Veröffentlicht: 25. April 2018 – Letzte Aktualisierung: 8. Februar 2022
Es war eine Zeit reich an Zauberern und Adepten dunkler Künste, doch einer war unter ihnen der größte. Es war eine Zeit der Krieger und der Schwertkämpfer, doch einer war stärker als alle. Seine mächtige Gestalt wirkte wie ein Relikt aus grauer Vorzeit. Sein Haar war rot wie das Blut seiner Feinde. Und in seinen blauen Augen brannte unauslöschlich ein alles verzehrendes Feuer. Das Zeichen des Kane. Kane, der Unsterbliche. Kane, der Verfluchte.
Dieser Klappentext der ersten von zwei Bastei Lübbe-Ausgaben mit gesammelten Kurzgeschichten von Karl Edward Wagners „Kane“ fasst ziemlich gut zusammen, was einen erwartet, wenn man Kane auf seinem Weg durch die Jahrhunderte begleitet. [Und irgendwie finde ich den Klappentext heute noch so toll wie damals als Teenager.]
Im Verlauf der einzelnen Geschichten erhalten die Leserinnen und Leser immer wieder kleinere Informationen darüber, wer dieser Kane eigentlich ist: Von einem verrückten Gott erschaffen, tötet Kane im Zorn seinen Bruder Abel und wird dafür mit Unsterblichkeit bestraft. So kann er zwar als Folge selbstausgelöster Gewalt getötet werden, doch kann er keines natürlichen Todes sterben oder körperlich altern, sodass er seit Anbeginn der Menschheit durch die Welt zieht und dabei immer mehr Wissen sammelt und Fertigkeiten erlernt. Dabei hat mir immer besonders gut gefallen, dass Kane ein tödlicher Schurke ist, der stets den eigenen Vorteil im Blick hat und bedenkenlos raubt, betrügt und mordet, um seine Ziele durchzusetzen. Er ist gleichzeitig höchst intelligent, kulturell äußerst bewandert und ein muskelbepackter Schwertmeister, der zudem noch einiges von Magie versteht. Es handelt sich bei ihm also um einen klassischen Antihelden, was sich auch darin widerspiegelt, dass seine Pläne letztlich immer zum Scheitern verurteilt sind. Dazu passen dann auch optisch sein rotes Haar und der Umstand, dass Kane Linkshänder ist, was beides gelegentlich als negatives Attribut aufgefasst wird.
Photo: Michael Kleu
Es ist mehr als offensichtlich, dass Kane eine Fantasy-Variante des biblischen Kain ist. Dieser ist bekanntlich der älteste Sohn der ersten Menschen, also Adam und Eva, und erschlägt aus Neid seinen jüngeren Bruder Abel, was ihn zum ersten Mörder macht. Zur Strafe wird er vom jüdisch-christlichen Gott verstoßen, jedoch mit einem besonderen Zeichen versehen, dem sogenannten Kainsmal, das ihn davor bewahren soll, als verstoßener Brudermörder selbst einer Gewalttat zum Opfer zu fallen. Anders als Kane findet Kain die Möglichkeit fortzuziehen und eine Familie zu gründen, deren Mitglieder – je nach Tradition – mindestens bis zu Sintflut existieren, vielleicht sogar länger.
Das gerade angesprochene Kainsmal, das in der jüdisch-christlichen Überlieferung nicht genauer beschrieben wird, übernahm Karl Edward Wagner, indem er seinen Kane mit blauen Augen versah, in denen unauslöschlich ein alles verzehrendes Feuer brannte, wie wir eben im Klappentext erfahren haben. Grundsätzlich erweist sich Wagners Adaption der biblischen Vorlage als äußerst geeignet für einen Antihelden der Fantasy-Literatur. Zunächst einmal dürfte Kains Schicksal einem Großteil der Leserschaft vertraut sein, wodurch Kane automatisch eine biblische Aura anhaftet. Damit verbunden ist der Umstand, dass Kane wie Kain der älteste Sohn der ersten Menschen ist, was ihm etwas Urzeitliches oder Prähistorisches verleiht. Für einen Antihelden bietet es sich natürlich geradezu an, dass Kain und Kane nicht nur die ersten Mörder ihrer jeweiligen Welten sind, sondern darüber hinaus auch noch ausgerechnet die eigenen Brüder ihre Opfer waren. Durch die Unsterblichkeit, mit der Wagner seinen Kane in seiner Interpretation des Kainsmals versieht, ist es zudem plausibel, dass dieser sich im Laufe der Jahrhunderte ungeheures Wissen und vielerlei Fertigkeiten angeeignet hat, wodurch er zu einer besonders tödlichen Gefahr wird.
