Ištar louise m. pryke

Ištar – Göttin der Liebe und des Krieges

Eine der ältesten Gottheiten der Menschheitsgeschichte

Zu den weltweit betrachtet ältesten uns bekannten Gottheiten zählt eine mesopotamische Göttin der Liebe und des Krieges, die bei den Sumerern Inanna und im Akkadischen Ištar (auch Ischtar oder Ishtar geschrieben) hieß.1 Streng genommen handelte es sich ursprünglich um zwei voneinander unabhängige Göttinnen, wobei außerdem zu beachten ist, dass es durchaus lokale Variationen in der Wahrnehmung der Ištar bzw. der Inanna in einzelnen mesopotamischen Städten gab, zumal auch unterschiedliche Zeitperioden zu voneinander abweichenden Bildern der Göttin führten.2

Gleichzeitig kam es aus verschiedenen Gründen immer wieder zu Verschmelzungen und Angleichungen ähnlicher Gottheiten, was in den Fachwissenschaften als Synkretismus bezeichnet wird. Letztlich sind die Übereinstimmungen zwischen Ištar und Inanna daher derart groß, dass sie aus heutiger Perspektive in der Regel als eine Göttin mit unterschiedlichen Namen in verschiedenen Sprachen betrachtet wird. 

Da Ištar bzw. Inanna auch abgesehen von dieser Problematik als „Person“ alles andere als leicht zu greifen ist, erscheint es sinnvoll, ihr als Grundlage für eine Reihe von Einzeluntersuchungen zur ihrer Rezeption in der Phantastik einen eigenen Vorstellungsartikel zu widmen, der auf der bis heute einzigen Monografie basiert, die zu Ištar erschienen ist:

Louise M. Pryke: Ishtar, London/New York 2017.

Obwohl Inanna prinzipiell die ältere Göttin ist, spreche ich im Folgenden immer von Ištar, da die Göttin des Krieges und der Liebe in der Phantastik primär unter diesem Namen in Erscheinung tritt.3 Da auch die anderen hier genannten Gottheiten unterschiedliche Namen bei Sumerern, Babyloniern etc. trugen, gebe ich der leichteren Identifizierung wegen sowohl die sumerische als auch die akkadische Bezeichnung an.

Die Göttin Ištar – Ein erster Überblick

Ištar ist nicht nur die erste mesopotamische Gottheit, über die uns schriftliche Zeugnisse vorliegen, sondern gleichzeitig auch das bis heute prominenteste Mitglied ihres Pantheons.4. Als weiblicher Charakter markiert sie den Beginn einer ganzen Reihe mächtiger Göttinnen wie etwa Hathor, Hera oder Astarte, wobei sie derart prägend war, dass manche späteren Göttinnen wie z.B. Aphrodite deutliche Parallelen zu ihr aufweisen.    

Als Liebesgöttin steht Ištar für Erotik und Sexualität, aber auch für Liebe und Zuneigung innerhalb von Familien, Gemeinschaften und politischen Gemeinwesen, wobei die letzteren beiden Aspekte gut zu ihrem Status als Stadtgöttin von Ur passen. Sie verfügt über ein ausgezeichnetes Talent zum Netzwerken und schenkt Wohlstand und reiche Ernten. Gleichzeitig kann sie als Göttin des Krieges eine furchtbare Gegnerin sein und enorme Zerstörung bewirken. Als Königin über Himmel und Erde zählen auch die himmlische und die weltliche Ordnung zu ihren Zuständigkeitsbereichen. 

Ištar besitzt eine mächtige Stimme, mit der sie Lieder der Freude singt, Segen spendet und ihren Charme auf Gesprächspartner*innen wirken lässt. Ihre Stimme kann aber auch Feinde verfluchen, Klagelieder anstimmen oder auf dem Schlachtfeld einen furchterregenden Kriegsschrei ausstoßen. Gelegentlich droht sie – vermutlich in ihrer Funktion als Regen- und Sturmgöttin – anderen Gottheiten erfolgreich damit, einen verheerenden Schrei auszustoßen, wenn diese nicht das tun, was sie möchte. Mit ihrer Stimme ist außerdem die besondere Macht verbunden, Schicksal und Vorsehung festzulegen. 

Da Ištar Gegensätze wie Liebe und Krieg oder auch Freude und Klage in sich vereint, gilt sie als sehr vielschichtige und komplexe Gottheit, deren Charakter teilweise schwer zu greifen erscheint.

