Der Film Sleepwalker (1992) beruht auf einem Drehbuch von Stephen King. Die Geschichte ist nicht nur voller literarischer Querverweise, sondern nimmt auch Bezug auf verschiedene mythologische Vorstellungen, wobei im Folgenden der Fokus auf Katzen liegen soll.
Handlung
Dem Film ist ein fiktiver Lexikoneintrag vorangestellt. Schlafwandler werden als Kreaturen beschrieben, die ihre äußere Form verändern können und sich von der Lebensenergie jungfräulicher weiblicher Menschen ernähren. Ausschließlich Katzen stellen für sie eine tödliche Bedrohung dar, weil sie deren wahre Identität erkennen können. Wahrscheinlich sind Schlafwandler der Ursprung der Vampir-Legende.
In einem verlassenen Haus in Kalifornien wird neben einem Leichnam eine Vielzahl grausam getöteter Katzen gefunden.
Kurze Zeit später: Mary Brady (Alice Krige) und ihr Sohn Charles (Brian Krause) ziehen in das idyllisch gelegene Travis. Beide verbindet auch eine inzestuöse Beziehung, die letztlich der eigenen Arterhaltung dient: Sie sind die letzten Vertreter der Schlafwandler und nur Charles könnte einen potentiellen Nachfolger zeugen.
Charles Mitschülerin Tanya Robertson (Mädchen Amick) verliebt sich in den attraktiven Schlafwandler. Dieser tötet in der Folge seinen Klassenlehrer (Glenn Shadix), da diesem Ungereimtheiten in Charles’ Lebenslauf aufgefallen waren. Charles verwandelt sich in eine Werkatze, jagt den Lehrer durch einen Wald und beißt ihm schließlich die Kehle auf.
Als Mary ihren Sohn Charles dazu drängt, Tanyas Lebensenergie zu rauben, eskalieren die Ereignisse. Der Kater Clovis, der Charles’ wahre Identität kennt, eilt Tanya zu Hilfe.
Die Katzen von Ulthar
„Denn kryptisch ist die Katze und seltsamen Dingen nah, welche die Menschen nicht zu sehen vermögen. Sie ist die Seele des antiken Aegyptus und Trägerin der Erzählungen aus vergessenen Städten in Meroë und Ophir. Sie ist die Verwandte der Herrscher des Dschungels und Erbin der Geheimnisse des uralten und finsteren Afrika. Die Sphinx ist ihre Cousine und sie spricht ihre Sprache; doch ist sie noch älter als die Sphinx und erinnert sich an das, was jene vergessen hat.“
(H.P. Lovecraft, Die Katzen von Ulthar, S. 3)
H.P. Lovecrafts 1920 erschienene Kurzgeschichte Die Katzen von Ulthar (The Cats of Ulthar) handelt von einem älteren Ehepaar, das Katzen grausam quält und tötet. Eines Tages verschwinden sämtliche Katzen in der Gegend, um kurze Zeit später wohlgenährt zurückzukehren. Von dem Ehepaar werden nur Skelette gefunden. Seitdem ist es in Uthar verboten, Katzen zu töten.
Auch Sleepwalker endet wie Lovecrafts Erzählung: Die Katzen versammeln sich vor dem Haus von Mary und Charles, die nur noch in ihrer wahren Gestalt als Schlafwandler zu sehen sind, und nehmen Rache für das ihnen zugefügte Leid. Katzen gehören bei Lovecraft zu den wenigen Lebewesen, die sich in den Traumlanden bewegen können. Sie werden beschützt von Bast, einem der Alten Götter.
Lovecraft nimmt mit Bast offenbar Bezug auf die ägyptische Mythologie, in der die Fruchtbarkeitsgöttin Bastet als Mischwesen mit menschlichem Körper und einem Löwenkopf dargestellt wird. Tote Katzen wurden in Bubastis und anderen Kultstätten Bastets bestattet. Dieser Mythos scheint auch Stephen King’s Pet Sematary beeinflusst zu haben: eine überfahrene Hauskatze und schließlich auch verstorbene Menschen kehren von der titelgebenden, indigenen Kultstätte der Micmacs als Untote zurück.
Der schwarze Kater Pluto
Sleepwalker enthält auch verschiedene Bezüge zu Edgar Allan Poes klassischer Erzählung The Black Cat (1843). Am Tag vor seiner Hinrichtung berichtet der alkoholkranke Ich-Erzähler, wie er seine Ehefrau tötete und den Leichnam in seinem Haus einmauerte. Dieser wurde aufgrund von Lauten des Katers Pluto – benannt nach dem römischen Gott der Unterwelt – entdeckt.
Der Erzähler quälte häufig seine Tiere und stach eines Nachts seinem Kater ein Auge aus. Diese Szene zitiert auch Sleepwalker, als Tanya Charles einen Korkenzieher ins Auge rammt. Das in der Poe-Erzählung schließlich vom Ich-Erzähler getötete Tier scheint in einem einäugigen Kater wiedergeboren worden zu sein. Pluto kennt wie später auch der Kater Clovis in Sleepwalker den Urheber der Vergehen, was in der Geschichte symbolisch als Bestrafung gedeutet wird.
Zu Beginn erwähnt Poes Ich-Erzähler beiläufig, seine Frau habe häufig von der Legende gesprochen, dass schwarze Katzen in Wahrheit verwandelte Hexen seien. Die griechische Jagdgöttin Artemis soll laut Ovid (Metamorphosen 5,319) und Antoninus Liberalis (Sammlung von Verwandlungen 28) die Fähigkeit besessen haben, sich in eine Katze zu verwandeln. Wahlweise wird der Streitwagen der römischen Göttin Kybele bzw. der nordischen Göttin Freya von Löwen oder (Raub-)Katzen gezogen.
