Wirksam ist der Zauber mit dem Heilmittel – Antike Medizin als Grundlage für Fantasy und Bodyhorror in „Mutterschoß“ (Elea Brandt)

Vorbemerkungen: Elea Brandts „Mutterschoß“

Im Folgenden stellt uns die Autorin Elea Brandt ihren neuen Roman „Mutterschoß“ vor, wobei sie ihren Fokus auf die Rezeption antiker Medizin legt. Werfen wir zunächst einen Blick auf den Klappentext von „Mutterschoß“, bevor uns Elea im Anschluss Einblicke in ihre antiken Inspirationsquellen bietet. 

Shiran will der angesehenste Arzt von Ghor-el-Chras werden, Ajeri eigentlich nur in Ruhe ihrer Arbeit als Hebamme nachgehen. Als beide zugleich zu einer Geburt gerufen werden, beginnt für sie ein Albtraum. Ajeri wird beschuldigt, Mutter und Kind verflucht zu haben, und flieht, um ihrer Hinrichtung zu entgehen. Mit ihr, der Tochter einer Hexe, kennt die Stadt des Blutigen Gottes keine Gnade. Auch Shiran stellt Nachforschungen an und begreift, dass mehr hinter allem steckt als eine Intrige.

Etwas Uraltes ist erwacht. Und es ruft nach seinen Kindern.

Wirksam ist der Zauber mit dem Heilmittel

Vom britischen Physiker und Science-Fiction-Autor Arthur C. Clarke stammt das berühmte Zitat: „Magie ist nur eine Wissenschaft, die wir noch nicht verstehen.“ Die Grenze zwischen Wissenschaft und Zauberei ist seit jeher ein beliebtes Thema in Fantasy und Science Fiction. In Clarkes Werk hat sich die menschliche Gesellschaft so weit zurückentwickelt, dass sie Relikte ihrer einstigen technischen Hochkultur als „Magie“ begreifen. Umgekehrt sind magiebegabte Heilkundige oder Sterndeuter*innen ein beliebtes Thema in der Fantasyliteratur.

Auch in meinem Grimdark-Fantasy-Roman „Mutterschoß“ verbinde ich ein wissenschaftliches Thema, speziell antike Medizin, mit phantastischen und Horror-Elementen und möchte in diesem Beitrag erläutern, warum diese Verbindung so naheliegend erscheint und welche Möglichkeiten sie eröffnet.

Die Stadt des Blutigen Gottes

Ghor-el-Chras, der Schauplatz von „Mutterschoß“ und meines Debüts „Opfermond“, ist von den frühen Hochkulturen im nordafrikanisch-nahöstlichen Raum inspiriert, insbesondere vom Alten Ägypten und den Hochkulturen Mesopotamiens. Ich muss gestehen, dass ich keine akkurate historische Aufarbeitung dieser Kulturen betrieben habe, um das Setting zu entwickeln. Viel eher habe ich mir einen umfassenden Überblick über verschiedene Ideen und Prinzipien verschafft und diese möglichst sinnhaft in den Weltenbau eingepflegt.

Ähnlich wie seine historischen Vorbilder ist Ghor-el-Chras eine Theokratie unter der Herrschaft eines Hohepriesters. Der Glaube an den Blut- und Kriegsgott Chras durchzieht das gesamte Leben der Menschen, sodass in Ghor-el-Chras ein massiver Sozialdarwinismus herrscht. Vor dem Blutigen Gott gilt nur (Kampfes-)Stärke als erstrebenswert. Wer dieses Ideal nicht erfüllt, ganz gleich ob qua Geburt oder eigener Entscheidung, wird vom System gnadenlos an den Rand gedrängt. Die Kirche des Blutgottes inszeniert sich als alleinige, gottgewollte Herrscherinstanz und rechtfertigt auf diese Weise die Unterdrückung aller, die nicht in ihr Weltbild passen.

