Antikenrezeption im Folk Horror – The Wicker Man (1973) (Tristan Meschede)

Denkt man im filmischen Bereich an das Genre Horror und seine Subgenres, so wird bei den meisten wohl eher der Slasheroder Monsterfilm in den Kopf kommen. In den letzten Jahren gewann jedoch auch ein anderes Subgenre des Horrorfilms wieder an Popularität: Der Folk Horror. Filme wie Midsommar(Ari Aster; 2018) oder „The Witch“ (Robert Eggers; 2015) schafften es, Elemente des Folk Horrors beim modernen Publikum wieder salonfähig zu machen. Dass das Subgenre gerade im Kontext der Antikenrezeption von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist, soll im Folgenden gezeigt werden. Dabei soll vor allem auf den Film „The Wicker Man“ (Robin Hardy; 1973) Bezug genommen werden, da ihm als Vorreiter eine besondere Bedeutung in dem Kontext zugeschrieben wird.

Das Subgenre des Folk Horror

Der Begriff Folk Horror setzt sich aus den Bestandteilen Folklore (engl. folk=Volk; lore=Überlieferung) und der Genrebezeichnung Horror zusammen. Dabei beschreibt Folklore die Überlieferungen und Gebräuche eines Volkes. Elemente alter Kulturen werden also aufgegriffen und als Teil moderner kultureller Erzeugnisse verwendet. Der Horror wird an dem Punkt erzeugt, an dem Aspekte der traditionellen Folklore mit modernem oder gegensätzlichem Gedankengut der Figur(en) und des Publikums kollidieren. Adam Scovell beschreibt dies passend in seinem Werk zum Folk Horror:

Folk Horror often mimics this idea of looking back, where the past and the present mix and create horror through both anachronisms and uncomfortable tautologies between eras.“1

Durch den Anachronismus, also die Einordnung vergangener Riten und Bräuche in die Moderne, werden Kontraste geschaffen, welche ein Gefühl des Komischen und Unheimlichen erzeugen. Verbunden wird dies häufig mit einem ländlichen Setting. Die Topographie hat dabei einen direkten Einfluss auf die soziale und moralische Identität der Bewohner. Durch die geographische und soziale Isolation entstehen gewisse Eigenarten, welche sich in einem verqueren Glaubens- und Moralsystem niederschlagen. Des Öfteren kommt es im Zuge dieses Glaubens zu Opferungen, Riten, Beschwörungen oder Anbetungen; Handlungen die konträr zu der Haltung des Protagonisten und des Publikums stehen.2 Folglich lässt sich sagen, dass der Folk Horror aufgrund seiner Verlagerung von Elementen vergangener Kulturen in die Gegenwart, aus rezeptionsgeschichtlicher Sicht durchaus ein reizvolles Forschungsobjekt darstellt.

The Wicker Man
Photo: Michael Kleu

The Wicker Man

Monotheismus vs. Polytheismus

Betrachtet man den Inhalt des Films „The Wicker Man“ (1973), so sind die erwähnten Elemente des Folk Horrors klar ersichtlich. Der christliche Sergeant Neil Howie ermittelt in dem Vermisstenfall der zwölfjährigen Rowan Morrison auf der schottischen Insel Summerisle. Die Insel ist geographisch isoliert und entwickelte sich unabhängig vom englischen Festland. Schnell bemerkt auch Howie, dass die Inselbewohner sich eigenartig benehmen und entgegen seiner christlichen Prinzipien agieren. Dabei kollidiert das christlich-monotheistische Weltbild Howies mit dem polytheistischen Weltbild der heidnischen Inselbevölkerung. Zudem scheinen die Inselbewohner die Ermittlungen des Kommissars behindern zu wollen.

Auf der Suche nach Rowan Morrison

Zunächst geben sie vor, Rowan gar nicht zu kennen, wobei Howie durch einen Blick in das Schulbuch herausfindet, dass sie doch existiert haben muss. Die Lehrerin gibt daraufhin an, dass Rowan gestorben sei, woraufhin Howie das Grab von ihr untersucht und die Leiche eines Hasen in ihrem Sarg findet. Im Zuge seiner Ermittlungen wird Howie mit immer mehr seltsamen Bräuchen der Inselbewohner konfrontiert. So finden nachts öffentliche Orgien statt und nackte Frauen tanzen ums Feuer.

