Archäolog*innen im Weltraum
„The Engines of God“ ist der erste Teil einer Romanreihe von Jack McDevitt, deren Handlung um das Jahr 2200 spielt. Die Menschheit hat den Schritt zu den Sternen gewagt und ist in der Lage, im Rahmen relativ kurzer Reisezeiten entfernte Planeten zu erreichen. Zu Beginn der Geschichte kennt die Wissenschaft außer der Erde drei weitere Planeten, auf denen es höher entwickelte Zivilisationen gegeben hat. So leben auf dem Planeten Inakademeri die Nok, während die Bewohner*innen des Planeten Pinnacle vor etwa 750.000 Jahren ausgestorben sind.
Da die Menschheit nicht in die Geschicke der Nok eingreifen möchte, die sich etwa auf dem Niveau befinden, das auf der Erde zur Zeit des Ersten Weltkriegs herrschte, und Pinnacle trotz des technischen Fortschritts weit entfernt ist, konzentriert sich die Erforschung untergegangener Zivilisationen auf den Planeten Quraqua. Auch hier gibt es keine Überlebenden einer einst blühenden Kultur, doch strotzt der Planet nur so vor archäologischen Zeugnissen vergangener Zeiten.
[…] there was hardly a graduant student who hadn’t found a buried city, uncovered the key to a mass migration, tracked down a previously unknown civilization. It was the golden age of archeology. (S. 15)
Die Winckelmann
Natürlich verwenden die Archäolog*innen im Weltraum das Wissen, das sie bei ihrer Tätigkeit auf der Erde gewonnen haben, wobei auch Unterwasserarchäologie zum Einsatz kommt. Schön ist in diesem Zusammenhang, dass das Raumschiff der Wissenschaftler*innen, die wir in „The Engines of God“ bei ihren Ausgrabungen begleiten, den Namen Winckelmann trägt. Denn Johann Joachim Winckelmann (1717-1768) zählt zu den Begründern der wissenschaftlichen Archäologie und Kunstgeschichte, wodurch ein schöner Bogen von den Ursprüngen der Archäologie zu ihrer fiktiven Zukunft gespannt wird.
Linear C
Auf dem Planeten Quraqua gibt es außerdem ein Schriftsystem der untergegangenen Zivilisation, das die Wissenschaftler*innen von der Erde zu entschlüsseln versuchen. Passenderweise nennen sie die Schrift Linear C, wodurch wiederum eine Verbindung zur irdischen Archäologie hergestellt wird. Denn als Linear A bezeichnen wir eine bis heute nur in Ansätzen entzifferte Schrift der Minoischen Kultur, während Linear B die Schrift der auf diese folgende Mykenischen Kultur darstellt. So fühlt man sich als Leser*in im Weltraum doch gleich zuhause.
Zyklische Geschichtsverläufe
Schnell stellen die Wissenschaftler*innen fest, dass es auf den neuentdeckten Planeten Zyklen gibt, die sich ungefähr alle 8.000 Jahre wiederholen. Zivilisationen entstehen, kommen zu einer Blüte, um dann wieder unterzugehen, worauf dunkle Jahrhunderte (Dark Ages) folgen. Im Rahmen dieser Zyklen wird ganz explizit auf das Geschichtsbild des Universalhistorikers Arnold J.Toynbee verwiesen (S. 350). Interessanterweise erfolgt dies jedoch ohne nähere Erklärungen, sodass die Leser*innen Toynbee entweder bereits kennen oder den Namen nachschlagen müssen.
Jedenfalls gibt es in „The Engines of God“ ein regelmäßig wiederkehrendes externes Ereignis, das die alle 8.000 Jahre stattfindende Vernichtung von Zivilisationen bewirkt. Die Menschheit hat bisher mehr oder weniger Glück gehabt, da sie relativ früh von einer der Zerstörung bringenden kosmischen Wellen getroffen wurde. Die Archäolog*innen in „The Engines of God“ vermuten, dass sich Geschichten vom Untergang von Sodom und Gomorrha und vielleicht auch Jericho auf diese frühe traumatisierende Erfahrung beziehen. Somit ist klar: Es kann nicht mehr all zu lange dauern, bis die 8.000 Jahre abgelaufen sind und eine neue Welle der Vernichtung den blauen Planteten treffen wird. Das Jahr 3000 dient dabei als ungefährer Richtwert.
Rettung könnte womöglich durch die „Monument Makers“ erfolgen, eine uralte interstellare Zivilisation, die den Rhythmus der Zerstörung verstanden hat und sich scheinbar in eine sicherere Region des Weltraums zurückgezogen hat, nachdem sie nachfolgenden Kulturen diverse Zeichen hinterlassen hat, es ihnen gleichzutun.
Mythologische Parallelen
Wie in der legendären Star Trek TNG-Folge Darmok thematisiert, ist es ein verführerischer Gedanke davon auszugehen, dass die Mythen der unterschiedlichen Zivilisationen des Universums einander ähneln könnten. So finden wir auch in „The Engines of God“ gewisse Archetypen von Erzählungen vor, die sowohl auf der Erde als auch auf anderen Planeten vorzufinden sind. In diesem Kontext erfahren wir etwa von Tull, bei dem es ich um eine Christusfigur wie Osiris oder Prometheus handelt (S. 19). Außerdem gibt es ein Herakles-Equivalent und einen Mythos, der dem von Hermes und Argos entspricht (S. 202-204).
Schlussbetrachtungen und Ausblick
Da ich keine Archäologie studiert habe, kann ich die Beschreibung der archäologischen Arbeit nicht im Detail beurteilen. Aufgrund der oben geschilderten Punkte hat mir „The Engines of God“ jedenfalls aus meiner Perspektive als Antikenrezeptionist hervorragend gefallen. Autor Jack McDevitt lässt deutlich erkennen, dass er ein großes Faible für Archäologie bzw. Exoarchäologie und damit verbundene Kenntnisse besitzt. Ein Blick auf die Titel seiner weiteren Werke lässt jedenfalls erahnen, dass wir uns heute nicht zum letzten Mal mit ihm beschäftigt haben.
Jack McDevitt: The Engines of God. A Priscilla Hutchins Novel, New York 1994.
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