Joseph Campbell und die Heldenreise
Als der Literaturprofessor Joseph Campbell (1904-1987) im Jahr 1949 ein Buch mit dem Titel The Hero With a Thousand Faces veröffentlichte, kann er kaum abgesehen haben, wie prägend dieses Werk für zahlreiche Autor*innen jeder Form von Popkultur werden würde, wobei es seiner Popularität sicherlich nicht schadete, dass ein gewisser George Lucas öffentlich bestätigte, sich bei der Erzählstruktur von Star Wars an Campbells Ideen – genaugenommen an seiner Heldenreise – orientiert zu haben.
Diese Heldenreise basierte auf einem Vergleich zahlreicher Mythologien, in denen Campbell immer wiederkehrende Kernelelemente der typischen Entwicklung eines Helden oder einer Heldin zu erkennen glaubte. Und weil George Lucas sich eben an dieser Heldenreise orientierte, ist es heute gang und gäbe, Campbells Modell an der Entwicklung Luke Skywalkers zu erläutern.1
Werfen wir also einen genaueren Blick auf Jospeh Campbells The Hero With A Thousand Faces und die damit verbundene Heldenreise, wobei die folgenden Überschriften denen im Buch entsprechen, worauf dann eine knappe Zusammenfassung des jeweiligen Kapitels folgt.
Prolog: Der Monomythos
Dem eigentlichen Werk ist ein alles andere als leicht zu verstehender Prolog vorangestellt, der die Leserschaft über verschiedene Stufen zum Monomythos führen soll. Da Campbell es nicht explizit sagt, sondern den von James Joyce geprägten Begriff scheinbar als bekannt voraussetzt, sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass mit Monomythos die archetypische Grundstruktur einer klassischen Heldenreise gemeint ist, also ein grobes Gerüst, das weltweit in zahlreichen Geschichten immer wieder in Erscheinung tritt und dem daher eine größere Bedeutung beigemessen wird.
Mythos und Traum
Der Beginn des Buchs zeigt deutlich, wie immens Campbells Vorstellungen vom Mythos von Sigmund Freud, Carl Gustav Jung und der Psychoanalyse geprägt sind. Im Grunde geht es darum, dass der Mythos wie der Traum durch Symbolik verschleierte Wahrheiten überliefert, die erst nach ihrer Entschlüsselung verstanden werden können. Außerdem durchlaufe der Mensch in seinem Leben diverse Abschnitte oder Phasen, die in manchen Gesellschaften von symbolreichen Initiations- und Übergangsriten begleitet werden.
Campbells weitere Gedanken kreisen um den kretischen König Minos, den Minotauros und den Helden Theseus. Von hier geht es weiter zu den Überlegungen des Geschichtsphilosophen Arnold J. Toynbee und dessen Ideen zu Ursprung, Aufstieg, Wandel und Untergang von Kulturen, da der Mythos um Theseus den Übergang von der Dominanz der älteren minoischen zur jüngeren griechischen Kultur widerspiegele.
Die Aufgabe eines Helden bzw. einer Heldin – Campbell spricht explizit beide Möglichkeiten an –2 liegt darin, im Rahmen eines Abenteuers seine eigene historische Limitiertheit bzw. diejenige seiner Herkunftskultur zu durchbrechen, im übertragenen Sinne neugeboren zu werden und dann wieder nachhause zurückzukehren, um das auf der Heldenreise Gelernte weiterzugeben, was auch damit verbunden sein kann, neue Ideen oder Erfindungen einzuführen.
Tragödie und Komödie
Campbell weist in diesem Unterkapitel darauf hin, dass das Märchen und der Mythos ein Happy End kennen, obwohl uns unsere Lebenserfahrung zeigt, dass glückliche Ausgänge keineswegs die Regel sind. (Campbell scheint nicht zuletzt die Gräuel des Zweiten Weltkriegs im Kopf zu haben, da er kurz zuvor auf den Holocausts zu sprechen kommt.) Dementsprechend feiere die griechische Tragödie zurecht den Untergang, wobei Campbell in diesem Zusammenhang auch kurz auf die Bedeutung der Katharsis (Reinigung) zu sprechen kommt, also der Vorstellung, dass Menschen sich von ihrem eigenen psychischen Druck befreien können, indem sie im Rahmen einer Erzählung das Schicksal anderer Menschen verfolgen oder „mitfühlen“.
Eine solche Katharsis könne nur erfahren, wer den von der Tragödie repräsentierten Abstieg (kathodos) und den in der Komödie, dem Märchen sowie dem Mythos zu findenden Aufstieg (anodos) als zwei Seiten derselben Medaille begreift und dem oder der sich dadurch das Leben in seiner Ganzheit offenbart. In gewisser Weise sei es daher die Aufgabe des Mythos, den dunklen Pfad von der Tragödie zum glücklichen Ende der Komödie oder des Märchens wiederzugeben.
Held und Gottheit
In diesem Unterkapitel erklärt sich, weshalb Campbell zuvor den Übergangsriten eine größere Bedeutung beimaß. Denn nun sagt er, dass eine klassische Heldenreise im Wesentlichen Übergangsriten entspreche, bei denen es um Trennung, Initiation und Wiederkehr gehe.
Konkret heißt das, dass eine Heldin oder ein Held die Alltagswelt verlässt und in eine Welt übernatürlicher Wunder eintaucht, in der dann ein entscheidender Sieg über eine größere Macht gelingt, woraufhin die heldenhafte Person nachhause zurückkehrt und eine gewisse Form von Segen über ihre ursprüngliche Gemeinschaft bringt.