In „Mutterschoß“ spielt das Thema Medizin eine entscheidende Rolle. Der Roman wird primär aus zwei Perspektiven erzählt, der des Arztes Shiran, einem ehrgeizigen jungen Mann aus gutem Hause, und der Hebamme Ajeri, die als queere migrantische Frau eine Randstellung innerhalb der Gesellschaft einnimmt. Für beide Figuren habe ich intensiv zum Thema antike und frühmittelalterliche Medizin recherchiert und festgestellt, dass dieser Themenkomplex zahlreiche Anknüpfungspunkte für Phantastik und Bodyhorror bietet.

Elea Brandt Mutterschoß
Autorin Elea Brandt

Antike Medizin im Spannungsfeld zwischen Wissenschaft und Aberglaube

Bis ins frühe Mittelalter dominierten drei Männer die Medizingeschichte: Hippokrates (um 400 v. Chr.), Galenos von Pergamon (dt. Galen, 100-200 n. Chr.)  und ibn Sina (lat. Avicenna, um 1000 n. Chr.). Die Ursprünge der Medizin – oder das Erwachen der modernen Heilkunst – beginnt hingegen schon viel früher.

Schon im Alten Ägypten konnten Mediziner*innen[1] auf einen reichhaltigen Erfahrungsschatz zurückgreifen und viele ihrer Erkenntnisse sind bis heute schriftlich überliefert (z.B. das Papyrus Ebers und das Papyrus Smith). Sie gelten als brillant in der Diagnostik und gemessen an den ihnen zur Verfügung stehenden Methoden war ihr medizinisches Wissen enorm.

Allerdings fußte deren Medizin nicht ausschließlich auf wissenschaftlichen Erkenntnissen. Neben streng medizinischen Betrachtungsweisen fand man in heilkundlichen Schriften der Antike auch dazu passende, religiös inspirierte Zauber. Erst mit der römischen Eroberung und einer zunehmenden Veränderung des Götterbildes nahmen diese Tendenzen ab.

„Wirksam ist der Zauber mit dem Heilmittel. Wirksam ist das Heilmittel mit dem Zauber“ (Westendorf, 1992, Erwachen der Heilkunst)

Sündenböcke und Operationen

Mediziner*innen im Alten Ägypten kannten zwei Ursachen für Krankheiten: natürliche Ursachen oder dämonischer Ursprung. Als natürlich galten klar ersichtliche Verletzungen wie Knochenbrüche, Biss- oder Brandwunden sowie Ernährungsfehler. Konnte die Ursache nicht klar identifiziert werden, mussten die Mediziner*innen dies erkennen und den passenden Spruch finden, um die dämonische Krankheit zu heilen. Mögliche Zauber involvierten Modelle aus Wachs, Amulette oder ein Opfertier, das die Krankheit als „Sündenbock“ übernehmen und forttragen sollte.[2]

Zugleich besaß die Medizin aber auch schon erstaunliche Erkenntnisse, gemessen daran, dass das Sezieren von Leichen in vielen dieser Hochkulturen verboten war[3]. Im Alten Ägypten war bekannt, dass Luft über das Blut in die Organe transportiert wird und dass das Herz als Zentralorgan den Mittelpunkt menschlicher Existenz darstellt. Auch komplexe Operationen sind überliefert. Die frühmittelalterliche, arabische Medizin beschreibt ohne jede Vorstellung von DNS oder Genetik, dass die Samen der am Zeugungsakt beteiligten Elternteile einen „Bauplan“ für die Organe des Kindes enthalten. Andere Erkenntnisse fehlten hingegen, zum Beispiel war die Funktionsweise des Gehirns und seine Aufgabe weitgehend unbekannt. Die Steuerung von Gefühlen und Emotionen wurde gemeinhin dem Herzen zugeschrieben.[4]