Durch diese Darstellung des Sonderbaren und Rückständigen (kontrastiert mit der empfundenen Norm des Protagonisten und Publikums) wird der Horror erzeugt. In einem Gespräch mit dem Eigentümer der Insel, Lord Summerisle (Christopher Lee), erhält Howie Informationen über die Entstehung des Kultes auf der Insel. Dies ist interessant, da der Kult und seine Entstehung selbst bereits eine Form der Antikenrezeption darstellen, denn er existierte nicht etwa jahrhundertelang, sondern wurde erst im 19. Jahrhundert von dem Großvater des Eigentümers in Anlehnung an ältere Überlieferungen geschaffen.

Ein überraschendes Ende

Howie findet des Weiteren heraus, dass die Opferung von Menschen Teil der Kulthandlungen darstellt. Dies verleitet ihn zu der Sorge, dass Rowan möglicherweise noch leben könnte und am Maifest, welches am folgenden Tag stattfinden soll, aufgrund einer schlechten Ernte im Vorjahr, geopfert werden könnte. Howie nimmt verkleidet an den Festivitäten teil und findet Rowan dabei tatsächlich. Diese lockt ihn allerdings in einen Hinterhalt, in dessen Zuge Howie von den Inselbewohnern in einer großen Weidenfigur verbrannt wird. Sergeant Howie war also die ganze Zeit über für die Opfergabe vorgesehen und alle Prozesse auf der Insel waren so inszeniert, dass sie ihn zu diesem Punkt führen sollten.

Elemente der Antikenrezeption

Bei Betrachtung der antiken römischen und griechischen Geschichtsschreibung fällt auf, dass sich einige Merkmale des Kultes in „The Wicker Man“ auf die Beschreibung der keltischen Religion bzw. Kultur beziehen lassen. Dabei muss jedoch beachtet werden, dass diese Autoren oftmals sehr voreingenommen und einseitig geschrieben haben. Häufig sollte mittels der Darstellung des Ungewöhnlichen ein urtümlicher und barbarischer Charakter der Kelten repräsentiert werden. Auch wichtig anzumerken ist, dass die Kelten in vielen Fällen sehr undifferenziert auf die Bezeichnung „Gallier“ beschränkt wurden, obwohl sie in einer Vielzahl von verschiedenen Stämmen mit unterschiedlichen Riten und Bräuchen existierten.

In Bezug auf „The Wicker Man“ lässt sich hier beispielsweise die Behandlung des Themas Menschenopfer in römischen und griechischen Schriftquellen anbringen. So werden den Kelten Menschenopferungen weitaus häufiger zugeschrieben als Tieropferungen, da Tieropfer im historischen Kontext der Antike eher gewöhnlich waren und somit nicht die Rückständigkeit der Kelten bzw. die eigene Fortschrittlichkeit veranschaulichen konnten. Es muss also berücksichtigt werden, dass keine Rückschlüsse auf die relative Häufigkeit von Menschenopfern (z.B. im Vgl. zu Tier- oder Sachopfern) bei den Kelten allein durch die schriftlichen Quellen gezogen werden können.3 Expliziter wird dies bei Betrachtung der Quellen.

Der „Wicker Man“ in schriftlichen Quellen

Bei Betrachtung der Antikenrezeption in „The Wicker Man“ fällt auf, dass sich viele verschiedene Charakteristiken des Kultes auf der Insel auf antike Ursprünge beziehen lassen. Die Darstellung des Wicker Man selbst, also der großen Weidenfigur, in der Sergeant Howie am Ende des Films verbrannt wird, ist dabei wohl am deutlichsten auf antike Quellen zu beziehen. So wird in schriftlichen Quellen verschiedener antiker Autoren von einem figurähnlichen Scheiterhaufen in Bezug auf die menschlichen Opfergaben der Kelten berichtet. Dabei zu nennen sind Strabon, Diodor und Gaius Iulius Caesar, wobei sie inhaltlich alle auf die Berichte des griechischen Geschichtsschreibers Poseidonios zurückzuführen sind.4

Gaius Julius Caesar

Zunächst also zur Betrachtung bei Caesar. Der Wicker Man als Instrument der Opferung wird in Caesars „De bello Gallico“ im sechsten Buch im Rahmen des Gallierexkurses erwähnt. Genau wie im Film „The Wicker Man“ dargestellt, schreibt Caesar von einer großen Figur aus verflochtenen Zweigen, in welcher Menschen geopfert werden:

