Kronos (Kurzgeschichte von Talianna Schmidt)

Talianna Schmidt vom The Highway Tales-Blog kennt sich sehr gut mit Werken der Phantastik aus, weshalb es nicht sehr überraschend ist, dass sie die mit Abstand fleißigste Kommentatorin meiner Beiträge ist. Es kommt aber noch hinzu, dass Talianna auch sehr schöne Geschichten schreiben kann, von denen ich Euch hier eine präsentieren darf, die thematisch hervorragend zu meinem Blog passt. Mit „Kronos“ eröffne ich somit die neue Rubrik „Fiktion“, in der in Zukunft weitere phantastische Geschichten mit Bezug zur Alten Geschichte veröffentlicht werden sollen. Es würde mich – und vermutlich auch Talianna – freuen, wenn Ihr unten in den Kommentaren Eure Eindrücke und ggf. Eure Interpretationen anfügen würdet. Kommen wir aber nun endlich zur eigentlichen Geschichte:

„Es hat begonnen. Am Strand haben sie sich versammelt, eine bunte Menge verschiedenster Gestalten, vereint im Grund ihrer Versammlung. In regelmäßiger Folge dröhnen die Schläge des gewaltigen Hammers, begleitet von Blitzen und Donner. Auf einem titanenhaften Amboss wächst es langsam, ein schmiedeeisernes Kreuz, dreimal mannshoch. Der Querbalken spannt sich drei Schritt breit, gestützt von einem eisernen Kreis um den Kreuzungspunkt herum. Weniger laut dröhnen die Schläge, als der hinkende Schmied nun feiner arbeitet, Ringe und Vertiefungen, auch eine kleine Plattform unterhalb des Kreuzungspunktes an das Metall schmiedet. Die Menge erschauert unter jedem dieser feineren Schläge, drängt sich näher an die Esse, umgeben von geschmolzenem und wiedererstarrtem Sand, wie dunkles, rauchiges Glas. Nun richtet er sich auf, wortlos nimmt er das schwere Kreuz und reicht es anderen. Leichte Schläge des Hammers auf dem Amboss begleiten das Schmieden von weiteren Ringen, während sie das Kreuz in die Brandung tragen, um es in den Sand zu rammen. Und wieder klingen kräftige Schläge, als sie das Kreuz aufrichten, tief hineinrammen, bis aus der Tiefe der Klang berstenden Gesteins zu hören ist, bis das Kreuz aufrecht selbst der anrennenden Schulter des wilden Mannes mit dem Dreizack trotzt.

Unruhe geht durch die Menge, als sie das Opfer aus dem Palmenhain heranzerren: Eine Frau mit Lanze und eine weitere mit Bogen, sie treiben eine geschundene Gestalt vor sich her. Zerrissen das Gewand, ein groteskes Bild aus Mieder, falschem Fleisch und geschundener echter Haut, kaum mehr ein Schatten eines Wesens, die gebrochenen Augen mit einem Tuch verbunden, so treiben sie das Opfer zur Schmiede. Der Schmied erwartet es bereits, nimmt die schmalen Arme in die groben, großen Hände und legt sie auf den Amboss, ein breiter Reif mit einem Ring wird um das Gelenk gelegt. Und dann saust er herab, der Hammer, noch bevor das heiße Eisen die Haut versengt, ist es bereits um das Gelenk geschlossen. Nur ein schwaches Zucken zeigt den Schmerz der geschundenen Gestalt, brennendheiße Eisen legen sich um seine Gelenke, jedes einzelne, und dann lässt der Schmied endlich seinen Hammer sinken. Sichtbar zerren die Eisen an der schwachen, abgemagerten Gestalt, die nun von Kriegerin und Jägerin weitergezerrt wird, zum Wasser hin. Durch die Brandung tragen sie das Opfer mehr als es selbst geht, und dann heben sie es an. Haken fahren in Ringe, und dann ist es vollbracht. Ein jämmerliches Konglomerat von falschem Fleisch, Kleidern und einem ausgemergelten Körper hängt am Kreuz, der Kopf auf die Brust gesackt. Betretenes Schweigen macht sich in der Menge breit, die am Strand die Kreuzigung verfolgt. Dann tritt einer davon vor, ein Nomade aus der Wüste, er tritt ins Wasser und unter das Kreuz, reckt seine Arme empor, seine Hände unter den Rock des gekreuzigten, hebt den Blick empor. Die Gestalt am Kreuz, sie zuckt in Agonie, als die Hände sich zu bewegen beginnen. Doch immer weiter bewegen sich die Hände des Nomaden, und immer heftiger zuckt die Gestalt am Kreuz. Doch dann tritt eine Gestalt mit einem Schwert hinzu. Zwei schnelle Streiche und armlos steht der Nomade, armlos fällt er in die Brandung. Ein weiterer Streich zerreißt den Rest des Gewands des Hängenden, ein letzter Streich, und etwas Blutiges stürzt aus dem Schoß des Gekreuzigten.