Obskure Heilmittel

Die frühe Medizin wird von zwei Prinzipien geleitet, die in der Volksmedizin zum Teil bis heute fortbestehen. Das Prinzip „simila similibus“ besagt, Ähnliches werde durch Ähnliches geheilt. Dies galt sowohl für optisch ähnliche Mittel (z.B. ein zerstoßenes Straußenei bei Kopfwunden), aber auch für gleich Klingendes (z.B. Nieswurz gegen Niesen). Im Gegensatz dazu steht das Prinzip „contraria contrariis“, das besagt, eine Krankheit müsse mit etwas Entgegengesetztem behandelt werden.[5] Diese beiden Prinzipien scheinen einander zwar auf den ersten Blick zu widersprechen, stellten in der frühen Medizin aber viel eher unterschiedliche und sich ergänzende Herangehensweisen dar, keine getrennt voneinander agierenden „Behandlungsschulen“.

Viele aus diesen Prinzipien entstandene Heilmittel muten aus heutiger Sicht obskur und esoterisch an. Gegen Blutungen wurden zum Beispiel Karneole aufgelegt (aufgrund ihrer ähnlichen Farbe) oder man goss Menstruationsblut über die Brüste, damit sie frisch blieben und nicht zu hängen anfingen. Bis heute überliefert sind auch interessante „Schwangerschaftstests“, die zum Teil noch im 18. Jahrhundert praktiziert wurden. In die Vagina wurde eine Zwiebel (oder eine Knoblauchzehe) eingebracht. Stellte sich nach einigen Tagen ein entsprechender Mundgeruch ein, so lag keine Schwangerschaft vor (man nahm an, der Fötus wurde das Aufsteigen des Geruchs blockieren).

Neben diesen bizarren Methoden waren im Alten Ägypten und in Mesopotamien aber auch schon Heilmitten bekannt, die bis heute Gültigkeit besitzen. Hefe oder fauliges Brot wurden zur Wundheilung eingesetzt, indem man sich ihre antibiotische Wirkung zu Nutze machte, und bei Erkältungen empfahlen Mediziner*innen Bier oder kräftiges Fleisch zur Stärkung (kein großer Unterschied zu Omas hausgemachter Hühnerbrühe von heute). Auch die Zahnheilkunde war weit fortgeschritten und erlaubte z.B. das Füllen hohler Zähne – sogar unter Betäubung – und Brücken aus Golddraht. Bei Letzteren ist allerdings unklar, ob sie nicht erst post-mortem angelegt wurden, um die Zähne von Mumien zu stabilisieren.

Magiekundige, Wissenschafler*innen und Apotheker*innen

Die Rolle der Mediziner*innen in der Antike war also vielfältig, sie waren Magiekundige, Wissenschaftler*innen und Apotheker*innen in einem. Die meisten Medizinkundigen der Antike können als Universalgelehrte verstanden werden, manche spezialisierten sich aber auch auf ein bestimmtes Fachgebiet. Sie mussten sowohl über die Funktionsweisen des menschlichen Körpers und natürliche Krankheiten Bescheid wissen, als auch in der Lage sein, dämonische Krankheiten mithilfe geeigneter Zauber zu heilen. Da sie ihre Medikamente selbst herstellten, waren auch Kenntnisse im Bereich der Kräuterkunde und Pharmazie notwendig. Häufig wurde die Tätigkeit als Erbberuf von Vater zu Sohn tradiert.

Interessant ist auch die gesellschaftliche Stellung im Alten Ägypten. Mediziner*innen waren mitunter auch Beamte staatlicher Institutionen. Sie absolvierten eine in Teilen genormte und sehr umfassende Ausbildung im Lebenshaus, in dem sie auch ambulante Behandlungen durchführten. Ihr Gehalt bezahlte das Königshaus.

