Veröffentlicht: 6. Februar 2018 – Letzte Aktualisierung: 8. Februar 2022
Heir to the Empire ist der Titel des ersten Bands von Timothy Zahns Großadmiral Thrawn-Trilogie, die etwa 5 Jahre nach der Schlacht bei Endor spielt und somit im Star Wars Legends-Universum die Fortsetzung von Episode VI darstellt.
Die offensichtlichste Antikenrezeption stellt die Benennung zweier Raumschiffe dar. So ist die Chimaera das Flaggschiff von Großadmiral Thrawn, während ein weiteres Schiff des Imperiums den Namen Nemesis trägt. Die übrigen Raumschiffe des Buches tragen Namen, die nichts mit der Antike zu tun haben, sondern allgemein bedrohlich wirken sollen wie etwa Inexorable (Gnadenlos), Judicator (in der deutschen Version Vollstrecker), Death’s Head (Totenkopf) oder Stormhawk.
Die Chimaira (oder Chimäre) war ein feuerspeiendes Ungeheuer, das in der Mitte den Körper einer Ziege hatte, während der Kopf von einem Löwen und der Hinterkörper von einer Schlange stammte. Im heutigen Sprachgebrauch versteht man davon abgeleitet unter einer Schimäre ein Trugbild. Die Nemesis haben wir an anderer Stelle schon ausführlich besprochen, sodass wir sie hier knapp als Göttin der Rache vorstellen können. Wie sich jedenfalls zeigt, reihen sich die der griechischen Mythologie entlehnten Begriffe von ihrer Bedeutung her sehr gut in die übrige Namensgebung der imperialen Schiffe ein, auch wenn es streng genommen ein bisschen sonderbar anmutet, dass Raumschiffe des Star Wars-Universums nach Figuren der griechischen Mythologie benannt sind, da Star Wars ja nichts mit unserer Erde zu tun hat.
Wie Timothy Zahn in einer Antwort auf einen Leserbrief mitteilte, ist Großadmiral Thrawn nicht an eine konkrete historische Figur angelehnt, sondern eine Mischung aus mehreren hervorragenden Feldherren wie Hannibal, Alexander der Große, Robert E. Lee oder Erwin Rommel. So kommt im Buch meines Erachtens nach auch keine konkrete Situation vor, die direkt an eines dieser Vorbilder erinnert. Durch den von Thrawn selbst aufgeworfenen Bezug zu Alexander dem Großen könnte man den Namen des Captains der Chimaera, Pellaeon, auf den makedonischen König beziehen, könnte sich der Name doch von Pella, der Hauptstadt Makedoniens ableiten. Tatsächlich ist der Captain jedoch nach Pelleas benannt, einem jungen, idealistischen Ritter von König Arthurs Tafelrunde, wozu auch sein Vorname Gilad passt, der ein bisschen an Sir Galahad erinnert.
Während wir im Fall der Schiffe den Grad der Antikenrezeption eher als „namedropping“ einstufen können und der Bezug zu Hannibal und Alexander auch recht allgemein ist, finden wir im 19. Kapitel einen komplexeren Fall vor, als Luke Skywalker in einen ihm unbekannten Raum geführt wird:
„Mara ushered him inside – And into a scene straight out of ancient legend. For a moment Luke just stood in the doorway, staring. The room was large and spacious, its high ceiling translucent and crisscrossed by a webwork of carved rafters. The walls were composed of a dark brown wood, much of it elaborately open-mesh carved, with a deep blue light glowing through the interstices. Other luxuries were scattered sparingly around: a small sculpture here, an unrecognizable alien artefact there. Chairs, couches, and large cushions were arranged in well-separated conversation circles, giving a distinctly relaxed, almost informal air to the place. But all that was secondary, taken in peripherally or at a later time entirely. For that first astonishing moment Luke’s full attention was fixed solidly on the tree growing through the center of the room. Not a small tree, either, like the delicate saplings that lined one of the hallways in the Imperial Palace. This one was huge, a meter in diameter at the base, extending from a section of plain dirt floor through the translucent ceiling and far beyond. Thick limbs starting perhaps two meters from the ground stretched their way across the room, some of them nearly touching the walls, almost like arms reaching out to encompass everything in sight.“
Da Zahn sofort zu Beginn der Szene von „ancient legend“ spricht, ist man gedanklich nach der Beschreibung des Raums schnell beim Schlafgemach des Odysseus angekommen, wie es in der homerischen Odyssee beschrieben wird:
„Drin im Gehege wuchs ein blätterbreitender Ölbaum, Ausgewachsen und voll, an Umfang wie eine Säule; Rings um diesen erbaut ich das Schlafgemach, bis es vollendet, Aus dicht schließenden Steinen, es oben gut überdachend; Türen setzte ich ein da, dichtgefügte, verbundne, Schnitt dann ab das Laub des blätterbreitenden Ölbaums, Hieb den Stamm zurecht von der Wurzel her, glättete rings ihn Fachgerecht mit dem Erz und machte ihn grad nach der Richtschnur, Kunstvoll zum Pfosten am Bett, ihn ganz mit dem Bohrer durchbohrend. So begann es, so schuf ich das Bett, bis es vollendet, Zierte es noch mit Gold, mit Elfenbein und mit Silber, Und zog ein einen Gurt aus purpurnem Leder vom Rinde.„
Hom. Od. 190-201 (Übersetzung Roland Hampe, Reclam)
Dabei muss natürlich offenbleiben, ob Zahn sich hier bewusst auf die Odyssee bezieht oder ob er eine Inspirationsquelle nutzte, die vielleicht ihrerseits auf dem homerischen Werk basiert. Da die Odyssee jedenfalls die älteste (mir bekannte) Geschichte ist, die einen solchen Baum beinhaltet, ist es sehr gut möglich, dass sie letztlich die (Ur-)Vorlage für die Darstellung in Heir to the Empire gebildet hat. Das „ancient legend“ scheint mir jedenfalls ein Indiz dafür zu sein, dass Zahn sich womöglich bewusst auf die Odyssee bezieht. [Ich werde das mal recherchieren und dann hier nachtragen.]