Ištar und ihre Familie

Was ihre Familie angeht, liegen unterschiedliche Traditionen vor. In der Regel gilt jedoch der Mondgott Nanna (Sin) als ihr Vater und die schöne Ningal als ihre Mutter. Eine besondere Verbindung weist sie zu ihrem Zwillingsbruder auf, dem Sonnengott Utu (Shamash), der auch für Recht und Gerechtigkeit zuständig ist. Der Himmelsgott An (Anu) ist ihr Großvater, gilt aber gelegentlich auch als ihr Vater. Ihre Schwester ist womöglich Ereškigal, die Herrin der Unterwelt. Innerhalb ihrer Familie gilt Ištar oft als die Jüngste.

Ištar pflegt gute Beziehungen zu ihrer Familie, solange dies nicht ihren Plänen und Vorhaben im Wege steht. So hat sie kein Problem damit, bei Gelegenheit ihren Vater oder Großvater An zu entmachten bzw. dessen Herrschaftsbereich zu übernehmen. Auch versucht sie ihre ältere Schwester Ereškigal zu stürzen, scheitert aber und wird dabei von dieser getötet und nur gegen einen hohen Preis wieder aus der Unterwelt entlassen (s.u.).

Ištar im mesopotamischen Pantheon

Auch wenn Ištar keineswegs zu den mächtigsten Figuren der mesopotamischen Götterwelt zählt, kommt ihr dennoch eine besondere Rolle im Pantheon zu, was durch ihre Rollen als Göttin der Liebe und als begnadete Netzwerkerin bedingt ist. So ist es charakteristisch für sie, ihre eigene Macht durch ihre jeweiligen Beziehungen zu den anderen Gottheiten auszuweiten.5

Abgesehen von den Mitgliedern ihrer unmittelbaren Familie pflegt Ištar besonders enge Beziehungen zu ihrem Onkel Enki (Ea), dem ehrwürdigen Gott der Weisheit, des Handwerks und des Süßwassers. Man kann Enki wohl als einen Mentor Ištars betrachten, der auch nicht davor zurückschreckt, das konfliktlüsterne Element der Göttin gelegentlich in seine Schranken zu verweisen.

Bei einem gemeinsamen Gelage verträgt Ištar Bier und Wein besser als Enki, was dazu führt, dass der Gott ihr im Rausch verschiedene seiner Kräfte überträgt. Grundsätzlich kann Enki der Göttin kaum etwas abschlagen. So ist es dann auch er, der Ereškigall davon überzeugt, Ištar als erste Person überhaupt aus dem Reich der Toten zurückkehren zu lassen.

Eng verbunden ist die Göttin auch mit ihrer mütterlichen Dienerin Ninšubur, die Weisheit vermittelt, aber auch als Kriegerin fungiert.

Ištar und Tammuz (Dumuzi)

Wenn Ištar ins heiratsfähige Alter kommt, wirbt auf betreiben ihres Zwillingsbruders der Hirtengott Tammuz um sie, was schließlich zu einer Hochzeit führt. Obwohl die gemeinsame Sexualität der beiden ein größeres Thema in den mesopotamischen Zeugnissen darstellt, scheint die Ehe kinderlos zu bleiben.

Das Ende der Ehe ist durchaus tragisch: Ištar versucht ihre Schwester Ereškigal als Herrin der Unterwelt zu stürzen, scheitert aber und verliert dabei ihr Leben. Es ergibt sich, dass sie das Totenreich wieder verlassen darf, wenn sie einen Ersatz für sich gefunden hat. Da die Göttin der Meinung ist, dass Tammuz ihren Tod nicht angemessen betrauere, fällt ihre Wahl auf ihn, was den Tod des Hirtengottes zur Folge hat. Obwohl Ištar nicht ganz unschuldig am Ableben ihres Gatten ist, trauert sie in der Folge sehr um ihn.

In einer alternativen Erzählung töten die Banditin Bilulu und deren Sohn Tammuz, woraufhin Ištar die beiden jagt und tötet, damit ihr Gatte im Totenreich Ruhe finden kann.