Diese Überlegungen habe ich auch in „Mutterschoß“ und in den dafür nötigen Weltenbau einfließen lassen. Auch in Ghor-el-Chras erhalten die Mediziner*innen eine umfassende Ausbildung und verpflichten sich nach ihrem Abschluss der Priesterschaft des Blutgottes, die einen Teil ihres Honorars bezahlt. Betuchte Patient*innen bezahlen die andere Hälfte. Auf diese Weise erhält die Bevölkerung zwar Zugang zu medizinischen Dienstleistungen, umfassende Fürsorge bleibt aber ein Privileg der Reichen und Mächtigen. Das sozialdarwinistische Prinzip bleibt dadurch erhalten und die Kirche kann weiterhin eine gewisse Kontrolle über die Ärzteschaft ausüben. Auch die enge Verzahnung zwischen Religion und Wissenschaft wird dadurch deutlich.

Mutterschoß Elea Brandt
„Mutterschoß“ von Elea Brandt

Die Rolle der Hebamme

Die Aufgaben der Hebamme fielen seit jeher aus dem Repertoire klassischer Mediziner*innen heraus. Im Alten Ägypten, und insbesondere in der frühen arabischen Medizin, gab es eine strikte Trennung zwischen dem Tätigkeitsbereich der Hebamme und denen der (männlichen) Ärzte. Fragen der Empfängnis, Schwangerschaft und Geburt oblagen den Hebammen, Ärzte wurden nur bei Komplikationen und in absoluten Notfällen gerufen. Unklar ist, ob Ärzte in solchen Fällen auch Manipulationen oder Eingriffe durchführten oder ob sich ihre Tätigkeit rein auf das Betrachten reduzierte.

Da die Fähigkeiten und Kenntnisse der Hebammen im Gegensatz zu denen der Mediziner*innen kaum schriftlich tradiert, sondern primär mündlich überliefert wurden, ist über deren Tätigkeit nur wenig bekannt. Als eines der frühen Standardwerke über Geburtsheilkunde gelten die Schriften des griechischen Arztes Soranos von Ephesos, verfasst um 100 n. Chr. Soranos geht hier auch auf die Arbeit der Hebammen ein, doch mit wie vielen er wirklich gesprochen hat, bleibt fraglich.

Während die Medizin also fest in der Hand einflussreicher Männer mit hohem Sozialprestige lag, entfiel die Arbeit der Hebammen überwiegend an Frauen, die aus verschiedenen sozialen Schichten stammen konnten. Dieser Konflikt spiegelt sich auch in „Mutterschoß“ durch die beiden Hauptfiguren wider. Shiran stammt aus einer wohlhabenden Familie, übt den Arztberuf bereits in zweiter Generation aus und genießt die Privilegien und die Macht, die ihm diese Tätigkeit einbringt. Die Hebamme Ajeri hingegen gehört einer niedrigeren sozialen Schicht an. Obwohl sie im Bereich der Geburtsheilkunde über weiteichende Kompetenzen verfügt und menschlich viel näher an ihren Klient*innen ist, werden ihre Anliegen oft nur belächelt. Manche Männer sehen in ihr sogar eine Bedrohung, nicht zuletzt aufgrund zahlreicher misogyner und – in ihrem Fall – fremdenfeindlicher Vorurteile.

Synthese: Antike Medizin und Phantastik

Die Antike Medizin bewegt sich also in einem hochinteressanten Spannungsfeld zwischen Magie, Aberglaube und Wissenschaft. Damit entstehen zahlreiche Ansatzpunkte für phantastische und Horrorelemente. Sind die angewendeten Zaubereien und Sprüche wirklich wirksam? Was davon ist nur Aberglaube, was bewusste Scharlatanerie und was liegt wirklich in der Hand jenseitiger Wesen?

In „Mutterschoß“ fließen all diese Aspekte zusammen: reale medizinische Kenntnisse, Aberglaube und kosmische Schrecken, die über all das hinausgehen, was Menschen zu begreifen im Stande sind. Hier kommen wir zurück zum Eingangszitat von Arthur C. Clarke. Was ist Wissenschaft, was ist Magie, wo endet das eine, wo beginnt das andere? Genau wie die Mediziner*innen der Antike bleibt diese Frage auch für die Leser*innen omnipräsent.

