Theseus und der Entotaurus

Viele Erzählungen der griechischen Mythologie sind mit Thematiken verbunden, die wir jüngeren Leser*innen lieber nicht zumuten möchten. So kommt es immer wieder zu sexueller Gewalt und vielen anderen schrecklichen Dingen, die sicherlich nicht für ein junges Publikum geeignet sind. Daher versteht es sich von selbst, dass moderne Darstellungen griechischer Mythen ihren Stoff zwangsläufig ein wenig inhaltlich anpassen müssen, wenn die jeweilige Erzählung für Kinder gedacht ist.

Ein interessantes Beispiel bietet in diesem Kontext das Comic Theseus und der Entotaurus, das – wie der Titel schon nahelegt – aus dem Hause Disney stammt.1 Bekanntlich beinhaltet das Ursprungsmaterial um Theseus und den Minotaurus Aspekte wie Menschenopfer und einen Sexualkontakt zwischen einer menschlichen Königin und einem Stier, sodass von vorneherein von größeren Änderungen der Handlung auszugehen ist, wenn es um eine Disney-Geschichte mit dem Personal aus Entenhausen geht.

Werfen wir also einen Blick auf Theseus und der Entosaurus!

[Wenn Ihr die Originalerzählung um Theseus und den Minotauros gerade nicht mehr präsent habt, könnt Ihr sie hier noch einmal nachlesen.]

Zusammenfassung der Handlung

Seit Kindheitstagen sind Minos, der König von Kreta, und Ägeus, der König von Athen, erbitterte Rivalen, was mit zunehmendem Alter keineswegs besser wird. So beauftragt König Minos den Erfinder Dädalus, ihm etwas Grandioses zu entwerfen, was König Ägeus vor Neid erblassen lassen wird. Die Wahl fällt auf ein gewaltiges Labyrinth.

Da sich der Athener Ägeus weigert, der Einladung zu den Einweihungsfeierlichkeiten zu folgen, reisen stattdessen seine Neffen Tick, Trick und Track sowie deren Cousin Theseus nach Kreta, wo sie auf die Prinzessin Ariadne und deren Nichten Dicky, Dacky und Ducky treffen. Zum Unmut mancher Besucher darf das Labyrinth nicht betreten werden. Offiziell hat dies ein Stiergott verboten, dem der Irrgarten geweiht ist. De facto war bei der Errichtung des Monuments aber schlicht und einfach kein Geld mehr für einen Ausgang übrig.

Das Labyrinth als Event
Das Labyrinth als Event (Theseus und Entotaurus, S. 14)

Umso überraschter sind alle, als des Nachts Schreie aus dem Labyrinth nach draußen dringen! Ein äußerst hungriger Entotaurus hat sich in dem Monument eingenistet und fordert lautstark Nahrung. Doch kehrt keiner der Diener, die dem Monster Essen bringen, wieder zurück, während der Hunger des Wesens unerschöpflich zu sein scheint.

Nachdem auch ihre jeweiligen Nichten und Cousins im Labyrinth verschollen sind, nehmen sich Ariadne und Theseus der Sache an, wobei sie natürlich einen Wollfaden nutzen, um nicht auch selbst dem Irrgarten zum Opfer zu fallen. Es stellt sich heraus, dass König Ägeus sich heimlich nach Kreta begeben hat, um mit einer Stiermaske verkleidet für ein wenig Unruhe zu sorgen. Doch dann fand er den Ausgang nicht mehr und bekam auch die Maske nicht mehr von seinem Kopf. Keiner der verschollenen Personen ist etwas zugestoßen, sie haben nur mit dem Entotaurus bzw. Ägeus zusammen im Labyrinth gefeiert.

Theseus, Ariadne und der Faden
Theseus, Ariadne und der Faden (Theseus und der Entotaurus, S. 29)

Die Macht der Bilder

Theseus und der Entotaurus besticht durch seine großartigen Bilder, die einerseits wirklich toll aussehen, andererseits aber auch zeigen, dass sich die Schöpfer*innen des Comics durchaus ein paar Gedanken gemacht haben. So orientiert sich die Darstellung der Stadt Knossos klar an den archäologischen Zeugnissen, was sich nicht zuletzt an den immer wieder gezeigten charakteristischen roten Säulen zeigt.

König Minos Delphin-Fresko
König Minos vor dem Delphin-Fresko und neben roten Säulen (Theseus und der Entotaurus, S. 3)

Aber auch im Detail verbergen sich im Comic ein paar spannende Anspielungen auf die reale minoische Kultur. An einer Wand präsentiert uns der Comic etwa eine Darstellung von Männern, die in Längsrichtung über einen Stier springen, während wir hinter dem königlichen Thron des Minos ein Delphin-Fresko entdecken. Beides kennen wir natürlich ebenso aus dem minoischen Kreta wie auch die Kleidung und die Frisuren der Frauen, die Souvenirs an einem Marktstand, die Gestaltung der Türdurchgänge sowie die häufig gezeigten Doppelflöten.

Stiersprung
Theseus und Ariadne tanzen vor einer bildlichen Darstellung des Stiersprungs (Theseus und der Entotaurus, S. 19)

Anfangs weiß der Erfinder Dädalus übrigens nicht so recht, welches spektakuläre Monument seinen Herren Minos zufriedenstellen könnte. So denkt er dann auch über bildlich gezeigte Bauwerke nach, die ganz klar auf die Pyramiden, den Koloss von Rhodos sowie auf den Turm zu Babel anspielen.

Fazit: Theseus und der Entosaurus

Der Verlag Egmont Bäng empfiehlt Theseus und der Entosaurus für Kinder ab 4 Jahren. Insofern ist die Story jetzt natürlich nicht weltbewegend, aber durchaus charmant-amüsant. Wirklich toll sind aber ohne jeden Zweifel die Bilder, die diverse Aspekte der minoischen Kultur aufgreifen und wunderschön wiedergeben.

Optimal wäre sicherlich gewesen, wenn sich der Verlag dazu entschieden hätte, in einem kleinen Anhang auf die realen Vorlagen einzugehen, weil es sich hier ja um Details handelt, die nur der Teil der Leserschaft zu schätzen weiß, der schon vor der Lektüre eine Grundvorstellung von der minoischen Kultur mitbringt. Ich glaube, dass sich hier Chancen verbergen, die manchen Comic-Verlagen noch gar nicht so bewusst sind.2

Wie dem auch sei: Aus Sicht der Antikenrezeption macht Theseus und der Entosaurus richtig Spaß!

Theseus und der Entotaurus
Das Titelbild von „Theseus und der Entotaurus“ vor graphischen Gestaltung des Einbands (Fotomontage: Michael Kleu)
Michael Kleu

Anmerkungen

  1. Der Text stammt von Lorenza Cingoli und Martina Forti, während Gonzalo Kenny die Illustrationen beigesteuert hat.
  2. Es gibt durchaus auch Comic-Bände, die ihrer Leserschaft solche Hintergrundinformationen bieten, wie z.B. The Rise and Fall of the Trigan Empire oder Walhalla.

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