Campbell verdeutlicht diese Überlegungen im Folgenden an den Beispielen Prometheus, Jason, Aeneas, Gautama Buddha und Moses, um dann die Stationen der Heldenreise vorzustellen, die er in drei größere Bereiche unterteilt, die ihrerseits wieder in Unterkategorien gegliedert sind:
1. Trennung oder Abreise
- „Der Ruf zum Abenteuer“ oder Zeichen der Berufung
- „Die Ablehnung des Rufs“ oder die Torheit, vor einer Gottheit zu fliehen
- „Übernatürliche Hilfe“ (unerwartete Hilfe nach Annahme des Abenteuers)
- „Das Überqueren der ersten Schwelle“
- „Im Bauch des Wals“ oder die Reise ins Reich der Nacht
2. Herausforderungen und Siege im Rahmen der Inititiation
- „Der Pfad der Prüfungen“ oder die gefährliche Seite der Gottheiten
- „Das Treffen mit der Göttin (Magna Mater)“ oder die Rückgewinnung des Segens der Unschuld
- „Die Frau als Verführerin“ oder die Erkenntnis und die Qual des Ödipus
- „Die Versöhnung mit dem Vater“
- „Apotheose“ (Vergöttlichung)
- Der ultimative Segen
3. Die Rückkehr und die Wiedereingliederung in die Gesellschaft
- „Die Verweigerung der Rückkehr“ oder die abgelehnte Welt
- „Die magische Flucht“ oder die Flucht des Prometheus
- „Rettung von außen“
- „Das Überqueren der Schwelle nachhause“ oder die Rückkehr in die Alltagswelt
- „Meister der zwei Welten“
- „Freiheit zu leben“ oder die Natur und Funktion des ultimativen Segens
(Im weiter unten vorgestellten Kapitel „Teil 1: Das Abenteuer des Helden“ führt Campbell die hier aufgelisteten Punkte ausführlicher aus.)
Der zusammengesetzte Held des Monomythos
Im Folgenden skizziert Campbell einige typische Unterschiede in der Heldenreise, die vom Kontext der Erzählung abhängen. So sind Held*innen im Märchen in der Regel mit kleineren lokalen Aufgaben konfrontiert, während sie im Mythos oder in religiösen Vorstellungen oft die gesamte Menschheit retten müssen. Während es in vielen Geschichten um körperliche Heldentaten wie Zweikämpfe oder Wettkämpfe geht, rücken religiöse Erzählungen gerne moralische Aspekte in den Vordergrund. Oft stellt sich am Ende heraus, dass die Held*innen und das Göttliche bzw. die Suchenden und das Gesuchte zwei Seiten derselben Medaille repräsentieren.
Der Nabel der Welt
Eine erfolgreiche Heldenreise führt zu einer Rückkehr von Leben in die Welt, was z.B. durch die Beschaffung von Nahrungsmitteln, das Heraufbeschwören von Regen oder göttliche Gunst repräsentiert werden kann. Oft geht es dabei auch um einen Nabel der Welt oder ein Zentrum des Kosmos, von dem die betreffende Energie stammt oder bei dem es sich um den Ursprung von allem handelt. Dies kann etwa ein bestimmter Berg, ein Baum, ein bestimmtes Wesen oder aber auch – als Reinkarnation einer Gottheit – der Held selbst sein. Ein solcher Nabel der Welt steht für die fortwährende Schöpfung und die Erhaltung der Welt.
Teil 1: Das Abenteuer des Helden
Nach diesem alles andere als leicht zu verstehenden Prolog begeben wir uns ab Seite 41 endlich auf die Heldenreise, die Campbell in drei Abschnitte unterteilt: Abreise, Initiation, und Rückkehr.
Die Abreise
Der Ruf des Abenteuers
Die Heldenreise hat wie jede Reise einen Beginn. Nicht selten geschieht den Helden oder den Heldinnen ein Missgeschick, dass sie aus ihrem Alltagsleben reißt und in ein Abenteuer führt, wobei solche Missgeschicke laut Campbell, der diesbezüglich wieder Freud folgt, nicht zwingend aus einem Zufall heraus geschehen, sondern in Wahrheit auf unterdrückte Sehnsüchte oder innere Konflikte unserer Protagonist*innen hinweisen können.
Der Aufruf zum Abenteuer erfolgt oft durch einen Herald oder Reiseführer, der etwa in Form eines Tieres oder einer mysteriösen, gelegentlich Furcht einflößenden, aber dennoch unwiderstehlich faszinierenden Gestalt ausgeht. Der Ort des Aufrufs kann Bezüge zu den Orten aufweisen, die wir eingangs unter dem Punkt Der Nabel der Welt kennengelernt haben. Nach dem Ruf erscheint der gewöhnliche Alltag der Held*innen manchmal nur noch fade und leer.
Als Paradebeispiele für den Ruf des Abenteuers nennt Campbell in diesem Kontext das Märchen Der Froschkönig sowie die buddhistische Erzählung Die vier Ausfahrten Buddhas.
Die Ablehnung des Rufs
Gelegentlich sind die Held*innen zunächst nicht sonderlich begeistert von dem Gedanken, ihr vertrautes Umfeld zu verlassen, um ins Unbekannte zu ziehen oder sich großen Gefahren auszusetzen. Von der Psychoanalyse ausgehend sieht Campbell hier im übertragenen Sinn eine Weigerung des kindlichen Ichs erwachsen zu werden und die Sicherheiten der Kindheit loszulassen. Man könnte auch davon sprechen, dass die betreffenden Personen bildlich gesprochen nicht bereit sind, ein zweites Mal die Gebärmutter zu verlassen.
Doch laufen die potentiellen Held*innen Gefahr, durch ihre Verweigerung in schwierige Situationen zu geraten, aus denen sie sich oft nicht mehr selbst befreien können.