Bodyhorror: Das Fremde in uns

Spannung, die aus dem Unwissen generiert wird, bietet auch viel Raum für Horrorelemente, gerade für Aspekte des Bodyhorror. In dessen Zentrum stehen radikale, in der Regel destruktive Veränderung des Körpers wie Metamorphosen, Verstümmelungen, Mutationen oder Ähnliches. Klassische Beispiele sind Gestaltwandler (z.B. Werwölfe), durch Experimente herbeigeführte Mutationen (z.B. der Film „Die Fliege“) oder parasitäre Lebensformen, die den Körper eines Menschen in Besitz nehmen oder verändern (z.B. in „Alien“). Der Horror resultiert aus der Absolutheit der Veränderung und dem Verlust jeglicher Kontrolle darüber, was mit dem Körper geschieht. Genau das macht die Intensität dieses Genres aus: Der Körper selbst wird zum Fremden, zum Feind. Es gibt kaum eine persönlichere Form des Schreckens als diese.

Auch Schwangerschaft und Geburt stehen oft im Zentrum von Body Horror. In jüngster Zeit zeichnet sich zunehmend ein Trend dahingehend ab, Frauenfiguren in das Zentrum dieser Geschichten zu rücken. Die Gründe dahinter scheinen naheliegend: Das Horrorgenre bietet hier eine breite Rezeptionsfläche für alle Themen rund um lange tabuisierte Aspekte des weiblichen Körpers und um Autonomie und Selbstbestimmungsrecht. Themen, die auch in „Mutterschoß“ eine ganz entscheidende Rolle spielen.

Bodyhorror im Kontext von Schwangerschaft

Dank medizinischer Fortschritte haben sich die Sicherheit und das Wohlbefinden von Schwangeren in den letzten hundert Jahren rasant verbessert und die Sterblichkeitsrate Schwangerer liegt in Deutschland bei unter 1 %. Doch auch wenn Schwangerschaft heutzutage keine Horrorshow mehr darstellen muss, ist es noch immer eine körperliche Extremerfahrung. Der Körper verändert sich – zum Teil irreversibel –, Stimmung und Emotionen werden beeinflusst und es entstehen ganz neue Ängste und Sorgen. Zudem sehen sich Schwangere auch einem enormen gesellschaftlichen Druck ausgesetzt, die baldige Elternschaft als großen Quell der Freude und des Glückes zu begreifen, während negative Begleiterscheinungen und Folgen gesellschaftlich oft ausgeblendet werden (z.B. Verletzungen, postnatale Depressionen, Veränderungen des Hormonhaushalts etc.).

Bodyhorror kann in diesem Spannungsfeld ein Ventil für Ängste, Sorgen und unangenehme Veränderungen bieten und die Frage nach körperlicher Autonomie und Selbstbestimmung reflektieren. Wer entscheidet über das Wohlergehen Schwangerer und über ihren Körper? Sie selbst? Eine übersinnliche Macht? Oder ein gewalttätiges, patriarchales System?

Bodyhorror und antike Medizin

Schlagen wir den Bogen zurück zur antiken Medizin. In einem Setting ohne moderne Errungenschaften wird das Thema „Bodyhorror“ noch präsenter, auch im Kontext der Geburtshilfe.

Obwohl schon früh Theorien zu Fortpflanzung, Schwangerschaft und Geburt existierten, bleibt der Prozess ein Mysterium. Ob das Kind gesund ist – oder menschlich – entscheidet sich erst bei der Geburt. In Ermangelung von Ultraschall oder anderen Methoden bleibt nur die Deutung von Omen und Vorzeichen oder das Durchführen obskurer Rituale. Realweltlicher (Body-)Horror und Phantastik verschmelzen also unmittelbar zu einem großen Ganzen.

