Veröffentlicht: 6. September 2019 – Letzte Aktualisierung: 4. April 2020
Christophe Bec ist ein Künstler, von dem Ihr immer wieder auf diesem Blog lesen werdet, da er in seine Comics immer wieder starke Bezüge zur Antike einfließen lässt. Beginnen werde ich mit einer Besprechung der Reihe „Carthago“, die Bec gemeinsam mit verschiedenen Kollegen entwickelt hat und von der bisher neun Bände vorliegen. Natürlich werde ich mich dabei wie immer auf die Antikenrezeption konzentrieren.
Wenn Euch mein Beitrag neugierig machen sollte, wäre es schön, wenn Ihr Euch auch auf Arianes (Nerd mit Nadel) Blog deren Rezension ansehen würdet, um einen ausführlicheren inhaltlichen Eindruck von den einzelnen Bänden zu erhalten.
Hintergrundgeschichte
Der erste Band der Reihe trägt den Untertitel „Die Lagune auf Fortuna“ und handelt davon, dass der Megalodon und andere Meeresbewohner der Urzeit nicht wirklich ausgestorben sind, sondern in unzugänglichen Gebieten der Tiefsee überlebt haben. (In den späteren Bänden stellt sich heraus, dass es auch zu Lande Wesen wie den Yeti oder Bigfoot gibt.) Durch Zufall entdeckt ein Bohrteam innerhalb einer Unterwasserschlucht einen Zugang zu einem Höhlensystem, in dem sich eben solche Wesen tummeln. Das Bohrteam arbeitet jedoch für Carthago, einen Konzern, der im Südpazifik nach Erdgas und Öl bohrt. Die Firma ist angeschlagen und kann nicht auf den ressourcenreichen Fundort verzichten, weshalb die Entdeckung mit allen Mitteln geheim gehalten werden muss, was allerdings nur teilweise gelingt …
Das antike Karthago
Natürlich ist es kein Zufall, dass der Konzern ausgerechnet diesen Namen trägt, war Karthago doch eine der größten Seemächte der Antike. Ursprünglich eine phönizische Kolonie, übernahm Karthago bald eine Vorreiterrolle unter den phönizischen Städten im westlichen Mittelmeer und wuchs zu einer Großmacht heran, der bekanntlich ihre drei Kriege mit Rom – die sogenannten Punischen Kriege – zum Verhängnis wurden, da diese 146 v.Chr. mit der völligen Zerstörung der Stadt endeten. Leider haben die Römer bei der Vernichtung Karthagos ganze Arbeit geleistet, sodass uns keine literarischen Zeugnisse aus dieser Stadt überliefert sind.
Daher stammt alles, was wir wissen, aus römischer und griechischer Perspektive. Das ist insofern problematisch, als dass Griechen und Römer als direkte Konkurrenten der Karthager in der Regel nicht so gut auf diese zu sprechen waren. Zu den Vorurteilen griechisch-römischer Autoren zählt die Darstellung der Karthager als Händlervolk, dem es nur um den Gewinn geht und dem nicht über den Weg zu trauen ist. Zwar ist dieses Bild spätestens durch Walter Amelings Karthago-Studie aus dem Jahr 1993 revidiert worden, doch hat es sich dennoch bis heute im allgemeinen Bewusstsein gehalten, sodass ich davon ausgehe, dass der ruchlose Konzern eben exakt aus diesem Grund Carthago heißt.
Eine untergegangene Kultur: Atlantis
Die antiken Quellen
Der Meeresforscher Bertrand entdeckt im Verlauf der Geschichte bei einem Tauchgang etwas so Bedeutendes, dass er sich entschließt, es geheim zu halten und sein Leben als Forscher aufzugeben, um sich stattdessen den griechischen Klassikern zu widmen. Leider erfahren wir zunächst nicht genau, was Bertrand gesehen hat, doch liegt nahe, dass er einen triftigen Grund hat, plötzlich altgriechische Autoren zu studieren. Denn wie der Titel des fünften Bandes („Die Stadt Platons“) recht indiskret andeutet, kommt Atlantis in der weiteren Geschichte eine große Bedeutung zu.