Übernatürliche Hilfe
Held*innen, die dem Ruf des Abenteuers sofort folgen, steht öfters eine alte Frau der ein alter Mann zur Seite. In manchen Erzählungen sind es ein Zauberer, die Gute Fee oder – im christlichen Kontext – eine Jungfrau. Oft versehen diese die Held*innen mit Ausrüstung, die ihnen auf ihrer Reise von Nutzen sein wird. Jede dieser Personen repräsentiert die gutmütige und schützende Macht des Schicksals.
Auch den Held*innen, die sich dem Ruf verweigern, kann eine solche Hilfe zuteilwerden. In manchen Fällen erfüllt sich ihr Schicksal nur, weil sie sich zuvor verweigert haben.
Das Überqueren der ersten Schwelle
Wenn die Held*innen ihre bisherige Heimat schließlich verlassen, begegnen sie beim Überqueren der ersten Schwelle gerne einem Wächter. Dieser kann durchaus tödlich sein, doch müssen die Held*innen ihn überwinden, um die Fesseln ihrer alten Existenz zu sprengen und ins Unbekannte ziehen zu können.
Eines der Beispiele, mit denen Campbell diesen Aspekt der Heldenreise erläutert, handelt vom Prinzen Fünfwaffe, einer früheren Inkarnation Buddhas, dem im Wald der Oger Klebehaar (Sticky Hair) begegnet. Fünfwaffe scheitert daran, diesen Wächter mit seinen Waffen zu besiegen, überwindet ihn letztlich jedoch dennoch aufgrund seiner inneren Stärke.
Im Bauch des Wals
In Geschichten, in denen die Held*innen nach dem Überqueren der ersten Schwelle – freiwillig oder unfreiwillig – von einem gewaltigen Tier wie einem Wal, einem Elefanten oder einem fiktiven Ungeheuer verschluckt werden, steht dies sinnbildlich für einen erneuten Aufenthalt in einer Gebärmutter und somit für die Wiedergeburt der betroffenen Person in einem neuen Kontext. Gelegentlich kann dies auch mit der symbolischen Selbstopferung einer Person zusammenhängen.
Herausforderungen und Siege im Rahmen der Initiation
Der Pfad der Prüfungen
Den folgenden Abschnitt, in dem es um das Bestehen von verschiedenen Prüfungen geht, bezeichnet Campbell als den beliebtesten Teil der Heldenreise. Als einführendes Beispiel verwendet er die Geschichte um Amor (Cupido) und Psyche, da er diese aufgrund der Umkehrung traditioneller Rollen für besonders charmant hält:
Denn hier geht es nicht um einen Mann, der eine Frau zu gewinnen versucht und daran von deren Vater gehindert wird, sondern um eine Königstochter (Psyche), die einen männlichen Gott (Amor) begehrt, während dessen Mutter (Aphrodite/Venus) die beiden Liebenden auseinanderzuhalten sucht. So stellt Aphrodite Psyche diverse tödliche Aufgaben, die diese jedoch jeweils mit übernatürlicher Hilfe zu bestehen versteht.
Es folgen Überlegungen zu verschiedenen schamanistischen Traditionen sowie eine Behandlung des sumerischen Mythos um die Göttin Inanna, der laut Campbell das älteste erhaltene Beispiel für derlei Prüfungen darstellt.
Nicht ganz einordnen kann ich in diesem Kontext mehrere aufgezeichnete Träume, deren symbolische Bedeutung erläutert wird, die mir jedoch in dieser Ausführlichkeit nicht so gut in dieses Kapitel zu passen scheinen.
Das Treffen mit der Göttin
Wenn alle Hindernisse überwunden sind, steht das größte aller Abenteuer vor der Tür: die symbolische mystische Hochzeit des männlichen Helden mit der Muttergöttin. In der Bildsprache der Mythologie repräsentiert die Frau die Summe allen Wissens, während die Helden ausziehen, um Wissen zu erlangen. Wer Zugriff auf das Wissen der göttlichen Königin der Erde erhält, versteht das Leben.
Je nachdem, auf welcher Stufe seiner persönlichen Entwicklung der Held gerade steht, erscheint die Muttergöttin in unterschiedlich angepasster Gestalt, wobei die Wissenden und das Wissen im Idealfall einander entsprechen. Der entscheidende Punkt ist dabei, dass sich der Held auf einer Entwicklungsstufe befindet, die es ihm ermöglicht, die sich ihm präsentierende Gestalt so anzunehmen, wie sie ist. Personen, die dazu nicht in der Lage sind, bleibt die symbolische Hochzeit verwehrt, was im Extremfall tödlich enden kann, was sich etwa an Aktaion zeigt, dem jungen Mann, der zufällig die Göttin Artemis und ihre Nymphen nackt sah, als er sie beim Baden überraschte.
Das Treffen mit der Göttin, von der sich gewissermaßen in jeder Frau ein Teil befindet, stellt jedenfalls die letzte große Herausforderung dar.
Handelt es sich um eine weibliche Heldin, kommt es zu einer Vereinigung mit einer männlichen Gottheit, wobei es auch hier passieren kann, dass die Heldin die Gottheit zunächst nicht erkennt oder ablehnt. So ist die Prinzessin aus dem Märchen Der Froschkönig nicht in der Lage, hinter das äußere Erscheinungsbild des Frosches zu blicken.
Die Verführerin
Nach der symbolischen Hochzeit mit der göttlichen Weltenkönigin rückt der männliche Held vom Sohn in die Rolle des Vaters auf.
In manchen Fällen führt die mystische Hochzeit und das damit verbundene Erlangen von Wissen dazu, dass sich der Held von Symbolen des Lebens – besonders in ihrer Personifikation als Frauen – lossagt. Gelegentlich hängt das mit größeren Problemen zusammen, wie beispielsweise dem Umstand, dass Ödipus realisiert, seine leibliche Mutter geheiratet zu haben.
