich die Gemeinsamkeit der Opfer entdecken. Da ihre Zeit zu sterben offenbar noch nicht gekommen ist, können sie sich der Göttin gefahrlos nähern. In einem Gespräch verweist Atropos darauf, dass sie den Job einst von Zeus erhalten habe und nicht gedenke, sich kampflos davon zu trennen. Das kann als Betonung der Macht und auch als weitere Parallele zum Mythos verstanden werden, nach dem sich selbst Zeus als allmächtiger Göttervater dem Schicksal ab und an fügen musste.[xii]

Zeus und Prometheus – Einfach unverbesserlich (Staffel 8, Die Rückkehr der Titanen)

Und täglich grüßt das Murmeltier

Apropos Zeus. Auch der schwelgt in Erinnerung an die guten alten Zeiten und hält nach wie vor an seiner Privatfehde zu Prometheus fest. Der eitle und nachtragende Göttervater kann Prometheus nicht vergeben, den Menschen das Feuer gegeben zu haben. Während Prometheus in der mythologischen Vorlage durch Zeus` Fluch nicht sterben kann, während ein Adler täglich von seiner Leber frisst[xiii], verfolgt ihn in der Serie eher der Fluch der Selbstheilung. Er stirbt vorübergehend, um nach einiger Zeit unversehrt und mit Amnesie zu erwachen. Ganz nach dem Motto: Und täglich grüßt das Murmeltier.

Eine wandelnde Leiche

Er ist nicht an einen Felsen gekettet, sondern lebt in Abgeschiedenheit auf einem Berg, wo er ein Lawinen-Unglück trotz schwerer Verletzungen und Unterkühlung überlebt. Bei seinem Weg ins Tal wird er von einem Auto angefahren, dessen Besitzer Fahrerflucht begeht. Seine Leiche liegt anschließend auf dem Asphalt, und ein Adler bedient sich an seinen Innereien. Somit orientiert sich die Serie stark an der mythologischen Vorlage. Ein Streifenpolizist findet Prometheus und stellt zweifelsfrei seinen Tod fest. Als er sich kurz abwendet, ist Prometheus jedoch wieder geheilt, erwacht und verschwunden – um andernorts als Leiche wiederaufzutauchen. Diesmal hält der Todeszustand immerhin an bis er das Leichenschauhaus erreicht. Eine bei der Autopsie für tot erklärte, aufgebahrte Person, die dann aber erwacht als wäre nichts geschehen und die Leichenhalle gerne verlassen würde, stellt die Polizei vor ein Rätsel.

Zeus, Artemis und Prometheus

Bei seinem Aufeinandertreffen mit Zeus, wird Letzterer unter anderem von seiner Tochter Artemis begleitet, erkennbar an den für sie typischen Attributen Pfeil und Bogen. Von der mythologischen Vorlage abweichend, hat Artemis in Supernatural eine Schwäche für den Widersacher ihres Vaters, Prometheus. Die mythologische Artemis ist jedoch nicht nur die Göttin der Jagd und des Mondes, sondern darüber hinaus auch der Mütter, der Kinder und der Jungfräulichkeit. Insofern duldete sie in ihrem Jagdgefolge keine Männer und lehnte deren Anwesenheit in mancher Version sogar kategorisch ab.[xiv]

Staffel 3
Supernatural Staffel 3 (Photo: Michael Kleu)

Kronos – Herr der Zeit (Staffel 7, Die Zeit heilt keine Wunden)

Eine recht bekannte Figur der griechisch-römischen Mythologie ist der Titan Kronos. Schließlich sind er und seine Frau Rhea die Eltern der Götter.[xv] Nach der Ablösung der Titanen und der Verbannung in den Tartaros durch die Götter, verlor Kronos sein Aufgabenfeld als oberste Gottheit an seinen Sohn Zeus.[xvi] Nach und nach verschmolz er immer mehr mit dem Gott der Zeit, Chronos, und übernahm dessen Attribute. Die daraus entstandene Gottheit war in einigen Überlieferungen nicht mehr „nur“ der Gott der Zeit, sondern vielmehr die Zeit selbst. Noch heute lautet der Fachbegriff für eine zeitliche Abfolge von Ereignissen Chronologie.