Als ob das alles nicht schon kompliziert genug wäre, legt Zahn kurz darauf noch eine Schippe drauf, wenn er schreibt:
„There were stories he remembered from his childhood about fortresses with trees growing up through them. Frightening stories, some of them, full of danger and helplessness and fear. And in every one of those stories, such fortresses were the home of evil.“
Zunächst fühlt sich Luke also in eine antike bzw. alte Legende versetzt, die ihn staunen lässt und die er mit nichts Negativem verbindet. Danach kommen ihm dann Geschichten aus seiner Kindheit – vermutlich Märchen – in den Sinn, durch die er denselben Raum plötzlich als potentielle Gefahr wahrnimmt. Somit aktiviert ein und dieselbe Situation innerhalb seines kulturellen Gedächtnisses gleich zwei Erinnerungen an unterschiedliche Erzähltraditionen, die jeweils einen gewaltigen Baum im Inneren eines Gebäudes beinhalten. Dies ist ein geschickter literarischer Kniff, da der Hausherr, der Schmuggler Talon Karrde, sich sehr freundlich gibt, was zum gemütlichen Raum passt, den Luke zuerst wahrnimmt. Letztlich ist es aber dennoch ein ihm unbekannter Schmuggler mit undurchsichtigen Interessen, dem der Jedi zu diesem Zeitpunkt relativ schutzlos ausgeliefert ist, weshalb für den Aufbau von Spannung die Erinnerung an die Märchen wichtig ist. So gesehen baut Zahn hier also den bekannten Umstand, dass ein ursprüngliches Erzählmotiv im Laufe der Zeit in völlig unterschiedlichen und teilweise sogar widersprüchlichen Versionen vorliegen kann, auf sehr kluge Weise in seinen Erzählstrang ein.
Somit ist die Szene mit dem Baum aus rezeptionsgeschichtlicher Perspektive in vielerlei Hinsicht sehr spannend. Sollte es sich um eine bewusste Anspielung auf die Odyssee handeln, zeigt die Stelle einmal mehr, wie intelligent und vielschichtig man antike Motive in moderne Werke einpflegen kann. Sollte es keine bewusste Anspielung sein, ist es ein schönes Beispiel dafür, wie sich Aspekte, deren Ursprung unseres Wissens nach in der Antike liegen (ggf. sind sie ja noch viel älter), verselbständigen können, indem sie irgendwann so fest in unserer Kultur verankert sind, dass man sie sogar verwenden kann, ohne die antike Grundlage zu kennen.
Ich bin gespannt, ob sich in den Bänden 2 und 3 der Thrawn-Trilogie weitere derart interessante Dinge finden lassen. Besonders Talon Karrde werde ich im Auge behalten, dessen Ideal der Gastfreundschaft sehr an das der griechischen Antike erinnert. Dazu in Kürze mehr.
Hier geht es zu Band 2 und Band 3 der Reihe.
- Römische Blutsauger: Tote beißen nicht (Libri I-III) - 29. November 2024
- Die Bibliothek von Alexandria in „The Atlas Six“ - 28. Oktober 2024
- [Fantastische Antike – Der Podcast] Progressive Phantastik - 21. September 2024
Sehr interessante Analyse. Sollte ich mal wieder lesen.
Ja, ist richtig gut. Ich bin jetzt sehr gespannt auf Band 2.
Leider hat es das ganze EU nicht ins Kino geschafft *schnief*
Oh Mara Jade, oh Corran Horn, oh Thrawn …
Mara Jade vermisse ich auch 😉 Thrawn ist ja Bestandteil des neuen Kanon, wenn auch natürlich leider nicht hinsichtlich der Geschichte aus der Thrawn-Trilogie. Timothy Zahn hat doch für Disney gerade ein neues Buch über seine jungen Jahre geschrieben, oder?
Das weiß ich gar nicht. Mit dem letzten Star Wars Film bin ich ja nicht so glücklich.
Als Film fand ich Episode 8 grundsätzlich ziemlich gut. Ist für mich halt nur kein richtiges Star Wars mehr 😉
stimmt
Dieses Buch könnte ebenfalls interessant sein:
https://www.winter-verlag.de/de/detail/978-3-8253-6803-6/Busch_Velten_Hg_Literatur_des_Mittelalters/
Danke! Das kannte ich noch gar nicht!