Losgelöst von der symbolischen Hochzeit treten weibliche Verführerinnen grundsätzlich gerne in vielerlei Erzählungen auf, besonders zum Beispiel, wenn es um die Leben christlicher Heiliger geht.
Die Versöhnung mit dem Vater
Wiederum von der Psychoanalyse ausgehend setzt Campbell einen Konflikt mit dem Vater oder zumindest ein schwieriges Verhältnis voraus, während weibliche Figuren gerne Schutz gewähren und Zuversicht sowie Hoffnung vermitteln. Weil die mächtige Vatergestalt zu unberechenbar erscheint, verlassen sich junge Helden lieber auf mütterliche Ansprechpartner, nur um im Laufe ihrer Heldenreise zu verstehen, dass Vater und Mutter einander widerspiegeln und letztlich im Wesentlichen zwei Seiten derselben Medaille sind.
Um zu verdeutlichen, dass eine gewisse väterliche Strenge durchaus sinnvoll sein kann, bzw. große Gefahren davon ausgehen können, wenn junge Menschen unvorbereitet die Aufgaben Erwachsener übernehmen, führt Campbell die Geschichte des Phaethon an. Indem dieser seinen Vater Helios dazu brachte, ihn trotz fehlender Ausbildung für einen Tag lang den Sonnenwagen lenken zu lassen, stürzte die Welt ins Chaos und konnte nur durch das Eingreifen des Zeus und den Tod des Phaethon gerettet werden.
Wenn der Sohn im Rahmen seiner Heldenreise selbst in die Vaterrolle schlüpft, kann es trotz grundsätzlicher Akzeptanz zu Rivalitäten kommen. Ebenso verhält es sich bei der Mutter und der Tochter.
Die Apotheose
Wenn menschliche Held*innen die letzten Schrecken der Unwissenheit hinter sich gebracht haben, können sie einen Zustand der Göttlichkeit erreichen. In diesem Kontext macht sich Campbell einige Gedanken über Gottheiten, die sowohl männlich als auch weiblich sind, bevor er erläutert, dass der göttliche Held – z.B. ein Buddha – die Grenzen seiner ursprünglichen Gemeinschaft, Kultur oder Nation sprengt und für das Wohlergehen der gesamten Menschheit verantwortlich ist. Dabei stellt sich letztlich heraus, dass jeder Mensch eins ist mit dem androgynen Göttlichen, auch die Gegner, die es auf der Heldenreise zu bezwingen gilt.
Es folgen längere Ausführungen über Buddhismus, Hinduismus und Taoismus.
Der ultimative Segen
Die Gottheiten sind Verkörperungen und Wächter des Elixiers ewigen Lebens. Daher suchen die Held*innen letztlich nicht nach den Gottheiten selbst, sondern nach der Substanz, auf der ihre Macht beruht. Die Namen und Formen der Gottheiten, die diese pure Lebensenergie repräsentieren oder verkörpern, kommen und gehen, die wundersame Energiesubstanz bleibt und kann sich etwa in den Blitzen und Donnern des Zeus oder im fruchtbaren Regen des südamerikanischen Schöpfergotts Viracocha manifestieren.
Als Paradebeispiel nennet Campbell in diesem Kontext die Heldenreise des Gilgamesch, der sich auf der Suche nach der Pflanze der ewigen Jugend befindet, ihrer dann auch tatsächlich habhaft wird, bevor er sie am Ende doch noch verliert.
Nicht immer verhalten sich die Gottheiten in solchen Erzählungen wohlwollend und stellen das Gesuchte freiwillig zur Verfügung. So bleibt Prometheus nichts anderes übrig, als das Feuer, das er den Menschen geben will, von Zeus zu stehlen.
Die Rückkehr
Die Verweigerung der Rückkehr
In den meisten Erzählungen schließt sich am Ende der Kreis, indem die Held*innen mit ihrer Beute – z.B. das Goldene Vlies oder die Runen der Weisheit – wieder in ihre Heimat zurückkehren und die Ursprungsgesellschaft in irgendeiner Form von dem gewonnen Artefakt profitiert.
Doch gibt es auch immer wieder Geschichten, in denen die Held*innnen zögern zurückzukehren und lieber im gelobten Land, auf der Insel der Seligen etc. bleiben.
Die magische Flucht
Wenn die Held*innen das Objekt der Begierde gefunden haben, dessen Wächter es aber nicht freiwillig herausgeben, kommt es oft zu einer Fluchtszene, die sich in vielen Erzählungen einer besonderen Beliebtheit erfreut und auch komödiantische Züge beinhalten kann.
Gerne hinterlassen die Fliehenden während ihres Versuchs zu entkommen verschiedene Gegenstände, um ihre Verfolger abzulenken und aufzuhalten. Eine besonders bemerkenswerte Geschichte ist in diesem Zusammenhang die Flucht Jasons und Medeas nach der Gewinnung des Goldenen Vlieses. Denn Medea hat ihre Familie und ihre Gemeinschaft verraten, indem sie dem Helden Jason zum gewünschten Artefakt verhilft. Auf der gemeinsamen Flucht zur See überzeugt sie Jason, ihren Bruder zu töten, der sich ebenfalls bei ihnen befindet. Danach wirft sie einzelne Körperteile des Ermordeten ins Meer, damit ihr Vater seine Verfolgung immer wieder unterbrechen muss, um den Körper seines Sohnes in mehreren Etappen zu bergen und schließlich beizusetzen.
Die Rettung von außen
Nicht immer gelingt es den Held*innen, aus eigener Kraft wieder in ihre Heimat zurückzukehren, sodass sie dazu (übernatürliche) Hilfe von außen benötigen. So müssen Helfer*innen in einer Erzählung der Inuit den Protagonisten Rabe aus dem Inneren eines verstorbenen Wals befreien, die shintoistische Göttin Amaterasu mit größerem Aufwand aus einer Höhle herauslocken und die sumerische Göttin Inanna sogar von den Toten erwecken.