So referiert Bertrand an späterer Stelle knapp, was der griechische Philosoph Platon, auf dem letztlich unser gesamtes Wissen über Atlantis beruht, in seinen Dialogen „Kritias“ und „Timaios“ über die untergegangene Kultur sagt. In diesem Kontext kommt Bertrand darauf zu sprechen, dass Platon Atlantis jenseits der Säulen des Herakles (Gibraltar) lokalisierte – also irgendwo im Atlantik – und dass die Stadt sowie die ressourcenreiche Insel, auf der sie sich befand, im Rahmen einer Naturkatastrophe versunken sein sollen.
Außerdem berichtet der Meeresforscher, dass die Könige von Atlantis vom Meeresgott Poseidon und der Menschenfrau Kleito abstammten und die Atlanter ein ungeheuer reiches Volk von Eroberern gewesen sei, dass über Teile Lybiens (Afrika) und Europas geherrscht habe, wobei Ägypten und Tyrrhenien – also das Gebiet der Etrusker (Toscana) – als Grenzen angegeben werden. Die Herrschaft der Könige von Atlantis sei weise und gerecht gewesen. Atlantis selbst habe sich durch vielerlei Wunderwerke ausgezeichnet, zu denen auch große Kanalanlagen gezählt hätten.
Parallelen zu Platon
Da ich die antike Überlieferung zu Atlantis bereits in einem früheren Beitrag ausführlich besprochen habe, muss diese hier nicht erneut im Detail vorgestellt werden. Jedenfalls stimmen Bertrands Schilderungen im Wesentlichen mit den Darstellungen Platons überein. An einer Wand in Bertrands Büro hängen verschiedene Karten von Atlantis, von denen eine die Insel als ausgedehnte Landmasse darstellt, die weite Teile des westlichen Mittelmeeres ausfüllt. Die Karte weicht also geographisch von der Darstellung Platons ab, der Atlantis ja im Atlantik lokalisiert. Dies hängt mit der Frage zusammen, ob die diesbezügliche Angabe des Philosophen richtig sein kann – wenn man denn von einer realen Existenz der Insel ausgeht (vgl. dazu wiederum meinen Artikel zu Atlantis.) Bertrand hält es jedenfalls für möglich, dass sich die Beschreibung von Atlantis eigentlich auf eine andere Stadt oder Kultur bezieht.
Städte auf dem Meeresgrund
Und tatsächlich entdecken verschiedene Forscherteams in der „Carthago“-Reihe fünf Städte auf dem Meeresgrund, die mindestens 10.000 Jahre alt zu sein scheinen. (Platon, der im 5. und 4. Jh. v.Chr. lebte, datiert Atlantis auf 9.000 Jahre vor seiner eigenen Zeit, womit wir etwa bei 10.000 Jahren wären.) Hier finden sich gewaltige Konstruktionen und Hieroglyphen, die sogar für 30.000 bis 20.000 Jahre alt gehalten werden und sich als Urschrift herausstellen, die alle anderen Schriften antiker Hochkultur beeinflusst haben soll. Eine der fünf Städte liegt südlich von Japan, eine bei Helgoland, eine andere bei den Azoren, eine weitere in der Meerenge von el-Kharab und die letzte schließlich – die Hauptstadt – südlich von Kuba in der Karibik. Diese wird von den Protagonistinnen und Protagonisten der „Carthago-Reihe“ mit Atlantis gleichgesetzt und beherbergt drei Pyramiden, die starke Ähnlichkeiten mit denjenigen aus Gizeh aufweisen. Außerdem finden sich noch Bauwerke dieser Kultur im nördlich von Kuba gelegenen Bermudadreieck.
Platons Atlantis liegt also im Comic tatsächlich im Atlantik, wobei sich seine Kultur oder sein Herrschaftsbereich von der Karibik bis nach Nordeuropa, dem Indischen Ozean und schließlich dem Pazifik erstreckt. Mit Helgoland und den Azoren wählt Christophe Bec hier natürlich bewusst zwei Inseln aus, die auch in der realen Welt gelegentlich mit Atlantis gleichgesetzt werden. Ebenso wird auch das Bermudadreieck in der Phantastik häufiger mit Atlantis in Verbindung gebracht.
