Durch den „Erebor“, das Fantastik-Magazin meines Vertrauens, das als Schülerzeitung von einer Aachener Tolkien AG mit dem schönen Namen „Inda-Gefährten“ herausgegeben wird, bin ich auf Judith C. Vogts „Die Geister des Landes“-Trilogie aufmerksam geworden, die hervorragend zu meinem kleinen Forschungsprojekt passt. Denn wie schon im kürzlich erschienen Beitrag zur Antikenrezeption in Märchen, Sagen und Legenden aus dem Eifelraum, geht es auch in „Die Geister des Landes“ um Figuren und Geschichten aus der Eifel, von denen ein Teil der Antike entstammt bzw. auf diese zurückzuführen ist.
Beginnen wir mit einer kurzen Vorstellung der Autorin. Judith C. Vogt stammt aus dem Kreis Düren und hat sich im Laufe der Zeit einen guten Namen als Autorin diverser Romane sowie verschiedener Spielhilfen und Abenteuer für das beliebte Rollenspiel DSA (Das Schwarze Auge) gemacht, wobei sie gelegentlich gemeinsam mit ihrem Mann Christian Vogt schreibt. Bei den Romanen der gelernten Buchhändlerin wird schnell ein klarer Rom-Bezug deutlich. So behandelt der „Das Eburonenlied“-Zweiteiler den Ambiorix-Aufstand (54 v.Chr.), während ihr aktuelles Buch „Roma Nova“ den Spartakus-Aufstand in den Weltraum verlegt, wo sich die Raumschiffe dann entsprechend per Rammmanöver bekämpfen, statt einander zu beschießen. (Da ich meine Doktorarbeit über antike Seekriegsführung geschrieben habe, finde ich diese Idee wirklich witzig.) Besonders spannend erscheint mir, dass Judith Vogt kein großer Fan von Mittelalter-Fantasy ist und deshalb den recht ungewöhnlichen Weg gewählt hat, einen Teil ihrer DSA-Romane in einer an das antike Rom angelehnten aventurischen Antike spielen zu lassen. (Aventurien ist der Hauptkontinent in der Welt des Schwarzen Auges.)
Kommen wir aber nun zur „Die Geister des Landes“-Trilogie, die aus den Jahren 2012-2013 stammt. Die Bücher spielen hauptsächlich im nördlichen Teil der Eifel und thematisieren vier Jugendliche, die sich mit dem Mysterium konfrontiert sehen, dass mythische Figuren des betreffenden Raumes (wieder) zum Leben erwachen. Zu diesen Figuren zählen natürlich auch „Damen“ und „Herren“, die mindestens seit der Antike in der Nordeifel zuhause sind. Zu nennen wären diesbezüglich Esus und Cernunnos, Arduinna, Sunuxal und Varneno, Artemis (s.u.), die Matronen, Grannus und möglicherweise Gaia. Auch der Riese Kakus, den wir schon an anderer Stelle kennengelernt haben, ist dabei.
Esus, Cernunnos, Arduinna, Sunuxal und Varneno, Grannus sowie die Matronen sind alles keltische Gottheiten, über die wir unterschiedlich viel wissen. Esus können wir nicht sonderlich gut greifen, obwohl ihn Lucan neben Teutates und Taranis zu den drei Hauptgöttern der Kelten zählt (1,444ff.). In späteren Kommentaren zu Lucans Schrift (Scholien), wird Esus mit Merkur und Mars gleichgesetzt, wobei Ersteres in der Forschung für eher unwahrscheinlich gehalten wird. Cernunnos ist ein Gott mit Hirschgeweih, der teilweise Ähnlichkeiten mit Merkur aufweist, für den aber grundsätzlich keine Interpretatio Romana vorliegt. Arduinna hingegen wird in der römischen Interpretation als Diana verstanden, die wiederum der griechischen Artemis entspricht. Soweit wir wissen, war sie eine lokale Wald- und Jagdgöttin, nach der scheinbar die Ardennen benannt sind, die bei den Römern als Arduenna silva bekannt waren, was man vielleicht als Wald der Arduinna übersetzen kann. (Arduenna silva bezeichnete in der Antike ein wesentlich größeres Gebiet als die heutigen Ardennen, sodass z.B. auch Düren noch miteinbezogen war.) Varnenus und Sunuxal waren zwei lokale Gottheiten, deren Tempelüberreste heute noch in Kornelimünster zu besuchen sind. Bei Grannus bewegen wir uns auf etwas sichererem Boden. Caesar setzte ihn als Heilgott dem Apollon gleich und bezeichnete ihn als einen der am meisten verehrten Götter der Gallier (Gall. 6,17). Als Heilgott findet sich häufig ein Bezug zu Quellen, was z.B. in Aachen mit seinen heißen Quellen der Fall ist, das ja spätestens seit dem Mittelalter als Aquisgrani bezeichnet wurde und in der Antike womöglich Aquae Granni, also Wasser des Grannus, hieß. Die Matronen schließlich sind keltische Göttinnen mit mütterlich-fertiler Schutz- und Segensfunktion, die in der Regel zu dritt in Erscheinung treten, wobei mit der Dreizahl nicht zwingend wirklich drei Göttinnen, sondern womöglich der universelle Charakter einer Göttin ausgedrückt werden soll. Jedenfalls haben wir im linksrheinischen Siedlungsgebiet der Ubier (grob gesagt: Bonn-Köln-Aachen) eine recht ausgeprägte Verehrung der Matronen, deren Darstellung hier auch von der in anderen Gebieten üblichen Erscheinung abwich.[1]
Gaia ist als griechische Personifikation der Erde natürlich universell einsetzbar, wobei in den Romanen nicht aufgeklärt wird, ob es sich bei der betreffenden Erscheinung tatsächlich um Gaia handelt. Weswegen die griechische Göttin Artemis in der Erzählung vorkommt, kann ich gerade aus dem Stehgreif gar nicht mehr sagen. Da sie in einer gefährlichen Situation Dora rettet, eine der Protagonistinnen, die einen persönlichen Bezug zur griechischen Götterwelt hat, könnte es sein, dass Artemis als Doras Interpretation der lokalen Arduinna in Erscheinung tritt.
