Eine Mainade in Bon Temps – Maryann Forrester in ‚True Blood‘ (Staffel 2)

Wie wir bereits an anderer Stelle gesehen haben, greift das Horror-Genre besonders gerne auf Mumien und mesopotamische Dämonen zurück, womit wir uns in der Regel eher in der Altorientalistik oder in der Ägyptologie als in der Alten Geschichte befinden. Umso erfreulicher ist es, wenn Medien aus dem Bereich des Horrors dann doch gelegentlich Aspekte aufweisen, die eindeutig aus der Antike übernommen sind. Ein schöner Fall liegt diesbezüglich in der zweiten Staffel der HBO-Serie „True Blood“ vor, der wir uns im Folgenden etwas ausführlicher widmen wollen, wobei sich alle Aussagen allein auf die Serie beziehen. Denn die der Serie zugrundeliegende Buchreihe „Sookie Stackhouse“ (The Southern Vampire Mysteries) von Charlaine Harris weist teilweise einen anderen Handlungsverlauf auf und wird daher an anderer Stelle gesondert besprochen werden.

Die Welt von „True Blood“

Inhaltlich geht es bei „True Blood“ grob gesagt darum, dass Vampire aufgrund der Entwicklung von synthetischem Blut nicht mehr auf Menschen als Nahrungsquelle angewiesen sind und deshalb ihr „Coming-out“ wagen können. In der Folge zeigt sich schon bald, dass außer Vampiren auch Werwölfe, Feen, Gestaltwandler und viele weitere übernatürliche Wesen unentdeckt von der Menschheit mit dieser zusammenleben. So wie es bei „The Walking Dead“ nur vordergründig um Zombies geht und eigentlich das Verhalten von Menschen in Extremsituationen im Zentrum der Erzählung steht, so sind auch die übernatürlichen Wesen in „True Blood“ als Stellvertreter für Menschen zu betrachten, die ihre wahre Identität vor der „normalen“ Gesellschaft verstecken, da sie in irgendeiner Form vom „Mainstream“ abweichen. Somit handelt es sich bei der Serie letztlich um eine durchaus gelungene Mischung aus Horror und Fantasy, die mit ordentlichen Portionen an Gesellschaftskritik und Erotik versehen ist. Im Zentrum der Erzählung stehen jedenfalls die von Feen abstammende Sookie Stackhouse (Anna Paquin) und ihre wechselhaften Beziehungen zu den Vampiren Bill Compton (Stephen Moyer) und Eric Northman (Alexander Skarsgård), wobei die Geschichte größtenteils im fiktiven Ort Bon Temps in Louisianna spielt.

Photo: Michael Kleu
True Blood Staffel 2: Eine Mainade in Bon Temps                                                                                  

In der letzten Folge der ersten Staffel der Serie taucht als Übergang zur folgenden Staffel eine Frau namens Maryann Forrester (Michelle Forbes) in Bon Temps auf, der es schnell gelingt, Menschen in ihren Bann zu ziehen. Als besonders anfällig erweisen sich diesbezüglich Menschen in schwierigen Lebenssituationen. In ihrem Haus herrscht meist gute Laune, was sich u.a. in zahlreichen Partys mit rhythmischen Tänzen, üppigen Mählern und ausgeprägtem Marihuanakonsum manifestiert, wobei diese Partys ab einem gewissen Punkt zu Orgien ausarten. Menschen fühlen sich in Maryanns Gegenwart gut und verfallen schließlich in einen Zustand, in dem sie ihr gegenüber in absoluten Gehorsam verfallen und völlig hemmungslos nach kontinuierlichem Lustgewinn streben, wobei dieser Zustand der Ekstase durch schwarz verfärbte Augen gekennzeichnet ist. In der Folge können sich die betreffenden Menschen nicht mehr daran erinnern, was sie während dieser Ekstase gemacht haben. In der örtlichen Bar löst Maryann beispielsweise eine beinahe ausartende Party aus, indem sie einfach selbst zu tanzen beginnt, wovon sich selbst der größte Tanzmuffel anstecken lässt.