Diese zunächst positiv besetzten Mythen wurden im ausgehenden Mittelalter und der frühen Neuzeit dahingehend umgedeutet, Katzen zu dämonisieren und als Begleiterinnen von Hexen darzustellen. Wie bereits in der Stephen-King-Verfilmung Cat’s Eyes (1985, Regie: Lewis Teague) treten auch in Sleepwalker Katzen als Beschützer der Menschen auf.
Cameo-Auftritte
Mit Ron Perlman als Captain Soames wurde ein Darsteller besetzt, der bereits in der Fernsehserie Beauty and the Beast (1987-1990) die Rolle des aristokratischen Löwenmenschen Vincent verkörpert hatte. Darüber hinaus sind mehrere bekannte Regisseure des Horror-Genres in kleinen Nebenrollen zu sehen.
Joe Dante, bekannt für The Howling (1981) und John Landis, der sowohl mit An American Werewolf in London (1981) als auch mit dem Video-Clip zu Thriller (1983) ebenso wie Dante neue Akzente bezüglich der Mythen um Werwölfe und Werkatzen setzte, sind als Labormitarbeiter zu sehen.
Clive Barker (s.u.) und Tobe Hooper, der mehrmals Vorlagen von Stephen King verfilmte, etwa den Vampir-Klassiker Salem’s Lot (1979) und später The Mangler (1994), spielen Techniker im Labor. Stephen King selbst tritt im Film als Leichenbestatter auf.
Exkurs: Antikenrezeption bei Clive Barker
Clive Barker ist als Autor und Regisseur bekannt, der gerne eigene Mythologien erschafft. Hellraiser (1987) enthält beispielsweise deutliche Anklänge an die Faust-Sage: Frank Cotton wird mit dem Öffnen einer Würfel-Box als moderner Variante des Teufelspaktes in die Welt der Cenobites gezogen und dabei von Ketten zerrissen, was wiederum eine deutliche Anspielung an den Dionysos-Mythos darstellt.
Auch Vampir-Elemente sind sowohl bei Hellraiser als auch in Barkers zweitem Langspielfilm Nightbreed (1990) präsent. So benötigt Frank in Hellraiser Blut, um sich wieder regenerieren zu können. Aaron Boone erlangt in Nightbreed Unsterblichkeit durch den Biss eines Untoten und weil die Gottheit der titelgebenden Nightbreed ihn mit Blut benetzte.
Die Stadt Midian, in der die Gestaltenwandler in Nightbreed leben, befindet sich unter einem alten Friedhof. Auch bei Sleepwalker ist die teils romantisierte Darstellung von Friedhöfen von zentraler Bedeutung. Charles und Tanya fotografieren Grabinschriften. Auf dem Friedhof enthüllt Charles auch erstmals gegenüber Tanya seine wahre Identität.
Nightbreed und Sleepwalker sind sich äußerst ähnlich, auch wenn letztere deutlich negativer gezeichnet werden: sie sind ausgestoßen, marginalisiert und kämpfen um ihr Überleben.
Katzenmenschen
Stephen King selbst beschreibt den Mythos seines fiktiven Charakters: „Die Schlafwandler sind tatsächlich existierende Kreaturen, denen wir Menschen die Legenden von Vampiren und Werwölfen zu verdanken haben. Es sind Wesen, die ihre Gestalt verändern können, Wesen, die etwas von Menschen, Katzen und schließlich Reptilien in sich tragen. Sie lieben es, in menschlicher Umgebung zu leben, und brauchen schließlich die Energie menschlicher Jungfrauen, um überleben zu können.“1
Charles und seine Mutter sollten laut Regisseur Mick Garris nicht nur als Monster, sondern auch mit menschlichen Zügen dargestellt werden. Dies wird besonders deutlich an der verzweifelten Darstellung Marys. Sleepwalker ist eine deutliche Hommage an Cat People (1942, Regie: Jacques Tourneur) und dessen Neuverfilmung (1981, Regie: Paul Schrader).
Auch Cat People enthält eine eigene Mythologie: die von dem serbischen König Georg verfolgten Hexen und Magier flüchteten in die Berge und wurden dort zu Katzenmenschen. Ebenso wie später in Sleepwalker sind es Katzen, die die wahre Identität der Katzenmenschen erkennen.
Neben dem Werwolf ist die überwiegend weiblich konnotierte Figur der Werkatze wahrscheinlich die bekannteste Tiermenschen-Gestalt im Horror-Genre, die auch als verdrängte animalische Sexualität gedeutet werden kann. Oft leiden diese Figuren existenziell an ihrem eigenen Anderssein. Diese tragische Aura und die Figurenkonstellation Mutter und Sohn rückt Sleepwalker in die Nähe des Grendel-Mythos aus der Beowulf-Legende.
Fazit
Katzen sind ein häufiges Thema in der phantastischen Literatur und im Horrorfilm, was teilweise auf antike Vorstellungen von Fruchtbarkeits- und Jagdgottheiten zurückzuführen ist. Sleepwalker ist ein gelungenes Genre-Beispiel über die Faszination, die Mythen über Katzen bis zur Gegenwart ausüben.
Verwendete Literatur:
Die Miskatonic-Universität präsentiert: H.P. Lovecrafts Die Katzen von Ulthar (Übersetzung: Niklas Bischofberger). URL: https://wirlesenlovecraft.com/wp-content/uploads/2021/09/die-katzen-von-ulthar.pdf
Loderhose, Willy (1993): Das große Stephen-King-Film-Buch. Bergisch Gladbach.
Poe, Edgar Allan (2004): Die schwarze Katze und andere Verbrechergeschichten. Zürich. 7. Auflage.
Vossen, Ursula (2004) (Hrsg.): Filmgenres Horrorfilm. Stuttgart.
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