Ištar als Göttin der Liebe und der Intimität

Ištar ist auf das Engste mit dem Themenfeld Liebe verbunden. Unsere Quellen thematisieren in diesem Zusammenhang einerseits Sexualität. Hier geht es um die Entwicklung der schönen Göttin von einem Mädchen zur Frau und ihre Hochzeit mit dem Hirtengott Tammuz (Dumuzi), wobei es sexuell durchaus etwas expliziter werden kann. So ist von einem feuchten Acker die Rede, der auf den Pflug wartet.

Außerdem werden die weiblichen Geschlechtsorgane sehr konkret angesprochen und auch Cunnilingus und (weibliche) sexuelle Höhepunkte spielen eine Rolle. In einer späteren Quelle zeigt sich die Göttin unersättlich beim Geschlechtsverkehr mit zahlreichen jungen Männern gleichzeitig. Geht es Ištar in Bezug auf Liebe und Sexualität gut, erfreut sich das Land an Wohlstand und reichen Ernten.

Ištar personifiziert derart die Libido, dass Mensch und Tier während ihres kurzzeitigen Todes die Fortpflanzung einstellen und erst durch ihre Wiederbelebung wieder Interesse an Geschlechtsverkehr bekommen. Dementsprechend bedeutend ist Ištar auch in Bezug auf Liebeszauber oder die Behandlung von Impotenz.

Doch kann die Göttin auch zum Opfer der durch sie initiierten Lust werden. So tut ihr der Gärtner Shukaletuda in jungen Jahren sexuelle Gewalt an, nachdem sie erschöpft auf einer Wiese in tiefen Schlaf gefallen ist. (Da Ištar auch eine Kriegsgöttin ist, jagt und tötet sie den Übeltäter in der Folge.)

Es wäre allerdings falsch, Ištar auf das Sexuelle zu beschränken. Denn andererseits kommt auch der Liebe der Göttin zu ihrer Familie eine große Bedeutung zu, wobei auch ihr Verhältnis zu ihrem Gatten keineswegs nur sexueller Natur ist, sondern ebenso von zwischenmenschlicher Zuneigung geprägt ist.

Ištar und die Tempelprostitution

Ausgehend von einer Stelle bei Herodot (Historien, 1,199) kursierte in der Forschung lange die Vorstellung, dass es in Mesopotamien Tempelprostitution gegeben habe, in deren Rahmen sich Frauen in Heiligtümern zum Kauf angeboten hätten, um dann den Erlös der Göttin zu spenden. Da es sich bei Ištar um eine Liebesgöttin handelt, wurde sie in ganz besonderem Maß mit Tempelprostitution in Verbindung gebracht.

Tatsächlich gibt es aber keine einzige mesopotamische Quelle, die eine solche Praxis bezeugt, was in Kombination mit weiteren Überlegungen dazu geführt hat, dass ein Großteil der Forschung heutzutage davon ausgeht, dass es keine Tempelprostitution in Mesopotamien gegeben hat oder Vorstellungen davon zumindest stark übertrieben sind.

Aufgrund der älteren Vorstellung von Ištars Verbindung zu Tempelprostitution finden sich auch in der modernen Populärkultur immer wieder diverse Anspielungen darauf.

Hierogamie – die heilige Hochzeit

Ein weiterer Punkt, der Ištar ein etwas „schlüpfriges“ Image beschert hat, ist die Hierogamie. Hierbei handelt es sich um eine Hochzeit, bei der eine Gottheit eine andere Gottheit oder aber eine menschliche Person heiratet, was sich in diesem Fall auf die Göttin Ištar und den gerade regierenden König bezieht. Zur Diskussion steht in diesem Kontext, ob eine Priesterin der Ištar oder eine Statue der Göttin während bestimmter religiöser Rituale „heiligen“ Geschlechtsverkehr mit dem König hatte.

Auch hier ist es nicht unwahrscheinlich, dass der älteren Forschung aufgrund der Thematik ein wenig die Fantasie durchgegangen ist. Denn ein solcher sexueller Akt während eines Rituals geht nicht eindeutig aus den Quellen hervor. Aus den literarischen Zeugnissen ergibt sich tatsächlich ein inniges und durchaus auch sexuelles Verhältnis zwischen Göttin und König und vielleicht wurde dies in frühester Zeit durchaus real im Tempel symbolisch nachgespielt. Als dauerhaftes Ritual gilt diese Vorstellung heute allerdings aufgrund der unzureichenden Quellenlage als unwahrscheinlich.