Das Überqueren der Schwelle nachhause
Wenn Held*innen wieder nachhause zurückkehren, ergibt sich dann und wann das Problem, dass sie – durch ihre Abenteuer verwandelt – Schwierigkeiten damit haben, sich wieder in der „normalen“ Welt zurechtzufinden. In manchen Fällen stellt sich bei der Rückkehr heraus, dass das, was den Held*innen als eine relativ kurze Zeit vorkam, in der Realität viele Jahre oder gar Jahrhunderte beansprucht hat. Es kann auch vorkommen, dass Held*innen nicht mehr in das Reich ihrer Abenteuer zurückkehren können oder dürfen, wenn sie sich einmal dafür entschieden haben, wieder nachhause zu gehen. Teilweise verlieren sie bei der Rückkehr ihre Kräfte, die sie in der anderen Welt gewonnen haben.
Es folgen ein Exkurs über Erzählungen, die Verbote oder Einschränkungen beinhalten, was das Berühren des Bodens mit den Füßen angeht und weitere Überlegungen, die mir nicht zwingend zur Überschrift des Kapitels zu passen scheinen.
Meister der zwei Welten
Schließlich gibt es auch Held*innen, die geradezu zu Meistern beider Welten emporsteigen und denen es dadurch möglich ist, nach Belieben von der einen in die andere Welt zu reisen. Dazu zählt, dass sich die betreffende Person in der einen Welt immer auch der anderen Welt und was sie ausmacht bewusst bleibt.
Freiheit zu leben
Was ist nun das Ergebnis der Reise? Wer die Heldenreise erfolgreich abgeschlossen hat, erfährt im übertragenen Sinne eine Art Aussöhnung zwischen seinem individuellen Bewusstsein und dem großen Ganzen.
Die Schlüssel
Dieses kurze Kapitel ist äußerst hilfreich, da es die zentralen Stationen der Heldenreise klar und deutlich zusammenfasst, während die vorherigen Kapitel durch Abschweifungen etc. teilweise nicht sehr stringent wirkten.
Wichtig ist an dieser Stelle auch, dass Campbell darauf hinweist, dass Erzählungen selbstverständlich von diesem Schema abweichen können. So legen manche Geschichten einen deutlichen Schwerpunkt auf ein oder zwei der genannten Aspekte, während andere – Campbell nennt in diesem Zusammenhang die Odyssee – gleich mehrere Heldenreisen auf einmal präsentieren.
Ein weiterer spannender Punkt betrifft die Überlieferung. Im Laufe der Zeit können Erzählungen derartige Abwandlungen erfahren haben, dass die ursprüngliche Aussage nicht mehr vorhanden oder aber an ein neues Publikum angepasst ist.
Bemerkenswert ist schließlich Campbells Überlegung, dass die Bedeutung der Mythen erlischt, wenn man beginnt, sie zu rationalisieren, sie als Biographien, reale Geschichte oder Wissenschaft zu verstehen.
Teil 2: Der kosmogonische Kreis
Emanation – Das Hervorgehen aus dem Einen
Von der Psychologie zur Metaphysik
Für Campbell steht es außer Zweifel, dass Mythen und Märchen von ihrer Logik und ihrer Symbolsprache her ähnlich wie Träume funktionieren3 womit wir wieder bei der Psychoanalyse angekommen wären. Dieser Logik folgend entsprechen Welten jenseits unserer Realität, denen wir in derartigen Erzählungen begegnen, dem Unbewussten der menschlichen Psyche.
Auf einer grundsätzlichen Ebene geht es um den kosmogonischen Kreis, ein mythisches Bild der Entstehung des Kosmos und seiner anschließenden Rückkehr in eine nicht materielle Welt. Ähnlich verhält es sich mit dem Menschen, der geboren wird und später durch seinen Tod in die immaterielle Welt zurückgeht.
Spannend ist der Gedanke, dass sich hinter der Symbolik der Erzählungen das verbirgt, was den Menschen als solchen ausmacht, losgelöst von der jeweiligen Zeit, Kultur und Zivilisation.
Der universelle Kreis
Der eben angesprochene kosmogonische Kreis oder Zirkel ist keine einmalige Angelegenheit, sondern wiederholt sich immer wieder. Eine Welt wird geboren und vergeht schließlich wieder, woraufhin irgendwann eine neue Welt zu existieren beginnt.
Ähnlich verhält es sich mit dem Bewusstsein des Menschen, das tagsüber auf einem Meer der Nacht schwimmt – womit wohl das Unterbewusste gemeint ist – in das es im Schlaf hineintaucht, um nach dem Erwachen wieder auf ihm zu schwimmen.
Der Mythos vermag mit seiner symbolischen Sprache unser waches Bewusstsein mit mit unserem Unterbewusstsein zu verbinden.
Heraus aus dem leeren Raum
Schöpfungsmythen können etwas Tragisches an sich haben, da jeder Schöpfung sozusagen von Geburt an ein unvermeidbarer Untergang vorherbestimmt ist. Dass auf jeden Untergang aber eine neue Schöpfung folgt, mindert das tragische Element erheblich ab.
Die Existenz im Raum
Nachdem durch die Schöpfung einer Welt der notwendige Raum dafür geschaffen wurde, entsteht in einem zweiten Schritt Leben, wobei dieses aus Gründen der Fortpflanzung in der Regel männliche und weibliche Lebewesen hervorbringt.
Es folgen kurze Überlegungen zu Mythologien, die sich das Universum als ein Ei vorstellen sowie zu Erzählungen, bei denen der Weltenschöpfer dem eigenen Selbst der Menschen entspricht.
