Von Zeit zu Zeit erscheint es zur Erweiterung des eigenen Horizonts sinnvoll, den Bereich der klassischen Antike zu verlassen, um nachzusehen, was es in Bezug auf die Rezeption anderer Epochen oder Kulturen Spannendes zu untersuchen gibt.
Heute wenden wir uns daher dem ersten Teil der Walhalla-Saga zu, der die Geschichten „Der Wolf ist los“, „Thors Brautfahrt“, „Odins Wette“ sowie vielerlei Bonusmaterial beinhaltet. Denn gerade das Zusatzmaterial lässt diesen Comic für unser Projekt äußerst interessant erscheinen.
Aber beginnen wir am Anfang.
Die Walhalla-Saga – Was ist das?
Bei der Walhalla-Saga handelt es sich um eine humorvolle dänische Comicserie, deren 15 Alben in einem Zeitraum von etwas mehr als 30 Jahren (1979-2010) erschienen sind. Dabei lag die ursprüngliche Grundidee darin, ein eigenständiges dänisches Comic zu entwerfen anstatt weiterhin lediglich ausländische Erzählungen zu übersetzen (S. 6).
So kamen dann Hans Rancke, Peter Madsen, Henning Kure und Søren Håkonsson zusammen, bevor sich schließlich ab der zweiten Geschichte noch Per Vadmand der Gruppe anschloss, um in Comicform eine Neuinterpretation der nordischen Mythologie zu erzählen.
Die Leser*innen erleben die Geschichten aus der Perspektive zweier Menschenkinder, der Geschwister Röskva und Tjalfi, die unfreiwillig in die Dienste des Gottes Thor treten und sich wie wir zunächst einmal in der Welt der Göttinnen und Götter zurechtfinden müssen.
Dem deutschen Publikum dürfte Walhalla besonders durch die gleichnamige Verfilmung aus dem Jahre 1986 in Erinnerung sein, wobei der Film sicherlich besonders den Teenager-Riesen Quark zu einer kleinen Berühmtheit machte.
Was hat die deutsche Sammeledition zu bieten?
Die Sammeledition bietet die Entstehungsgeschichte der Comicserie ab Mitte der 1970er Jahre, zahlreiche Hintergrundinformationen, Fotos der am Comic beteiligten Personen, Skizzen, verworfene Ideen, Vorstellungen der wichtigsten Charaktere und vieles Weitere mehr.
Im Zentrum stehen natürlich die drei obengenannten Erzählungen sowie ein Bonus-Comic, bei dem es sich um eine Geschichte um den spätestens durch die Serie Vikings berühmt gewordenen Ragnar Lodbrok handelt, die bemerkenswerterweise 1982 vom dänischen Bildungsministerium für den erweiterten Grundschulabschluss in Auftrag gegeben worden war (S. 210).
Die Erzählungen und ihre Vorlagen
Dass ich an dieser Stelle die Walhalla-Saga bespreche, hängt in erster Linie damit zusammen, dass die Autoren auf jede Erzählung eine Auswahl zentraler Textstellen aus Liedern und Mythen folgen lassen, sodass sich die Leser*innen das Originalmaterial anschauen können, das die Comicmacher zu ihren Ideen inspirierte.
Wie es sich gehört, werden alle dänischen Übersetzungen der Lieder und Mythen aufgeführt, die für das Comic Verwendung fanden. Da diese ausnahmslos aus den Jahren 1870 bis 1928 stammen und daher womöglich etwas angestaubt sind, passte die Expertin Dr. Annette Lassen die älteren Texte an modernes Dänisch an (S. 5). Die deutsche Übersetzung des dänischen Originals stammt wiederum von der Skandinavistin Inga Esseling.
Zusätzlich zu den eigentlichen Texten erfolgt auch eine kurze Einordnung des Quellenmaterials. In diesem Kontext werden der Codex Regius, die „ältere“ und die „jüngere“ Edda (Snorra-Edda), die Gesta Danorum sowie die bedeutendsten Lieder knapp vorgestellt (S. 12).
Der Umgang mit der nordischen Mythologie
Abgesehen von Nacherzählungen wird die nordische Mythologie auch weitergesponnen. Der Comic erfindet also teilweise neue Erzählelemente zu dem bestehenden Material hinzu. Wichtig ist den Autoren, dass es sich bei der nordischen Mythologie nicht einfach nur um eine Ansammlung alter Geschichten handelt, sondern dort durchaus Themen angesprochen werden, die teilweise heute noch von Relevanz sind, was sie kurz anhand der Beispiele Geschlechterrollen, Ausnutzung von Feindbildern sowie Obrigkeitsdenken thematisieren (S. 80, S. 136 & S. 208).
Von Hjogurth, Quark und anderen Milchprodukten
Besonders schön finde ich eine Wechselwirkung zwischen der nordischen Mythologie und ihrer Rezeption, die die Walhalla-Comics aufgreifen: Da ein dänisches Sauermilchprodukt seit den 1930er Jahren nach dem Urriesen Ymir benannt ist und es gleichzeitig auch einen Riesen namens Hymir gibt, begannen die Comicmacher aus Spaß damit, frei erfundene Riesen nach Milchprodukten zu benennen, wobei sie immer noch ein „H“ vor das Wort setzen, was schließlich zu Namen wie Hjogurth, Hyletti oder Hlassi führte.
Auch der bereits eingangs erwähnte Teenager-Riese Quark entstammt dieser Namenstradition, wobei man in seinem Fall auf das H am Wortanfang verzichtete.
Die Milchindustrie griff also Namen der nordischen Mythologie auf, was in der vorliegenden Neuinterpretation dieser Mythen dazu führte, dass neuerfundene Riesen ihrerseits nach Molkereiprodukten benannt wurden (S. 138).
Mein Eindruck von Band 1 der Walhalla-Saga
Als Althistoriker kann ich aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse und einem eher oberflächlichen Wissen über die nordische Mythologie den ersten Band der Walhalla-Saga natürlich nur bedingt fachlich beurteilen.
Was ich aber beurteilen kann, ist die oben geschilderte Herangehensweise der Autoren. Diesbezüglich erscheint es mir durchaus vorbildlich, wie der Band die zugrundeliegenden Texte aus Liedern und Mythen präsentiert und zumindest kurz die einzelnen Quellen einordnet. Hinzu kommen die Hintergrundinformationen, in deren Rahmen die Comicmacher erklären, aus welchen Gründen sie diese oder jene Entscheidung getroffen haben.
Das alles erscheint mir besonders bemerkenswert, da die Walhalla-Reihe kein Comic ist, das die nordische Mythologie möglichst authentisch nacherzählen möchte. Vielmehr handelt es sich ja um eine humorvolle Neuinterpretation und Weitererzählung, bei der ich eine derart gewissenhafte Vorgehensweise nicht zwingend erwartet hätte.
Insofern möchte ich ähnliches zukünftig sehr gerne öfters sehen, natürlich besonders gerne auch bei Comics, die die griechisch-römische Antike thematisieren.
Peter Madsen u.a.: Walhalla – Die gesammelte Saga 1, Edition Roter Drache, 2. Auflage Meschedet 2021.
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