Die Atlanter als Kulturbringer
Dass die Atlanter die Menschheit kulturell vorantrieben, indem sie ihr Wissen über den Pyramidenbau etc. vermittelten, hat nichts mit der antiken Überlieferung zu tun, sondern entstammt neuzeitlichen Werken wie z.B. den Büchern von Ignatius Donnelly (Atlantis: The Antideluvian World, 1882) oder Denis Saurat (L’Atlantide et le règne des géants, 1954).
Unbekannte Hochkulturen
Grundsätzlich liegt es im Bereich des Möglichen, das es auf der Erde Hochkulturen gegeben hat, von denen wir heute (noch) nichts wissen. Man denke diesbezüglich etwa an Göbekli Tepe, wo Menschen bereits um 9.000 v.Chr. gewaltige Bauwerke errichteten, was uns erst seit den 1990er Jahren allmählich bewusst wird. Schwierig wäre es für eine derart frühe Hochkultur allerdings gewesen, sich wie in „Carthago“ über die gesamte Erde auszubreiten und dabei die Kommunikationslinien dauerhaft aufrecht zu erhalten.
So stellt sich im Comic dann heraus, dass die Atlanter zwar mit den Menschen verwand sind, aber nicht im herkömmlichen Sinne Menschen sind. Ich möchte an dieser Stelle nicht zu viel verraten, außer dem Umstand, dass die Städte der Atlanter nicht untergegangen sind, da sie sich nie oberhalb des Meeresspiegels befunden haben. Jedenfalls verfügen sie über die Möglichkeiten, mit ihrer Kultur weite Teile der Welt zu bewohnen. Die Andeutungen dürften ausreichen, um zu verdeutlichen, dass „Carthago“ hier deutlich den Bereich der Phantastik betritt.
Schiffe namens Thetis und Leviathan sowie weitere Bezüge zur Antike
Auch jenseits der Haupthandlungsstränge finden sich noch weitere spannende Stellen. Der bereits vorgestellte Meeresforscher Bertrand verfügt über ein Schiff, das den Namen Thetis trägt und dementsprechend nach der Meeresnymphe benannt ist, die manchen von Euch vielleicht als Mutter des Achilles bekannt ist. Achilles selbst taucht übrigens auch in einem Band auf, wenn auch nur in einer Darstellung auf einer Vase, die eigentlich im British Museum steht und auf der er gerade die Amazonenkönigin Penthesilea tötet.1 Allgemein zieren in der „Carthago“-Reihe gelegentlich antike Statuen etc. die Räumlichkeiten wohlhabender Personen, so z.B. der berühmte Diskobolos des Myron.
Das ultramoderne Unterseeboot des ebenso reichen wie exzentrischen Sammlers Feiersinger ist nach dem Leviathan benannt, einem Seeungeheuer der jüdisch-christlichen Mythologie. Schließlich wird noch ein Aufklärungsflugzeug erwähnt, das den Namen der römischen Göttin der Morgenröte – Aurora – trägt.
Ausblick
Wie das alles weitergeht und ob das Ausmaß der Antikenrezeption noch weiter zunehmen wird, werden wir dann in den folgenden Bänden von „Carthago“ sehen. Jedenfalls deutet Christophe Bec eine große Katastrophe von apokalyptischen Ausmaßen an, die sich allmählich anzubahnen scheint. Auch müssen diese Katastrophe, die Urzeittiere und Atlantis in einem noch nicht erklärten Verhältnis zueinander stehen. Einzig die Aborigines in Australien wissen diesbezüglich Bescheid, doch füttern sie uns Leserinnen und Leser leider nur spärlich mit Informationen.
Bis wir durch das Erscheinen weiterer Bände der Reihe Neues erfahren, könnt Ihr bei Ariane (Nerd mit Nadel) deren Besprechungen der Reihe lesen, um einen tieferen Einblick das Comic zu erhalten.
- Die Bibliothek von Alexandria in „The Atlas Six“ - 28. Oktober 2024
- [Fantastische Antike – Der Podcast] Progressive Phantastik - 21. September 2024
- Walhalla – Die nordische Mythologie im Comic - 31. Juli 2024
Sehr interessant! Werde ich aber wahrscheinlich noch ein, zwei weitere Male lesen, weil ich gerade irgendwie nur die Hälfte mitbekommen habe.
Klingt auf jeden Fall spannend!
Ist es!
😉
Super interessant!!!
Freut mich, dass der Artikel Dir gefällt!
😉