Das Zerbrechen des Einen
Nach der Schöpfung wird das Eine oft in zwei Bereiche unterteilt, zum Beispiel in Himmel und Erde, was nicht selten mit einem Konflikt zwischen älteren und jüngeren Gottheiten zusammenhängt.
Zu nennen wäre hier etwa aus der griechischen Mythologie der Titan Kronos, der seine Eltern Gaia (Erde) und Uranos (Himmel) voneinander trennt, indem er Uranos entmannt als dieser gerade mit Gaia sexuell verkehren möchte. Ein Beispiel aus Babylon wäre Marduk, der Tiamat, die Mutter aller Gottheiten, im Rahmen eines größeren Konflikts mit einem Schwert in zwei Teile schlägt und auf diese Weise Himmel und Erde formt.
Einfachere Schöpfungsgeschichten
Einfachere Schöpfungsgeschichten sind in der Regel etwas direkter und versuchen nicht, verborgene Mysterien zu ergründen. Stattdessen gibt es hier ein Schöpferwesen, das der Welt ihre Form verleiht, die Menschheit schafft und oft auch die Entscheidung trifft, dass Lebewesen sterblich sein sollen.
Während das Schöpferwesen wohlwollend in Erscheinung tritt, sind viele Ärgernisse wie Krankheiten auf ein Wesen wie einen Clown, einen Trickster oder einen Teufel zurückzuführen, das einen Gegensatz zum Schöpfer oder der Schöpferin bildet.
Nichtsdestotrotz können auch diese einfacheren Erzählung gelegentlich durchaus tiefere Einsichten beinhalten uns sollten nicht grundsätzlich als simpel abgetan werden.
Die jungfräuliche Geburt
Mutter Universum
Auf einer abstrakten Ebene stellt die in vielen Mythen vorhandene Weltenmutter den begrenzenden Rahmen der jeweiligen Welt dar und ist häufig auch die stimulierende Auslöserin des Schöpfungsaktes. Sie ist jungfräulich und bleibt dies in gewisser Weise auch oft, da ihr Partner nicht zwingend eine körperliche Gestalt hat bzw. es nicht unbedingt zum Geschlechtsakt kommt.
In der finnischen Kalevala hören wir etwa von der jungfräulichen Tochter der Luft, die sich vom Himmel in den Weltenozean begab, wo sie von Wind und Wasser schwanger wurde.
Die Matrix des Schicksals
Die Muttergöttin ist gleichzeitig die Mutter des Lebens und die Mutter des Todes und kann den Menschen in vielerlei Gestalt begegnen. In der sumerisch-babylonischen Mythologie spiegelt sich dies in den Phasen des Planeten Venus wider. Als Morgenstern ist die Venus die Jungfrau, als Abendstern die „Hure“. Als Herrin des Nachthimmels ist sie die Partnerin des Mondes und am helllichten Tag die Höllenhexe.
Der Mutterschoß der Erlösung
Die menschliche Wahrnehmung kann nur die Oberfläche der Existenz wahrnehmen, während der Blick in die Tiefe – das eigentliche Leid des menschlichen Daseins – verschlossen bleibt. Wenn es dann aufgrund dieses Zustands besonders schlecht um den spirituellen Zustand der Welt steht, wird in einem unscheinbaren Dorf ein Mädchen geboren, das eine Miniatur der kosmischen Mutter darstellt und das das falsche Verhalten seiner Zeitgenossen meidet. Ihr Schoß bleibt unberührt wie die ursprüngliche Leere vor der Schöpfung und ruft von selbst die Energie zu sich herbei, die die Welt und das Leben geschaffen hat und das Mädchen schließlich „unbefleckt“ schwängert.
Geschichten von jungfräulicher Mutterschaft
In den Mythen, Märchen und sonstigen Erzählungen aus aller Welt können Jungfrauen auf alle (un)möglichen Arten schwanger werden, ohne ihre Jungfräulichkeit zu verlieren. Die kosmische Energie scheint jederzeit bereitzustehen, wenn ein geeignet erscheinender Schoß zur Verfügung steht. Offen bleibt dabei jedoch zunächst, ob das so gezeugte Kind zu einem Held bzw. einer Heldin oder einem dämonischen Wesen heranwachsen wird.
Die Verwandlungen des Helden
Der urzeitliche Held und der Mensch
Während die Schöpfungsmythen Gottheiten und die Erschaffung der Welt sowie des Lebens thematisieren, geht es bei den darauf folgenden Erzählungen von menschlichen Held*innen um das Schicksal der Welt. Somit bewegen wir uns von der Schöpfung und einem mythischen Zeitalter zu Legenden und Vorgeschichte, bis wir schließlich irgendwann den Bereich der aufgezeichneten Geschichte erreichen. Dabei beginnen die Geschichten zunehmend, von ihrer Erzählwelt her der realen Welt zu entsprechen.
Die Kindheit des menschlichen Helden
Menschliche Held*innen weisen anders als Halbgottheiten oder Tier-Mensch-Mischungen nicht von Geburt an etwas „Übermenschliches“ auf, sondern müssen sich dies erst im Laufe ihrer Abenteuer aneignen. Dennoch neigt der Mensch dazu, auch Geburt und Kindheit dieser Personen reichlich auszuschmücken, was letztlich den Eindruck vermittelt, dass deren große Taten vom Schicksal oder anderen höheren Mächten vorherbestimmt waren. (Dies gilt übrigens auch oft für historische Persönlichkeiten).