Natürlich ahnt das Publikum schnell, dass sich hinter Maryanns Fassade in Wahrheit etwas Schreckliches verbergen muss. Und so zeigt sich tatsächlich, dass sie nicht nur positive Gefühle, sondern auch Zwietracht und Schmerzen auslösen kann, wobei siegelegentlich ein gewisses Maß an Sadismus aufweist. Auch schreckt sie nicht davor zurück, ihren Anhängern heimlich das Herz einer Gestaltwandlerin – also letztlich eines Menschen – zu servieren. Schließlich erfahren wir, dass es sich um eine Mainade (im Deutschen auch Mänade) handelt, einer Dienerin des Dionysos, der in der griechischen Welt unter anderem als Gott des Weins und der Ekstase galt. Dazu passt, dass Maryann in ihrem Haus Kleidung und Haarschmuck trägt, der deutlich an die griechische Antike sowie die mykenische Zeit erinnert. Auch finden sich hier verschiedene Kunstgegenstände mit antiken Anklängen, wobei ein angeblich mykenisches Stück Maryann besonders am Herzen liegt.1

Rasende Mänade, 490-480 v. Chr., Staatliche Antikensammlung München
Die Darstellung der Mainade in „True Blood“

In der Serie wird die Mainade als unsterblich und unverwundbar präsentiert. Sie verfügt über diverse übernatürliche Kräfte und ist so mächtig, dass sich sogar Vampire vor ihr in Acht nehmen. Laut der örtlichen Vampirkönigin war die Mainade ursprünglich eine Frau, die sich erst durch ihren tiefen Glauben und durch Selbstsuggestion zu diesem mythischen Wesen entwickelte. Dabei geht die Königin davon aus, dass Maryann älter ist als das antike Griechenland. Die Mänade ist natur- und besonders auch erdverbunden und zieht das Chaos der Zivilisation vor. Sie strebt danach, sich im Rahmen einer rituellen Hochzeit (sexuell) mit Dionysos zu vereinen, den sie heraufzuschwören versucht, indem sie die gesamte Bevölkerung Bon Temps‘ zu rhythmischen Klängen eine Orgie feiern lässt, bei der Sam Merlotte (Sam Trammell) als Opfer dargebracht werden und als Gefäß für Dionysos dienen soll, während Sookie Stackhouse bei der Hochzeit unfreiwillig als eine der in griechischen Kleidern (Chiton) und mit Kränzen versehenen Brautjungfern dienen soll, um als Köder für den in sie verliebten Sam zu dienen.

Zu diesem Zeitpunkt ist dem Publikum bereits bewusst, dass schon zuvor Menschenopfer stattgefunden haben und es hat auch bereits ein Versuch stattgefunden, Sam zu opfern. Im Zuge des großen Fests in der letzten Folge bestreicht sich die Mainade mit dem Blut des Gestaltwandlers Sam Merlotte und verwandelt sich daraufhin in ein Wesen mit giftigen, dreifingrigen Klauen. Bereits zuvor hatte sie in dieser Gestalt Sookie Stackhouse und andere angegriffen, dabei aber noch eine Stierkopfmaske aus Metall getragen. Selbstverständlich gelingt es den positiv besetzten Charakteren der Serie, das Vorhaben letztlich zu vereiteln und Maryann zu besiegen.

Mainaden in der griechischen Mythologie

Mainaden (im Singular eigentlich μαινάς/mainás und im Plural Μαινάδες/Mainádes) sind in der griechischen Mythologie Begleiterinnen des Dionysos, wobei mit demselben Begriff auch menschliche Frauen bezeichnet werden können, die diesen Gott in Form von Tanzritualen und ekstatischen Riten verehren. Letztere werden im Griechischen als Orgia (ὄργια) bezeichnet, womit sich eine Verbindung mit der Orgie in „True Blood“ ergibt. Aus verschiedenen Teilen der griechischen Welt ist ab dem dritten Jh. v.Chr. belegt, dass die Frauen alle zwei Jahre im Winter unter rhythmischen Gesängen oder Rufen auf einen Berg zogen. Dort öffneten sie ihre Haare und bedeckten sich mit einem Hirschkalbfell, um dann zum Rhythmus von Schlag- und Blasinstrumenten mit nackten Füßen bei Fackellicht bis zur Erschöpfung oder sogar bis zur Ohnmacht zu tanzen, nachdem Dionysos ein Opfer dargebracht worden war.