Als Gebieter der Zeit präsentiert sich Kronos in der Serie, wenn in seiner Gegenwart sämtliche Uhren stehen bleiben. Für ihn gelten andere Gesetze und Konzepte von Zeit: Er ist in der Lage, sie nach Bedarf zu beschleunigen oder zu verlangsamen und kann zudem die verbleibende Lebenszeit eines Menschen auf sich selbst übertragen. Mit dieser Methode altert er nicht und sichert seine Unsterblichkeit. Eine solche Übertragung beziehungsweise das Entziehen von Lebenszeit, ist ein Motiv, das schon in verschiedene andere Fantasy, Science-Fiction und Horrorfilme, sowie Serien und Bücher dieser Genres eingeflossen ist.

Mercurius – Wie sind die Konditionen? (Staffel 5, Sein letzter Trick)

Der Götterbote Mercurius/Merkur (griech. Hermes) war zugleich der Patron der Reisenden, der Hirten und Herolde und auch der Diebe und des trickreichen Diebstahls.[xvii] Er begleitete die Toten auf ihrem Weg in die Unterwelt und wurde zumeist mit dem Heroldstab (Kerykeion/ caduceus), einem Wanderhut (Petasos) oder zuweilen einem Helm und geflügelten Schuhen dargestellt[xviii] – je nachdem, welcher Aspekt der Gottheit besonders betont werden sollte. In der römischen Version tritt zudem die Bedeutung als Gott des Handels und der Wirtschaftlichkeit besonders hervor.[xix] Auf Abbildungen dieses Äquivalents trägt er daher oft einen Geldbeutel.[xx]

Als Gott des Merkantilismus wird ihm in Supernatural ein gewisser Geschäftssinn und ein Gespür für gute Deals zugeschrieben. Die Winchester-Brüder unterbreiten den Göttern in Staffel 5 ein Angebot, das diese kategorisch ablehnen wollen. Mercurius gibt allerdings zu bedenken, das Angebot zumindest zu prüfen, da es ihm lukrativ erscheint.

Veritas – Bloß keine Fake-News (Staffel 6, Die Wahrheit tut weh)

Veritas – die Wahrheit. Wie der Name verrät, handelt es sich um eine Göttin, die Ehrlichkeit über die Maßen schätzt (griech. Aletheia).[xxi] Vor allem in den Fabeln des Äsop wird die Ablehnung der Lüge deutlich: Hatte Prometheus Veritas aus Ton erschaffen, schuf Dolos, Dämon des Betruges, eine Kopie von ihr, die Lüge. Allerdings vergaß er die Füße, und so konnte die Wahrheit ihrer Wege gehen, während die Lüge sich nicht bewegen konnte.[xxii] Die Moral der Geschichte ist recht eindeutig: Mit einer Lüge kommt man nicht weit, es zählt nur die Wahrheit mit ihren Fakten.

Was läge also in der heutigen Zeit für Veritas näher, als sich als Nachrichtensprecherin zu versuchen? Als solche hat sie in Supernatural eine enorme Reichweite und zwingt die Menschen vor den Bildschirmen dazu, die Wahrheit zu sagen, selbst wenn diese die Informationen in einigen Fällen lieber für sich behalten hätten. Sobald jemand nach der Wahrheit fragt und sie einfordert, tritt Veritas auf den Plan und bringt den Gesprächspartner dazu, die Frage nach der Wahrheit unverblümt zu beantworten, was mitunter sehr schmerzhaft sein kann.