Zu den typischen Motiven der Kindheit zukünftiger Held*innen zählt es, dass sie ihre Heimat aus bestimmten Gründen verlassen müssen und später wieder zurückkehren können. Gerne werden die Kinder in diesen Erzählungen zunächst von ihrem Umfeld geringgeschätzt und manchmal ist auch ihr Leben in Gefahr. Im Rahmen der Rückkehr oder im Kontext anderer Abenteuer stellt sich schließlich der wahre Wert unserer zukünftigen Held*innen heraus.
Der Held als Krieger
Menschliche Held*innen treten in einer Welt in Erscheinung, in der sich Siedlungen und Städte bereits ausgebreitet haben. Doch lauern hier immer noch schreckliche Monster aus früheren Zeiten und bedrohen die menschliche Zivilisation. Hinzu kommen menschliche Tyrann*innen, die wie die Monster von den Held*innen bekämpft werden.
Der Held als Liebhaber
Was auch immer der – in diesem Fall männliche Held – vor Tyrannen und Monstern beschützen oder retten muss, wird oft in Form einer Frau präsentiert. Dabei kann es sich zum Beispiel um die Jungfrau handeln, die dem Drachen dargeboten wird, oder die Braut, die vom eifersüchtigen Vater oder einer anderen bösen Person entführt wird.
Der Held als Herrscher und als Tyrann
In Fällen, in denen der Held auf seiner Reise seinen wahren Vater kennenlernt, kehrt er am Ende als Vaterfigur in seine Heimat zurück. So kann der Held zu einem Lehrer wie Moses oder aber zu einem Herrscher werden. Es kann durchaus vorkommen, dass sich der Held als Herrscher in einen Tyrannen wandelt.
Der Held als Erlöser der Welt
Die Helden, die während ihrer Reise erkannt haben, dass sie und der Vater – wie überhaupt alles in der Welt – in Wahrheit eins sind, haben den höchsten Grad an Erkenntnis erlangt und kehren als Erlöser zurück. Es handelt sich bei ihnen sozusagen um Inkarnationen der kosmischen Energie, die in der Folge über hohe Autorität verfügen.
Dabei kann es vorkommen, dass der Held zunächst seinen Vater oder einen böse gewordenen Aspekt seines Vaters besiegen muss, womit er in gewisser Weise sich selbst besiegt, da er ja eins mit dem Vater ist. Der Erlöser kommt in Momenten, in denen es aus moralischer Perspektive schlecht um die Menschheit steht, wobei es sich hier um einen vom Kosmos vorgegebenen Kreislauf handelt. Es ist also ganz natürlich, dass sich der Zustand der Gesellschaft immer weiter verschlechtert, bis ein neuer Erlöser kommt. Nach seinem Einsatz geht es dann allmählich wieder bergab.
The hero of yesterday becomes the tyrant of tomorrow, unless he crucifies himself today.
(S. 303)
Der Held als Heiliger
Schließlich gibt es noch einen letzten Heldentypen: den Asketen, der sich – zumindest vorübergehend – von der Welt abwendet. Als Beispiele nennt Campbell in diesem Kontext Buddha, verschiedene christliche Heilige sowie Ödipus.
Der Weggang oder Tod des Helden
Auch Held*innen müssen irgendwann einmal sterben, wobei sie aufgrund ihrer im Leben gewonnenen Erkenntnisse keinerlei Furcht vor dem Tod verspüren. Alternativ gibt es Held*innen, die lediglich in einen extrem langen Schlaf fallen, bis sie eines Tages wieder benötigt werden, oder aber in einem anderen Körper wiedergeboren werden.
Auflösungen
Das Ende des Mikrokosmos
Die Held*innen, die in ihren Abenteuern unglaubliche Taten vollbringen, entsprechen unserem eigenen Inneren, da dies dem großen Einen entspricht. Zu letzterem kehren die Seelen dann schließlich zurück, tragen das von ihnen Erlebte zum Ganzen bei und werden ggf. neugeboren.
Campbell führt nun mehrere Beispiele an, wie sich verschiedene Kulturen den Weg der Seele nach dem Tod konkret vorstellen.
Das Ende des Makrokosmos
Wie der Mensch geboren wird, sein Leben lebt, am Ende zwangsläufig stirbt und – je nach Vorstellung – schließlich wiedergeboren wird, entsteht auch die Welt bzw. das Universum, existiert eine Weile, geht dann unter, um später ggf. in einer neuen Variante in die materielle Welt zurückzukehren.
Wie schon beim Mikrokosmos bietet Campbell auch hier einen kurzen Überblick über verschiedene Vorstellungen des beschriebenen Phänomens.
Epilog: Mythos und Gesellschaft
Der Gestaltwandler
Es gibt kein System mit Hilfe dessen man Mythen interpretieren kann und es wird laut Campbell auch nie eines geben. Moderne Vorstellungen verstehen die Mythologie als einen Versuch früher Kulturen die Welt zu verstehen, als poetische Fantasie, als bildhafte Anweisungen, um das Individuum in eine Gruppe einzuführen, als ein Gruppentraum, als eine Möglichkeit metaphysische Erkenntnisse zu kommunizieren oder als Gottes Weg, sich seinen Anhänger*innen zu offenbaren. Für Campbell sind all diese Ideen gleichermaßen richtig, da die Antwort jeweils von der Perspektive der Fragenden abhängt.
Für ihn steht allerdings eher im Vordergrund, wie Mythen funktionieren, wie sie Menschen in der Vergangenheit dienten oder wie sie uns heute nützlich sein könnten.
Die Funktion von Mythos, Kult und Meditation
Der lebende einzelne Mensch kann in vielerlei Hinsicht immer nur ein Teil dessen sein, was den Menschen in seiner Ganzheit ausmacht. So dreht sich vieles um das Verhältnis des Individuums zur lokalen Gruppe bzw. zur gesamten Weltbevölkerung, was sich in vielerlei Initiationsriten etc. widerspiegelt. Seine Gruppe vorübergehend zu verlassen kann zu besonderen Einsichten führen. Letztlich verstehen manche Individuen, dass alles miteinander verbunden, dass alles eins ist.