Dies führt uns zu einem anderen Punkt, nämlich dem Verhältnis zwischen einem geographischen Gebiet, seinen Bewohnerinnen und Bewohnern sowie den verehrten Gottheiten. Judith Vogt thematisiert nämlich sehr schön, wie Gottheiten im Laufe der Zeit aufgrund vielfacher Umstände uminterpretiert werden und/oder in neue Rollen schlüpfen können. So sind es ja im hier relevanten Gebiet der nördlichen Eifel zunächst einmal Kelten und Germanen, die uns als Bewohner bekannt sind. Dann kommen die Römer, die die örtlichen Gottheiten teilweise im Rahmen der oben angesprochenen Interpretatio Romana übernehmen, wodurch dann aber – wie z.B. beim Matronenkult – durchaus auch neue Akzente auftreten bzw. Mischformen entstehen können. Durch das Christentum verschwinden die alten Göttinnen und Götter nicht zwangsläufig, sondern „retten“ sich zum Teil in Märchen, Sagen und Legenden, wie wir es schon einmal am möglichen Beispiel der Frau Holle angesprochen haben. Manches lebt sicherlich auch in neuem Gewand im Christentum fort. Der Marienkult und die Heilgenverehrung scheinen mir da zumindest im Katholizismus einiges an Möglichkeiten zu bieten.
Während in Neil Gaimans „American Gods“ (2001) die Götterwelt sich jeweils dort manifestiert, wo es eben Menschen gibt,[2] die an sie glauben, scheint mir Judith Vogt in „Die Geister des Landes“ teilweise umgekehrt davon auszugehen, dass Gottheiten an gewisse geographische Räume gebunden sind und sich dann eben an den jeweiligen Glauben der Menschen anpassen müssen. Nicht umsonst spricht sie im dritten Band vom genius loci, dem Geist des Ortes. Andererseits sind ihre mythischen Figuren aber auch deutlich vom Glauben der Menschen geprägt, was sich zum Beispiel an der Darstellung Karls des Großen zeigt, der in „Die Geister des Landes“ eben nicht „historisch korrekt“ in Erscheinung tritt, sondern so, wie der Volksmund an ihn glaubt. Unsicher bin ich mir, inwiefern Judith Vogts Figuren wie Terry Pratchetts Großer Gott Om in „Small Gods“ (1992) vom Glauben der Menschen abhängig sind. Jedenfalls wird mehrfach angedeutet, dass auch urbane Legenden wie der „Schwarze Mann“ dadurch real werden können, dass Menschen an sie glauben.
Jedenfalls finde ich an dieser Reihe sehr schön, dass sie – wie auch Mira Lobs Eifelmärchen – dazu beiträgt, sehr alte Traditionen meiner Heimatregion lebendig zu halten. Dabei scheint mir eine phantastische Geschichte wie diese als Vermittlungsmedium äußerst geeignet zu sein, da sie Leserinnen und Leser auf sehr unaufdringliche und vor allen Dingen auch äußerst unterhaltsame Weise die Vergangenheit näherbringen und vermitteln kann.
[1] Die Zusammenfassungen basieren größtenteils auf den entsprechenden Lexikonartikeln, die Marion Euskirchen für „Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike“ verfasst hat.
[2] Zu Beginn des ersten Bandes wird sicherlich nicht zufällig aus „American Gods“ zitiert. Auf Twitter gibt die Autorin „Percy Jackson“ und „Buffy“ als Inspirationsquellen an.
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