Vesta – Wer bewacht jetzt das ewige Feuer? (Staffel 9, Endlich wieder Jungfrau)

Vesta, das ewige Herdfeuer und die vestalischen Jungfrauen

Im alten Rom wurde Vesta in speziellen Tempeln verehrt: Mit Säulen umgebene Rundbauten (Tholos), in deren Zentrum eine Flamme die Anwesenheit der Göttin und das Herdfeuer der Stadt Rom symbolisierte. Das ewige Feuer wurde von Priesterinnen, den Vestalinnen, bewacht und gehütet, sodass die heilige Flamme nie erlosch. Das wäre ein schlechtes Omen gewesen und brachte den Hüterinnen des Feuers eine große Verantwortung.

Daher waren die Vestalinnen die am höchsten angesehenen Priesterinnen im alten Rom. Zu jedem neuen Jahresanfang des römischen Kalenders am 1. März, wurde das Feuer neu entzündet. Um sich dieser wichtigen und ehrenvollen Aufgabe ganz widmen zu können, bewohnten die Priesterinnen das Atrium Vestae direkt neben dem Tempel und hatten sich zu ewiger Jungfräulichkeit verpflichtet.[xxiii] Brachen sie dieses Gelübde oder ließen sie das Feuer erlöschen,, drohten ein Prozess und die Todesstrafe.[xxiv] Unter Kaiser Domitian (81-96 n. Chr.) ist ein Prozess überliefert, in Folge dessen die Oberste Priesterin Cornelia der Unkeuschheit angeklagt und lebendig begraben wurde.[xxv]

Vesta in Supernatural

In Supernatural hat Vesta sich mit ihrer Situation abgefunden und so gut es eben geht arrangiert: Sie hat eine Kirchengemeinde ausfindig gemacht, die Enthaltsamkeit predigt und dazu einen Arbeitskreis ins Leben gerufen hat. Ein gefundenes Fressen für die gelangweilte Vesta, die auf eine solche Gelegenheit nur gewartet hat und fortan penibel darauf achtet, dass diese Regeln auch befolgt werden. Bei Zuwiderhandeln sieht sie ihren Moment als strafende Göttin gekommen und entführt die Übeltäter in ein unterirdisches Katakomben-System, wo sie ihre Opfer in ihrem steinernen Verließ ihrem Schicksal überlässt.

Eine klare Anlehnung an die historische Vorlage der lebendig eingemauerten Vestalin Cornelia. Als die Winchesters die Vermisstenfälle genauer unter die Lupe nehmen, verweisen Augenzeugen stets darauf, kurz vor dem Verschwinden der jeweiligen Person blaue Flammen gesehen zu haben. Ein Hinweis auf den Mythos, der die Dämonenjäger auf die Fährte der Göttin führt.

Plutus – Geld regiert die Welt (Staffel 8, Seelenhandel)

Plutus war der Gott des Reichtums und der Fülle. Als Sohn der Demeter, Göttin des Ackerbaus, waren damit vor allem der auf der Erde und der Natur basierende Reichtum in Form natürlicher Ressourcen gemeint.[xxvi] In der klassischen griechischen Bildhauerei ist vor allem seine Darstellung mit der Göttin Eirene des Kephisodot bekannt (entstanden wahrscheinlich 374 v. Chr.), die gemeinsam Frieden und Reichtum symbolisieren.[xxvii] In römischer Zeit wurde er mit Hades/Pluto gleichgesetzt, der eigentlich der griechische Gott der Unterwelt war.[xxviii] Die Assoziation könnte daher rühren, dass Hades als Gott der Unterwelt den Bereich der Welt regierte, der reich an Bodenschätzen war.

Er findet in Supernatural seine Rolle als Auktionator, der skrupellos Preise in die Höhe treibt und versucht, den maximalen Profit für sich herauszuschlagen. Dargestellt wird er als windiger Charakter mit einer Goldkette.

Supernatural
Supernatural Staffeln 1-3 (Photo: Michael Kleu)

Kalliope – Vorhang auf für eine knallharte Literaturkritikerin (Staffel 10, Fan Fiction)

Als die älteste der neun Musen, allesamt Töchter des Zeus mit der Mnemosyne, stand Kalliope („Die Schönstimmige“) für epische Dichtung, Wissenschaft, Rhetorik, Philosophie, Elegie und das Saitenspiel.[xxix] Ihr Attribut war die Schreibtafel mit Schreibgriffel.