Das Geschlecht der Ištar

Aufgrund ihrer sehr komplexen Charakterisierung und des Umstands, dass sie auch eine Kriegsgöttin ist, hat die Forschung gelegentlich abgeleitet, dass es sich bei Ištar um eine Figur handele, deren biologisches Geschlecht mit einer gewissen Uneindeutigkeit verbunden sei.

Tatsächlich geht dies nicht zwingend aus den literarischen Quellen hervor. Stattdessen preisen die mesopotamischen Zeugnisse die Schönheit ihrer Brüste und auch ihre Vulva. Vereinzelte bildlichen Darstellungen zeigen sie allerdings im Kriegseinsatz durchaus mit Bart bzw. allgemein männlich, wobei der Bart auch für Weisheit stehen kann.

Auch wenn der Sachverhalt alles andere als leicht zu deuten ist, ist wohl davon auszugehen, dass sich die Menschen des damaligen Mesopotamiens Ištar im biologischen Sinne als Frau vorstellten, die aber im Kriegseinsatz durchaus über „männliche“ Qualitäten verfügte.

Als Göttin verfügte sie aber über die Macht, das Geschlecht der Menschen zu ändern und bei religiösen Feierlichkeiten zu ihren Ehren kam Crossdressing vor, also das Tragen von Kleidung, die gewöhnlich vom anderen biologischen Geschlecht getragen wird. Auch stehen kultische Kastrationen zur Diskussion. All dies könnte sinnbildlich für Ištars Macht stehen, die Schicksale der Menschen zu verändern, wobei sie auch immer wieder als eine Person in Erscheinung tritt, die plötzliche Wechsel des persönlichen Status bewirken kann.

Recht und kosmische Ordnung

Ištar hat ein feines Gespür in Bezug auf Gerechtigkeit sowie das Aufrechterhalten der kosmischen Ordnung und trägt aktiv dazu bei, das Recht und Ordnung gewahrt bleiben. In diesen Kontext ist auch ihre Fähigkeit einzuordnen, Schicksale festzulegen.

Allerdings ist es gar nicht mal selten Ištar selbst, die für Unordnung sorgt, versucht sie doch wiederholt die Einflussbereiche anderer Gottheiten zu übernehmen.

Was Strafen angeht, kann sie Milde zeigen. So erlaubt sie etwa, dass der Name des Gärtners Shukaletuda (s.o.) nicht ausgelöscht wird, sondern in Liedern und Geschichten weiterleben darf.

Ištar und der König

Während Ištars Beziehungen zu anderen Gottheiten immer eher zu ihren Gunsten ausfallen, ist ihr Verhältnis zum menschlichen König von wesentlich ausgeglichener Natur. Hier fungiert sie als göttliche Gattin des Königs, was teilweise auch mit einer Rolle als Geliebte, Schwester und Mutter verbunden ist. So schlüpft der König im Verhältnis zu Ištar teilweise in die Rolle ihres Gemahls, Tammuz, teilweise aber auch in die ihres Zwillingsbruders Utu.

Der König ehrt die Göttin mit Feierlichkeiten, Geschenken, (sexueller) Intimität und Zuneigung. Im Gegenzug schenkt Ištar dem Herrscher ein gutes Schicksal sowie ein langes Leben und unterstützt ihn in der Rechtsprechung, beim Regieren und auf dem Schlachtfeld (s.u.). Über den König gelangen die Wohltaten der Göttin zum Volk. Er ist ein von ihr erwählter Schäfer, dessen Aufgabe es ist, gut und gerecht über seine Untertanen zu herrschen. Im Epos kommt es vor, dass die Könige verschiedener mesopotamischer Städte um die Gunst der Göttin konkurrieren.

Außerdem setzt Ištar sich bei den anderen Gottheiten für den König ein. Natürlich steht er auch selbst mit anderen Gottheiten in Verbindung, doch ist keine andere Beziehung so eng wie die zu Ištar.

Ištar als Kriegsgöttin

Wie manch andere Gottheiten, die mit Regen und Sturm verbunden sind, ist auch Ištar eine Kriegsgöttin, wobei die Forschung regelmäßig auf die akustische Ähnlichkeit zwischen Donner und dem Geräusch, das mesopotamische Streitwagen bei der Fahrt erzeugten, verweisen.