Some tribes build enormous images with limbs of interwoven branches which they then fill with live men; the images are set alight and the men die in a sea of flame.“5

Es ist dabei zu bedenken, dass Caesars Ausführungen im Rahmen der Gallischen Kriege geschahen und daher eine negative Haltung gegenüber dem Kriegsgegner beinhalten. So hebt er bestimmte Aspekte mehr hervor als andere, wie z.B. die Grausamkeit in Bezug auf die Menschenopfer. Eine ausführliche Quellenkritik ist an dieser Stelle aber nicht von Nöten, da die Intention dieser Analyse das Aufgreifen und die Interpretation antiker Elemente beinhaltet und nicht die Überprüfung dieser Elemente auf ihre historische Authentizität.

Strabon und Diodor

Dies gilt auch für Betrachtung der Quellenauszüge Strabons und Diodors. Strabon schreibt über den Wicker Man im vierten Buch seiner Geographie, im Rahmen seiner ethnographischen, geographischen und historischen Angaben zum keltischen Raum. Dabei berichtet er, dass Tiere und Menschen in einer großen Statue aus Stroh und Holz verbrannt werden und erwähnt dabei sogar explizit die Opferung von Menschen durch den Feuertod:

„ […] or making a large statue of straw and wood, throw into it cattle and all sorts of wild animals and human beings, and thus make a burnt offering.“6

Etwas weniger explizit ist die Darstellung in Diodors „Bibliothek“. Diodor geht auf die Menschenopfer bei den Kelten im fünften Buch im Zuge seiner Beschreibungen der keltischen Stämme ein, wobei er von „riesigen Scheiterhaufen“ (engl. „enormous pyres“) spricht, auf welchen Tiere und Menschen, insbesondere Kriegsverbrecher verbrannt würden.7 Nichtsdestotrotz sind die Parallelen zur Darstellung des Wicker Man in Robin Hardys Film zu erkennen, weswegen allen drei Quellen diesbezüglich eine Relevanz für die Untersuchung der Antikenrezeption zugesprochen werden können.

Zweck der Menschenopfer

Bitt- und Dankopfer

Die große Weidenfigur ist jedoch nicht das einzige Element, welches seine Ursprünge in antiken Quellen findet. Bei näherer Betrachtung der Menschenopferung im Film „The Wicker Man“ fällt auf, dass ein bestimmter Zweck bzw. eine spezielle Art der Durchführung vorhanden sind. Blickt man auf die Opfergaben in der Antike, so fanden Historiker heraus, dass sie sich nach Zweck bzw. Intention kategorisieren lassen. So wurden beispielweise Kriegsgefangene als Zeichen des Dankes für eine gewonnene Schlacht geopfert (Bitt- und Dankopfer).

Sühneopfer

Der Typus, der in „The Wicker Man“ thematisch aufgegriffen wird, ist dagegen der des Sühneopfers. Ein Sühneopfer beschreibt eine Opfergabe zum Zwecke der rituellen Reinigung. Anlässe waren häufig Missernten oder Seuchen, die durch die Opfergabe abgewendet werden sollten 8 Dies ist auch im Film wiederzufinden. Allein die Entstehung des Kultes auf der Insel Summerisle geht darauf zurück, dass die Bevölkerung aufgrund von Missernten den christlichen Glauben verloren und diesen durch den Glauben an Naturgötter ersetzten. Seitdem führen sie auf der Insel Menschenopferungen durch, um diese als Geschenk an die Naturgötter zu überliefern und so für eine fruchtbare Ernte zu garantieren. Ein Quellenauszug aus der Geographie Strabons belegt, dass der Typus Sühneopfer bereits in der Antike bekannt war:

When there are many such cases they believe that there will be a fruitful yield from their fields.”9

Die Übereinstimmung mit der Darstellung in “The Wicker Man” ist dabei nicht von der Hand zu weisen. Auch, dass die Opferung Sergeant Howies mit Festivitäten verbunden wird, lässt sich auf antike Quellen beziehen. So schreibt Lactantius Placidus in seinem Kommentar zur Thebais von Statius von einer Reinigung der Stadt durch ein Menschenopfer und dass die Opfergabe an einem Festtag durch die Stadt geführt und außerhalb der Stadtmauern gesteinigt wurde.10