Noch lange harrt die Menge am Strand, noch lange wacht der mit dem Schwert über die hängende Leiche, bis der Schmied das leblose Fleisch vom Kreuze schlägt. Durch den blutigen Schaum der Brandung tragen sie den entmannten Körper in eine Höhle am Strand. Die Menge zerstreut sich langsam, als ein gewaltiger Fels vor den Eingang gerollt wird.

Zwei Tage sind vergangen. Ein wilder Sturm fegt über das Land und die Küste. Unter der Urgewalt der Brandung und des Windes ducket sich das Land, wie auch seine Bewohner – selbst der Schmied und der Kreuzigende mit dem Dreizack sind in ihren Heimstätten geblieben, dorthin getrieben von dem furchterregenden Unwetter. Die ganze Nacht wütet der Sturm an der Küste und hält den gesamten Landstrich in Atem, erst kurz vor dem Morgengrauen geht der prasselnde, vom Sturm getriebene Hagel in sanften, warmen Regen über und Blitz und Donner machen sanfteren Geräuschen Platz.

Die Kriegerin und die Jägerin brechen nun auf, um zum Strand zu gehen – und Opfer des Unwetters zu retten. Als sie den Strand erreichen, dämmert gerade die Morgenröte sanft herauf – und noch immer schwimmt blutiger Schaum auf den Wellen, die sich am Kreuz brechen, das Wasser ist wie von Perlmuttglanz überzogen. Zwischen den angetriebenen Fischleibern, zwischen all dem Treibgut und sogar ganzen Felsbrocken und Schiffswracks wird von den Wogen ein zarter, schlanker Körper immer weiter den Strand hinaufgetrieben. Langsam leckt das Meer, lecken die Wogen den roten Schaum von perlmuttglänzenden Hüften, einer schlanken Taille und vollen Brüsten, zerzausen rotbraunes, feuchtes Haar und spülen über gestreckte Beine hinweg. Die Jägerin und die Kriegerin eilen zu dem Körper hin, sehen den Atem des Mädchens und hüllen es rasch in ein Tuch, um die Angespülte zum Dorf zu tragen, während der rote Schaum nun endlich auf den Wogen zerfällt.

Hinter dem Palmenhain entringt sich dem Schmied ein entsetzter Schrei über dem leeren Grab in der vom Sturm ihres steinernen Siegels beraubten Höhle.“

Botticelli: La nascita di Venere (public domain)

GastautorIn

3 Kommentare zu „Kronos (Kurzgeschichte von Talianna Schmidt)

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  1. Eine tolle neue Rubrik 🙂

    Generell halte ich Kurzgeschichten für eine sehr anspruchsvolle Gattung. Diese hier hat mir sehr gut gefallen! Sie glänzt mit Atmosphäre, aber vor allem zeigt sie was für wunderbare Wörter die deutsche Sprache enthält. Ein toller Schreibstil! Ich schaue direkt mal bei ihr auf der Seite vorbei 🙂

  2. Liebe Steffi, es freut mich, dass Dir der „Kronos“ gefällt. Mein Blog ist nicht ganz so literarisch – leider. Der verwendete Wortschatz variiert natürlich abhängig vom Thema, aber gerade beim Arbeiten mit antiken Themen kann man sich da wirklich austoben.

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