Wie auch alle anderen Gottheiten nimmt auch sie in Supernatural den ihr zuteilgewordenen Aufgabenbereich sehr ernst – vielleicht auch etwas zu ernst, als sie sich für ein Schul-Musical verantwortlich fühlt. Um zu gewährleisten, dass das Stück auch wirklich stattfindet, scheint ihr jedes Mittel recht zu sein, auch wenn es ihr gar nicht gefällt, wie sie selbst zugibt. Sie sagt, ihre Aufgabe sei es, dafür Sorge zu tragen, dass die Vision des Autors beziehungsweise der Autorin Wirklichkeit wird.

Kurzerhand entführt sie die Darsteller, die nicht mehr mitspielen wollen, oder Lehrpersonal, das das Stück absagen will. Eine Geiselnahme der anderen Art. Dabei hinterlässt sie immer die nach ihr benannte Blüte als Symbol. Den Bogen überspannt sie allerdings deutlich, als sie den Winchesters gegenüber angibt, die Autorin, ganz im klassischen Verständnis, nach der Aufführung verschlingen zu wollen – wenn die Vision Wirklichkeit geworden ist.

Fazit zu Supernatural – Gelungenes Crossover und Modernisierung

Die Anpassung der Gottheiten an eine moderne Serien-Welt des 21. Jahrhunderts und die gleichzeitige Beibehaltung der ursprünglichen mythologischen Tätigkeitsfelder, ergibt in Supernatural eine interessante Mischung und zeigt, dass viele Vorstellungen und Ideen in abgewandelter Form auch auf die heutige Zeit übertragbar sind. Ihre Polyvalenz macht es möglich, einige Aspekte so herauszustellen, dass ihre Relevanz und Bedeutung noch immer deutlich werden.

Gerade das Gedankenspiel „Was wäre, wenn es die Götter tatsächlich gäbe und sie in der heutigen Zeit leben würden“… Eine sehr interessante und faszinierende Vorstellung. Erst recht, wenn sie so spannend und humorvoll umgesetzt wird und vor allem auch, weil so viele der klassischen Attribute aus der Mythologie aufgegriffen, eingearbeitet und zum Teil wunderbar überspitzt dargestellt worden sind. Die Bezugnahme auf die Klischees und gängigen Motive ergibt eine schräge und zugleich faszinierende Kombination, gerade wenn sich die Adaption besonders eng an der mythologischen Vorlage orientiert. Casting gelungen!

Anmerkungen

I bis X

[i] Hesiod, Theogonie 507-616; Hesiod, Werke und Tage 47-105.

[ii] Homer, Ilias 6, 153; Homer, Odyssee 11, 593-600; Ovid, Metamorphosen 4, 460.

[iii] Ovid, Metamorphosen 6, 402.

[iv] Homer, Odyssee 11, 582–592; Ovid, Metamorphosen 4, 458-459 und 6, 172.

[v] Ovid, Metamorphosen 6, 402.

[vi] Tonio Hölscher, Klassische Archäologie, Darmstadt 20154, S. 281; Ovid, Metamorphosen 6, 146-312 und 402-411.

[vii] Ovid, Metamorphosen 6, 1-145; Vergil, Georgicon 4, 246-250.

[viii] Homer Odyssee 7, 197-198; Hesiod, Theogonie 217-222; Hesiod, Theogonie 904-906.

[ix] Tonio Hölscher, Klassische Archäologie, Darmstadt 20154, S. 281; Homer, Ilias 5, 613 und 629 und 22, 5; Hesiod, Theogonie 217-222.

[x] Homer Odyssee 7, 197-198.

XI bis XX

[xi] Homer, Ilias 5, 613; 5, 629; 19, 87; 20, 127 f.; 21, 82 ff.; 22, 5; 22, 303.