Seelenwanderung

Zuletzt das Element der Seelenwanderung. Der Glaube an die Seelenwanderung (Reinkarnation) beinhaltet den Glauben an eine unsterbliche Seele und dass diese nach dem Tod in einen anderen Körper übergehe.11 Diese Vorstellung ist auch auf der Insel Summerisle vertreten. Die Inselbewohner gehen davon aus, dass die Seele des Menschen nach dem Tod in ein Subjekt der Natur (z.B. Tier, Pflanze) übergehe. Dabei stellt dieses Weltbild einen Kontrast zum christlichen Bild der Wiederauferstehung dar. Dass der Glaube an die Seelenwanderung auch schon den Kelten zugesprochen wurde, zeigen die folgenden zwei Zitate aus Diodors Bibliothek und Caesars De bello Gallico:

„[…] that the souls of men are immortal, and that after a definite number of years they live a second life when the soul passes into another body.”12

“[…] that souls do not suffer death, but after death pass from one body to another.”13

Fazit

Die Antikenrezeption in “The Wicker Man“ kann an verschiedenen inhaltlichen Elementen festgemacht werden. Besonders deutlich werden die Parallelen zu der von antiken Autoren beschriebenen Religion der Kelten. Ersichtlich ist dabei vor allem die Kongruenz zwischen dem Wicker Man, also der großen Weidenfigur im Film, und denen in antiken Quellen beschriebenen figurähnlichen Scheiterhaufen. Doch auch weitere Aspekte, wie der Typus des Sühneopfers sowie die Vorstellung einer Seelenwanderung finden sowohl Erwähnung im Film als auch in antiken Quellen.

The Wicker Man Caesar
„The Wicker Man“ & Caesars „De bello Gallico“ (Photo: Michael Kleu)

Quellenverzeichnis

Hardy, Robin (Regisseur); Snell, Peter (Produzent): The Wicker Man, Großbritannien 1973 (mit Edward Woodward, Christopher Lee und Britt Ekland), British Lion Films; Warner Bros. Pictures.

Übersetzungen von: Caesars De bello Gallico (6.14.4-5.), Diodors Bibliothek (5.28-32.), Strabons Geographie (4.4-5.), in: Tierney, James J.: The Celtic Ethnography of Posidonius, in: Proceedings of the Royal Irish Academy 60, Dublin 1960, S. 189-275.

Übersetzung von Lactantius Placidus (Comm. in Statii Thebaida 10.793.) in: Zwicker,

Ioannes: Fontes historiae religionis Celticae, Berlin u. Bonn 1934-1936.

Literaturverzeichnis

Maier, Bernhard: Die Religion der Kelten. Götter-Mythen-Weltbild, München 32016.

Scovell, Adam: Folk Horror. Hours Dreadful and Things Strange, Leighton 2017.

Tierney, James J.: The Celtic Ethnography of Posidonius, in: Proceedings of the Royal Irish Academy 60, Dublin 1960, S. 189-275.

Über den Autor

Tristan Meschede studiert im vierten Semester Geschichte und Anglistik an der Ruhr-Universität Bochum.

GastautorIn

Anmerkungen

  1. Scovell, Adam: Folk Horror. Hours Dreadful and Things Strange, Leighton 2017, S. 10.
  2. Vgl. Scovell: Folk Horror, S. 7-19.
  3. Maier, Bernhard: Die Religion der Kelten. Götter-Mythen-Weltbild, München 32016, S. 110.
  4. Tierney, James J.: The Celtic Ethnography of Posidonius, in: Proceedings of the Royal Irish Academy 60, Dublin 1960, S. 189-275.
  5. Caes. civ. Gall. 6.14.4.
  6. Strab. 4.5.
  7. Diod. 5.32.6.
  8. Maier: Die Religion der Kelten, S. 121-122.
  9. Strab. 4.4.
  10. Comm. in Statii Thebaida 10.793 (Informationen zu dem Quellenauszug aus: Maier: Die Religion der Kelten, S. 122.)
  11. Maier: Die Religion der Kelten, S. 142-143.
  12. Diod. 5.28.6.
  13. Caes. civ. Gall. 6.14.5.

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