Da die Göttin das Schicksal einzelner Personen festlegen kann, obliegt es ihr zu entscheiden, welcher Heerführer in einer Schlacht siegreich ist. Gleichzeitig kann sie die Gegner schwächen, Heerführer ineffizient werden lassen und die Feinde letztlich vernichten.

Als mächtige Kriegerin kann sie in Rage und Blutrausch verfallen, Ländereien unterwerfen und ganze Städte vernichten. Indem sie mit einer Art Sprungseil um sich schlägt, bringt sie ihre Gegner in Verwirrung. 

Ihr Sohn Lulal begleitet sie gelegentlich auf dem Schlachtfeld. Den König hält sie in der Schlacht im Arm wie ein Kind und schützt ihn mit ihrer Brust.

Ištar und Gilgamesch

Da Ištar ein enges Verhältnis zum König pflegt und außerdem die Schutzpatronin der Stadt Ur ist, erscheint es auf den ersten Blick etwas überraschend, dass sie ausgerechnet mit dem berühmtesten König der Stadt so ihre Schwierigkeiten hat: Gilgamesch.

Im Gilgamesch-Epos beobachtet die Göttin den König nämlich beim Baden und schlägt ihm daraufhin vor zu heiraten. Gilgamesch lehnt den Antrag auf äußerst uncharmante Art und Weise ab. Aus Wut hetzt Ištar daraufhin den Himmelsstier auf den König, doch gelingt es diesem gemeinsam mit seinem Freund Enkidu, das himmlische Wesen zu besiegen.

Mit anderen Helden versteht sich die Göttin gut, was jenseits des nach ihm benannten Epos übrigens auch für Gilgamesch gilt.

Rache & Tod

Wenn Ištar in Wut entbrennt, kennt ihre Rachsucht kein Maß, was für die Ziele ihres Zorns in der Regel tödlich endet. So ist die Göttin in einer Erzählung der Meinung, ein Berg habe ihr nicht den gebührenden Respekt entgegengebracht, was dazu führt, dass sie zum Kampf rüstet und den Berg vernichtet. Dennoch dient ihre Rache oft der Wiederherstellung der gegebenen Ordnung.

Was den Tod angeht, steht die Göttin für ein angemessenes Trauerverhalten und findet dementsprechend in zahlreichen Klagegesängen Erwähnung. Auch sorgt sie dafür, dass die Verstorbenen sicher ins Totenreich gelangen. Außerdem verfügt sie über die Macht, Tote zum Leben zu erwecken. Ganz konkret droht sie im Gilgamesch-Epos, die Toten zu erwecken, damit sie die Lebenden verschlingen:

Schaffst Du mir aber den Himmelsstier nicht, So zerschlag ich die Türen zur Unterwelt, Zerschmeiß ich die Pfosten, laß die Tore weit offenstehn, Laß ich auferstehn die Toten, daß sie fressen die Lebenden, Der Toten werden mehr sein als der Lebendigen!6 

Das Gilgamesch-Epos, Tafel 6 Verse 96-100 (Übersetzung Albert Schott, Reclam 1994)

In umgekehrter Intention rufen die Menschen sie an, damit Ištar ihnen Geister vom Leib halte.

Ištar als Heilerin

Ištar schenkt nicht nur dem König Gesundheit und langes Leben, sondern wird auch von den Müttern des einfachen Volkes zum Schutz kranker Kinder angerufen. Aufgrund ihrer Funktion als Liebesgöttin ist es naheliegend, dass sich oft auch bei Impotenz hinzugezogen wird.

Power-Dressing

Bei zahlreichen Anlässen unterstreicht sie ihren Status und ihre ausgesprochene Schönheit, indem sie sich eindrucksvoll einkleidet, Schmuck (u.a. Lapislazuli) anlegt und sich schminkt und frisiert. Zuvor nimmt sie oft ein Bad und reibt ihren Körper mit Ölen ein.

Ištar-Expertin Louise M. Pryke formuliert es sehr schön, wenn sie schreibt:

Much as a male warrior may put on a breast plate before going into battle, Ishtar adorns her eyes with mascara.7

Die literarischen Zeugnisse

Die ältesten Gedichte, die Ištar bzw. Inanna thematisieren, stammen von der Priesterin und Königstochter Enheduanna (um 2.300 v.Chr.), bei der es sich weltweit um die erste Person überhaupt handelt, der wir konkrete Texte zuordnen können. Weitere literarische Zeugnisse umfassen besonders das Gilgamesch-Epos und den Mythos von Inannas Abstieg in die Unterwelt. Hinzu kommen Hymnen an die Göttin, königliche Inschriften, Klagelieder, Gesetzestexte, Sprichwörter, Gedichte und weitere Mythen.