Dabei scheint es das Ziel gewesen zu sein, sich durch Köperbewegungen und die damit einhergehende körperliche Verausgabung – die auch mit Raserei bzw. Manie (μανία) in Verbindung gebracht wird – in Ekstase bzw. Trance zu versetzen, um dadurch mit Dionysos zu verschmelzen. Vermutlich stammt diese Form der Verehrung bereits aus archaischer Zeit (etwa 800-500 v.Chr.). Je nach geographischer Region gibt es auch weitere Bezeichnungen für diese Verehrerinnen des Dionysos, wie z.B. Bakchantinnen oder Bassariden. Im Mythos sind die Rituale auch mit Schlangen, dem Zerreißen von Tieren und Menschen sowie dem Verzehr rohen Fleisches verbunden, wobei sich diesbezüglich die ersten Züge bereits in den homerischen Werken andeuten (8. oder 7. Jh. v.Chr.).

Das Zerreißen von Tieren spielt auf den Mythos an, in dem Dionysos selbst als Kind von Titanen zerrissen wird, wobei nach einer Version, die auch in der Serie thematisiert wird, Athene das Herz des Dionysos birgt, das daraufhin seiner Mutter übergeben wird, um Dionysos neu zu gebären, wobei in einer Tradition das Herz gegessen wird. In der Serie wird das Herz wieder in den Mutterleib versetzt, wobei von den verschiedenen Frauen, die als Mutter des Dionysos in Betracht kommen – die Göttinnen Demeter, Io, Persephone, Lethe und die Menschenfrau Semele stehen zur Wahl – in der Serie eine Mutter- und Erdgöttin gewählt wurde, womit dann wohl Demeter und/oder Persephone gemeint sein dürfte(n). 

Altgriechische Beschwörungsformeln

Wie sich zeigt, hat „True Blood“ viele Aspekte der antiken Mainaden aufgegriffen, um daraus die Antagonistin der zweiten Staffel zu formen, wobei die Mainade hier rein negativ betrachtet wird. Toll ist, dass Maryann in der Serie teilweise Griechisch spricht und denkt, z.B. wenn Sookie Stackhouse mit Hilfe ihrer Feen-Fähigkeiten die Gedanken der Mainade zu lesen versucht. Antike Sprachen werden in der Phantastik immer wieder gerne herangezogen, wenn es um Dämonen, Beschwörungen etc. geht, doch betrifft dies wesentlich häufiger Latein als Altgriechisch.

Bei einer späteren Beschwörungsformel spricht Maryann wieder Altgriechisch, wenn sie die folgenden Worte sagt: Lo Lo Bromios, Lo Lo Dendrites, Lo Lo Eleutherios, Lo Lo Enorches, Lo Lo Bacchus. Bromios (Donnerer, Brüller), Dendrites (der von den Bäumen), Eleutherios (Befreier), Enorches (Bock; oder etwas mit Hoden?) und Bacchus (ekstatischer Taumeler) sind alles Beinamen des Dionysos,2 wobei der Bezug zu den Bäumen natürlich hervorragend zum Nachnamen Maryanns passt, der ja Forrester lautet. Das „lo lo“ scheint ein Fehler zu sein, müsste es doch eigentlich „io io“ (ἰώ = „oh!“ im Sinne von: Oh Zeus!) lauten, was vermutlich einfach aufgrund einer I-l-Verwechslung (großes I vs. kleines L) falsch gelesen worden ist. (Allerdings müssten die Beinamen dann eigentlich in den Vokativ gesetzt werden.) Der Beiname Enorchos stammt übrigens von einer gleichnamigen mythischen Person, die aus einem Ei geboren war und Dionysos später einen Tempel errichtete. Da einer der Anhänger Maryanns den Namen Eggs trägt, der noch dazu im Verlauf der Staffel mit seiner Freundin ein Nest für ein großes Ei herrichtet, handelt es sich hier mit ziemlicher Sicherheit um eine Anspielung auf diesen Mythos.3 Wenn ich richtig höre, zählt die Mänade auch in der oben angesprochenen Szene, in der Sookie ihre Gedanken zu lesen versucht, die Beinamen des Dionysos auf, was anschaulich darstellt, dass Maryann letztlich immer nur ihren Gott im Kopf hat und der Gedanke an diesen ihr gesamtes Tun bestimmt.