„Mutterschoß“ – ein Syntheseversuch

In „Mutterschoß“ versuche ich eine Brücke zwischen all diesen Themen zu schlagen: von Medizin über Magie bis hin zu Bodyhorror und konkreter Gesellschaftskritik. Es geht um medizinische Ethik, Selbstbestimmungsrecht, den Missbrauch von Privilegien, um kosmischen Horror und um das Aufbäumen gegen systemische Unterdrückung. Ob mir dieses Experiment bei „Mutterschoß“ gelungen ist, könnt Ihr gerne nach der Lektüre des Romans unter diesem Beitrag kommentieren.

Literatur

Dierichs, Angelika (2002). Von der Götter Geburt und der Frauen Niederkunft. Philipp von Zabern Verlag.

Heller, Peter W.F. (2008). Ärzte, Magier, Pharaonen: Mythos und Realität der altägyptischen Medizin. Engelsdorfer Verlag.

Huber, J. Ch. (Hrsg., 1894). Die Gynäkologie des Soranus von Ephesus. Bibliothek medizinischer Klassiker (Band I), übersetzt von H. Lüneburg. Verlag J.F. Leihmann.

Lopez Cruz, Ronald Allan (2012). Mutations and Metamorphoses: Body Horror is Biological Horror. Journal of Popular Film and Television, https://doi.org/10.1080/01956051.2012.654521.

Rapoport, Melanie (2020). Frankenstein’s Daughters: on the Rising Trend of Women’s Body Horror in Contemporary Fiction. Publishing Research Quarterly, 36, 619-633, https://doi.org/10.1007/s12109-020-09761-x

Weisser, Ursula (1983). Zeugung, Vererbung und pränatale Entwicklung in der Medizin des arabisch-islamischen Mittelalters. Verlagsbuchhandlung Hannelore Lüling.

Westendorf, Wolfhart (1992). Erwachen der Heilkunst. Die Medizin im Alten Ägypten. Artemis & Winkler.

Westendorf, Wolfhart (1997). Handbuch der altägyptischen Medizin. Verlag Brill.

Anmerkungen

[1] Überwiegend übten männliche Ärzte diesen Beruf aus, aber auch Frauen sind überliefert.

[2] Dieses Vorgehen findet sich auch in der Bibel: Im Alten Testament ist überliefert, dass Priester am jüdischen Sühnefest die Sünden des Volkes auf eine Ziegenbock legten und diesen in die Wüste schickten (3. Mose, 16, 8-21). Auch im Neuen Testament bannt Jesus eine Schar unreiner Geister (Legion) aus einem Besessenen und lässt diese in eine Herde Schweine fahren (Markus 5).

[3] Gerade im Kontext der Phantastik ist das ein entscheidendes Weltenbau-Element. Gibt es keine gesetzlichen oder religiösen Gründe, die gegen die Sektion von Leichen sprechen, dürfte sich die medizinische Forschung auf einem ganz anderen Niveau bewegen als in der historischen Antike. Thema ist das unter anderem im berühmten Besteller „Der Medicus“ von Noah Gordon: Die Medizin hatte bis ins 18. Jahrhundert hinein keine Kenntnis über die Herkunft der „Seitenkrankheit“ (= Blinddarmentzündung), da die verwendeten Tiermodelle keinen Wurmfortsatz besaßen.

[4] Diese Annahme verfestigte sich über die Jahrhunderte in zahlreichen Bildern und Redewendungen, die das Herz mit Liebe, Trauer oder Schmerz in Verbindung bringen.

[5] Samuel Hahnemann, der Begründer der Homöopathie, betrachtete das Ähnlichkeitsprinzip als Grundlage seiner Verfahren, während er das Prinzip der Allopathie der von ihm abwertend als „Schulmedizin“ bezeichneten Arzneiform zuschrieb. Ein Grund, warum diese Terminologie von Mediziner*innen heute als problematisch aufgefasst wird.

GastautorIn

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