Bildliche Darstellungen

Wohl wegen des Mythos, der ihren Abstieg in die Unterwelt thematisiert, finden sich Darstellungen der Ištar häufig im Kontext von Bestattungen. Gerne wird sie mit einem Köcher bzw. bewaffnet dargestellt. Ihr Symboltier ist der Löwe, der dementsprechend oft neben oder unter ihr in Erscheinung tritt. Manche Darstellungen zeigen sie mit einem Skorpion, was auf eine Erzählung über einen Kampf der Göttin gegen einen Riesenskorpion anspielen dürfte. Auch wird sie manchmal mit einer Eule dargestellt.

Außerdem sehen wir sie oft als achteckigen Stern, regelmäßig in Kombination mit einer Sonnenscheibe oder einer Mondsichel, die ihren Bruder, den Sonnengott Shamash (Utu), bzw. ihren Vater, den Mondgott Sin (Nanna) repräsentieren. Dies hängt damit zusammen, dass Ištar mit dem Planeten Venus gleichgesetzt wird.

Wenn Ištar in menschlicher Gestalt auftritt, trägt sie gerne Ketten, Bänder oder Reife um ihren Hals sowie Ohrringe, und Armreifen. Gelegentlich ist sie mit Flügeln oder einer gehörnten Krone versehen. In erotischen Bildnissen befindet sie sich mit ihrem Geliebten Dumuzi (Tammuz) im Bett. 

Schließlich ist Ištar noch gemeinsam mit dem mesopotamischen König sowie bei Ritualen und Zeremonien zu sehen.

Das Nachleben der Göttin

a) Allgemein

Nachdem sie für mehrere Jahrtausende die bedeutendste Göttin des mesopotamischen Pantheons gewesen war, geriet Ištar irgendwann in Vergessenheit, wobei sich jedoch manche der Aspekte, die mit ihr verbunden werden, bei späteren Göttinnen wie Aphrodite wiederfinden lassen.

Erst durch die zunehmende Beschäftigung mit den Sprachen und Kulturen des Alten Orients rückte die Göttin in der Neuzeit wieder in das Bewusstsein der Forschung und somit auch in dasjenige einer interessierten Öffentlichkeit. Leider lag der Fokus dabei aber lange auf sexuellen Themen. Besonders die aus heutiger Sicht sehr problematischen Vorstellungen von Tempelprostitution und „heiliger Ehe“ erwiesen sich als äußerst prägend. Erst in der neueren Forschung gelingt es zunehmend, Ištar wieder in ihrer gesamten Komplexität zu betrachten.

Aufgrund des hohen Alters der Göttin und ihrer enormen Bedeutung in den mesopotamischen Kulturen kann es nicht überraschen, dass auch der Feminismus Ištar für sich entdeckt hat, so zum Beispiel bereits Simone de Beauvoir in ihrem Klassiker Le Deuxième Sexe („Das zweite Geschlecht“) aus dem Jahr 1949.

b) In der Popkultur

Doch auch in die moderne Popkultur hat die Gottheit Einzug gehalten. Es gibt beispielsweise eine Oper (Symphony Ishtar), einen Film Ishtar (1987) mit Dustin Hoffman und Warren Beatty sowie das Lied Ishtar Rising der Metalband Soulfly. Bei der Halbzeitshow des Super Bowl von 2012 trat Superstar Madonna in einem Kostüm auf, das stark an Ištar erinnert.

Umgekehrt verhält es sich bei Neil Gaimans Comic Sand Man: Brief Lives von 1994, in dem Ištar als Stripperin arbeitet und zu Madonnas Like a Virgin tanzt.8 Mehrere Romane von Richard Adams bezeugen eine Auseinandersetzung des Autors mit mesopotamischen Mythen, wobei der Fantasy-Roman Maia (1984) auf die Heilige Hochzeit anzuspielen scheint. In Robert A. Heinleins Buch Time enough for Love (1973) geht es um eine Wissenschaftlerin, die von einem Liebhaber den Spitznamen Ištar verliehen bekommt und deren Forschung um Verjüngung und die Verlängerung von Leben kreisen.