[xii] Homer, Ilias 16, 797-820.

[xiii] Hesiod, Theogonie 507-616; Hesiod, Werke und Tage 47-105.

[xiv] Tonio Hölscher, Klassische Archäologie, Darmstadt 20154, S. 326.

[xv] Hesiod, Theogonie 453-506.

[xvi] Hesiod, Theogonie 881-885.

[xvii] Tonio Hölscher, Klassische Archäologie, Darmstadt 20154, S. 24 f.; Homer, Odyssee 11, 626.

[xviii] Tonio Hölscher, Klassische Archäologie, Darmstadt 20154, S. 25.

[xix] Tonio Hölscher, Klassische Archäologie, Darmstadt 20154, S. 25.

[xx] Tonio Hölscher, Klassische Archäologie, Darmstadt 20154, S. 25.

XXI bis XXX

[xxi] Horaz, Carmina 1, 24, 7; Äsop, Fabeln 530.

[xxii] Äsop, Fabeln 530; Bei Horaz erscheint die Wahrheit nackt, der Ursprung des heutigen Ausdrucks „Die nackte Wahrheit“: Horaz, Carmina 1, 24, 7.

[xxiii] Plinius der Jüngere, Epistulae 4, 11, 6-13; Sueton, Domitian 8, 3 f.; Cassius Dio, Römische Geschichte 67, 3, 3 f.

[xxiv] Plinius der Jüngere, Epistulae 4, 11, 6-13; Sueton, Domitian 8, 4.

[xxv] Sueton, Domitian 8, 3 f.; Plinius der Jüngere, Epistulae 4, 11, 9 und 11; Cassius Dio, Römische Geschichte 67, 3, 3 f.

[xxvi] Hesiod, Theogonie 969-974.

[xxvii] Tonio Hölscher, Klassische Archäologie, Darmstadt 20154, S. 212.

[xxviii] Homer, Ilias 15, 187 ff.

[xxix] Hesiod, Theogonie 76-80 und 917.

Celine Derikartz

4 thoughts on “Die Götter beim Jobcenter – Zeus, Artemis, Kronos & Co beim Casting zum Seriendarsteller in Supernatural

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  1. Ich habe jetzt auch mal mit der Serie angefangen und fühle mich nach den ersten vier Folgen gut unterhalten.

    Bei der Pilotfolge dachte ich, die Serienmacher hätten „Die weiße Frau“ mit „Medea“ gemischt, aber der Audiokommentar erklärt, dass es sich um eine Mischung aus „Die weiße Frau“, „The Vanishing Hitchhiker“ und der lateinamerikanischen „La Llorona“ (The Weeping Woman) handelt.

    Letztere hat wiederum vielerlei Vorlagen bzw. es gibt in verschiedenen Kulturen ähnliche Erzählungen. In der griechischen Mythologie wäre entspricht ihr Lamia.

  2. In Folge 11 der ersten Staffel, die den Titel „Scarecrow“ trägt, geht es um Nachfahr:innen skandinavischer Einwanderer:innen, die einen ihrer alten Erntegötter, einen Wanen, mit in die neue Welt gebracht haben und diesem Jahr für Jahr ein junges Paar opfern. Noch nicht wirklich antik, aber wir nähern uns 😉

  3. Und die Einschläge kommen langsam näher. In Staffel 1, Folge 16 (Shadow, Schatten) geht es um Zarathustra, den Zoroastrismus und die Daeva, die ursprünglich Götter waren, später aber zu Dämonen uminterpretiert wurden.

    Etwas verwunderlich finde ich im Moment, dass Meg, die die Tochter eines noch nicht genau vorgestellten bösen Wesens ist, bei ihren Riten auf Latein kommuniziert. Als iranisch-persischer Dämon würde ich nicht auf lateinische Beschwörungen hören … Vielleicht kommuniziert Meg aber auch nur mit ihrem noch unbekannten Vater auf Latein.

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