Lesen bildet auch Vampire!

Der Vampir Bill Compton kann Maryann schließlich mit Hilfe des Buches „Gods & Monsters of Ancient Greece“, an dessen Lektüre er sich zurückerinnert, als Mainade identifizieren. Auf einer Seite dieses Buches findet sich eine Abbildung, die entsprechend der Darstellung der Maryann in ihrer verwandelten Gestalt eine Mainade mit Stierkopf und Klauen zeigt und auch die oben zitierten Beinamen des Dionysos finden sich hier wieder. In einer Szene wird ein Schwein im Garten Maryanns gezeigt, was Assoziationen mit der Nymphe Kirke weckt, die einen Gefährten des Odysseus in ein Schwein verwandelte und in der Populärkultur oft als eine Art Hexe aufgefasst wird. Diese Assoziation wird noch dadurch verstärkt, dass Maryann das Schwein scheinbar verschwinden lassen kann.

Mänade mit Silen, dem Lehrer des Dionysos, um 480 v.Chr., Staatliche Antikensammlung München
Arthur Machens „The Great God Pan“ als Inspirationsquelle

Gleich zu Beginn der zweiten Staffel wird übrigens ein Gemälde gezeigt, dass den Gott Pan mit einer menschlichen Geliebten zeigt. Wie das TrueBloodWiki zurecht anmerkt, scheint es sich hier um eine Anspielung auf Arthur Machens Erzählung „The Great God Pan“ zu handeln, bei der es sich um einen Horror-Fantasy-Genremix handelt. Die Antagonistin Helen Vaughan, die sich im Laufe der Geschichte als Tochter Pans und einer Menschenfrau herausstellt, weist deutliche Parallelen zur Darstellung der Maryann Forrester in „True Blood“ auf.

Weitere Anspielungen

Passend dazu, dass ein Aspekt der griechischen Mythologie der zweiten Staffel zugrunde liegt, schaut der Charakter Lafayette in einer Folge übrigens eine „Jason und die Argonauten“-Verfilmung im Fernsehen, während der Name eines anderen Charakters „Daphne“ lautet, was ebenfalls der griechischen Mythologie entlehnt ist. Daphne bringt Maryann in der Serie noch mit Kali, Lilith, Isis und Gaia in Verbindung, während Dionysos als gehörnter Gott in eine (falsche) Verbindung zu Satan gesetzt wird. Schließlich wird auch noch kurz die griechische Knabenliebe angesprochen.

Schlussgedanken

Da wollte ich nur kurz was zu Mainaden in „True Blood“ schreiben und schwuppsdiwupps hat es jetzt doch harter Recherche und mehrerer Stunden Arbeit bedurft, bis ein wesentlich längerer Text entstanden ist als ich ursprünglich erwartet hatte. Aber ich denke, es war den Aufwand wert. In den „True Blood“-Fan-Foren etc. haben übrigens auch einige Fans der Serie ähnliche Recherchen durchgeführt, um sich zu erklären, was da in der Serie gezeigt wird. Wenn das Anschauen einer TV-Serie dazu führt, dass sich danach Leute den Kopf darüber zerbrechen, was wohl Dinge wie „Lo Lo Bromios, Lo Lo Dendrites, Lo Lo Eleutherios, Lo Lo Enorches, Lo Lo Bacchus“ zu bedeuten haben, dann brauchen wir definitiv mehr solcher Serien!

Literatur:

Th. Heinze: Art. Mainaden, in: Der Neue Pauly (7) 1999, 639-641.

Art. Maryann Forrester, in: TrueBloodWiki.

Art. Mänade in: Wikipedia.

Michael Kleu

Anmerkungen

  1. Tatsächlich scheint es sich um ein ägyptisches Stück zu handeln.
  2. Vgl. hierzu auch Cammy.
  3. Vgl. auch hierzu Cammy.

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