Der Held in der heutigen Zeit
In der heutigen Zeit mit ihrer Rationalität, ihrer Wissenschaftlichkeit, ihrer Säkularität etc. hat es der Mythos nicht leicht, den Menschen das zu geben, was sie brauchen. Selbst die Weltreligionen scheitern diesbezüglich, da sie nicht mehr ihren eigentlichen Aussagen entsprechen, sondern sich politisch etc. haben einspannen lassen. Wichtig scheint Campbell zu sein, dass man die Einheit der Menschheit auch in ihrer Vielfältigkeit erkennen kann.
Heute gehe es nicht mehr darum wie in früheren Jahrhunderten die Sterne oder die Biologie zu erforschen. Heute gebe es ein letztes großes Mysterium, das es zu erforschen gelte: den Menschen.
Mein Eindruck von Campbells „The Hero With A Thousand Faces“ und der Heldenreise
Nach der alles andere als leichten Lektüre von The Hero With A Thousand Faces fühle ich mich fast schon selbst als hätte ich eine Heldenreise hinter mich gebracht. Einerseits liegt dies daran, dass es das Buch seinen Leser*innen wirklich nicht leicht macht. So führt Campbell meiner Meinung nach nicht sonderlich gut in die Thematik ein und verwirrt durch Abschweifungen, die mir teilweise nicht zwingend zur jeweiligen Kapitelüberschrift zu passen scheinen.
Hinzu kommt, dass ich etwas überrascht vom Inhalt des Buches war. Ich kannte die Heldenreise und ihre einzelnen Stationen bereits vor der Lektüre, doch ist mir jetzt erst bewusst geworden, dass ich offensichtlich immer nur vereinfachende Zusammenfassungen gelesen habe, die sich allein aus inhaltlicher Sicht auf die einzelnen Etappen der Heldenreisen bezogen. Mir war nicht bewusst, wie sehr Campbells Überlegungen mit der Psychoanalyse verbunden sind. Dementsprechend erstaunt war ich auch über die zahlreichen Träume irgendwelcher Menschen, die im Buch zitiert werden, zumal ich auch hier nicht immer den Bezug zum Thema erkennen konnte.
Dem steht gegenüber, dass mir das Buch viele spannende Denkimpulse gegeben hat und ich neugierig darauf geworden bin, mich in diesem Kontext näher mit der Psychoanalyse auseinanderzusetzen. Gerade auch im Detail bietet Campbell zahlreiche spannende Gedanken, die mich länger beschäftigt haben. Außerdem lernte ich durch das Buch Mythen kennen, von denen ich noch nie gehört hatte. Letztlich bin ich daher sehr froh, The Hero With A Thousand Faces gelesen und mich erstmals intensiv mit der damit verbundenen Heldenreise beschäftigt zu haben.
Fazit zur Heldenreise à la Campbell
Es gibt sicherlich mehrere Punkte, die heutige Leser*innen mit Fug und Recht am wissenschaftlichen Vorgehen Campbells kritisieren können. Doch auch wenn einzelne Aussagen aus The Hero With A Thousand Faces aus wissenschaftlicher Sicht nicht zwingend korrekt sind, ist die grundsätzliche Idee der damit verbundenen Heldenreise definitiv inspirierend. Nicht von der Hand zu weisen ist außerdem die ungeheure Wirkungsgeschichte des Werkes auf die Popkultur. So könnte man neben dem bereits angesprochenen George Lucas zahlreiche weitere Künstler*innen aufzählen, deren Werke von Jospeh Campbell beeinflusst wurden.
Wer sich aus wissenschaftlicher Perspektive mit dem Thema beschäftig, kommt nicht daran vorbei The Hero With A Thousand Faces zu lesen und durchzuarbeiten. Autor*innen, die nach Inspiration oder Anleitung für ihre eigenen Erzählungen suchen, würde ich eher Christopher Voglers The Writer’s Journey: Mythic Structure for Writers empfehlen, das auf Campbells Ideen basiert, aber wesentlich zugänglicher und auf die Erzählstruktur ausgerichtet ist. Für diejenigen, die sich grundsätzlich für das Thema interessieren, es aber beim Lesen gerne etwas gemütlicher angehen möchten, könnte einen Blick auf The Power auf Myth interessant sein, da dieses Buch viele Gedanken Campbells in verständlicher Form im Rahmen eines Interviews präsentiert.
Schließlich sei zum Abschluss noch auf Christian Vogts Gedanken zur Heldenreise aus moderner Perspektive verwiesen.
Joseph Campbell: The Hero With A Thousand Faces, 3. Auflage, Novato, California 2008 (1. Auflage 1949).
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Anmerkungen
- Auch Campbell selbst zog in seinen Überlegungen gerne Star Wars heran, wie sich besonders auch in der sechsteiligen PBS-Dokumentation The Power of Myth zeigt, die auch als Buch erschienen ist und bezeichnenderweise größtenteils in George Lucas‘ Skywalker Ranch aufgezeichnet wurde.
- Vgl. etwa S. 14 oder S. 101. Obwohl Campbell grundsätzlich von beiden Geschlechtern ausgeht, beziehen sich die Überlegungen in der Regel auf männliche Helden, weshalb ich im Folgenden je nach Situation von Helden oder von Held*innen spreche.
- Auf S. 14 sagt er, dass der Traum der personalisierte Mythos und der Mythos der entpersonalisierte Traum seien. Im Traum gehe es daher um die persönlichen Probleme der träumenden Person, während es im Mythos um die Angelegenheiten menschlicher Gemeinschaften gehe.
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