Ištar kommt in Comic-Form bei Marvel und DC vor und außerdem auch – gespielt von Jolene Blalock – in zwei Folgen der Fernsehserie Stargate SG-1 (1997-2007). Auch im Film Year One (2009) begegnen wir einem Charakter namens Inanna (Olivia Wilde), der eindeutig durch Ištar inspiriert ist, wobei auch der Charakter Inara der Serie Firefly (2002) auf den sumerischen Namen der Göttin anspielen könnte, da es sich bei ihr um eine Begleitdame von hohem gesellschaftlichem Rang handelt.

Weitere Ištar-Bezüge finden sich bei Buffy the Vampire-Slayer (1997-2003) und Hercules, the legendary Journeys (1995-1999). Schließlich sei noch der Splatterfilm Blood Feast aus dem Jahr 1963 als Beispiel für das Horror-Genre genannt.

(Hier geht es direkt zu den Werken der Phantastik, deren Ištar-Rezeption wir auf fantastischeantike.de bereits untersucht haben.)

Fazit

Wie sich zeigt, handelt es sich bei Ištar um eine äußerst komplexe Göttin, die für ausgesprochen lange Zeit zu den bedeutendsten Gottheiten Mesopotamiens zählte. 

Einerseits ist es schade, dass die moderne Populärkultur der älteren Forschung folgend in ihrer Ištar-Rezeption den Fokus ganz klar auf ausschweifende Sexualität legte. Vermutlich ist diese mit überholten Vorstellungen verbundene Reduzierung auf das Sexuelle aber der entscheidende Punkt, der es der Göttin überhaupt erst ermöglichte, in die Populärkultur einzuziehen und dadurch vor dem öffentlichen Vergessen bewahrt zu werden.

Insofern bleibt zu hoffen, dass zukünftige popkulturelle Werke Ištar komplexer und dementsprechend treffender charakterisieren, und dadurch mittel- bis langfristig ältere Vorstellungen korrigieren. Eine solche Entwicklung zeichnet sich bereits ab, was sich z.B. daran zeigt, dass Ištar in neueren Comics öfters mit Plünderungen und der Zerstörung von archäologischen Artefakten und Städten des Alten Orients konfrontiert wird.9.

Ištar louise m. pryke
Louise M. PryKe: Ishtar (Foto: Michael Kleu)

Louise M. Pryke: Ishtar, London/New York 2017.

Michael Kleu
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Anmerkungen

  1. In Uruk finden sich bereits im ausgehenden 4. Jahrtausend v.Chr. Zeugnisse ihrer Verehrung.
  2. So verehrten etwa die Einwohnerschaften der Städte Babylon, Ninive und Arbela alle jeweils eigene Varianten der Göttin Ištar.
  3. Die Vereinheitlichung der Namen führt gelegentlich dazu, dass ich von Ištar spreche, obwohl im jeweiligen Mythos eigentlich explizit von Inanna die Rede ist.
  4. Als Pantheon bezeichnet man die Gesamtheit der Gottheiten einer Religion. Alternativ kann auch ein Tempel gemeint sein, der der Verehrung sämtlicher Gottheiten dient.
  5. Zu den bedeutendsten dieser anderen Gottheiten zählen: Anu (An), Enlil, Ea (Enki), Sin (Nanna), Shamash (Utu), Adad, Ninurta, Nergal, Nabu (Nisaba), Marduk und Assur. Was weitere (niedere) Göttinnen und Götter angeht, sind uns mehr als 3.000 Namen überliefert.
  6. Eine sehr ähnliche Drohung spricht im Mythos von Nergal und Ereškiga Ištars Schwester Ereškigal aus, die ja die Herrin über das Totenreich ist.
  7. Louise M. Pryke: Ishtar, London/New York 2017, S. 106.
  8. Der Tanz ist anders als andere Tänze Ištars nicht zu sehen, sondern es wird rückblickend über ihn gesprochen.
  9. Vgl. hierzu Louise M. Pryke: From Cuneiform to Comic Books: The Reception of Mesopotamian Literature in
    Modern Fantasy, in: Michael Kleu (Hg.): Antikenrezeption in der Fantasy, Essen 2020, S. 261-279, hier S. 272-276.

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