Dass Kane zur Unsterblichkeit verflucht ist, führt uns erneut zum Motiv des Ewigen Judens bzw. des Ewigen Wanderers, das wir bereits beim Star Wars-Roman „Dark Force Rising“ und bei Dan Simmons‘ „Ilium“ und „Olympos“ kennengelernt haben.
Es gibt noch spätere Geschichten, die Kane auch in anderen Zeitebenen agieren lassen, die ich jedoch noch nicht gelesen habe. Hier sei zunächst nur festgehalten, dass die Geschichten Kanes, die in den oben abgebildeten Ausgaben der beiden Bastei Lübbe-Ausgaben gesammelt sind und in einer klassischen Sword & Sorcery-Fantasy-Welt spielen, noch einiges mehr an Antikenrezeption zu bieten haben, was jedoch in späteren Artikeln behandelt werden wird, während an dieser Stelle der Fokus auf Kane und seiner biblischen Vorlage liegen soll.
Wagner ist übrigens nicht der Einzige, der auf die Idee gekommen ist, den biblischen Kain zu adaptieren. So finden sich Versionen von ihm z.B. in den Fernsehserien Supernatural und Lucifer, dem Rollenspiel Vampire: The Masquerade sowie in der Command & Conquer-Reihe (in der Wikipedia findet sich eine ausführlichere Liste der Adaptionen).
Beenden wir den heutigen Artikel wie wir ihn begonnen haben, indem wir einen blick auf den Klappentext des zweiten Bandes der Bastei Lübbe-Ausgabe werfen:
Wie ein Schatten des Bösen zog sich seine dunkle Spur durch die Jahrhunderte – eine Legende aus der tiefsten Nacht der Vorvergangenheit, eine Gestalt von urtümlicher Kraft und unbändigem Willen. Krieger. Magier. Mörder. Ein Mann, wie es ihn nur in den Mythen alter Zeiten gab. Doch Kane lebt. Und als die Macht der Finsternis erneut erstarkt, setzt er sich an die Spitze eines Kreuzzugs des Bösen, der die Welt erzittern läßt. Kane, der Verfluchte, lebt. Wird er niemals sterben?
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Ah, bei all den Kain-Referenzen wollte ich unbedingt „Vampire“ ansprechen, aber Du hast das ja schon selbst getan 🙂
Ich glaube, der Antiheld Kane spricht mich nicht ganz so sehr an, aber das macht ja nichts. Als andere Kains-Adaption in der Fantasy im Gegenstück zum mir vertrauten „Vampire“ aber sehr interessant!
Ich musste an Dich denken, als ich das schrieb, weil es ja normalerweise Dein Job ist, auf Vampire hinzuweisen 😉
Ich muss unbedingt mal wieder an all die Chroniken, die ich für die Kainskinder meiner Spieler geschrieben habe … 😀
Wieder ein super Beitrag, ich fühle mich nach deinen Artikeln immer so viel schlauer und auch um einiges nerdiger als zuvor, aber ich liebe es 😀
Mir ist auch sofort die Serie Lucifer in den Sinn gekommen, die du ebenfalls erwähnt hast und die ich ja total gerne mag.
Die Geschichte des Kain/Kane ist aber auch ein gefundenes Fressen für die fantasy Branche die sowohl bei Büchern als auch Filmen bei den Konsumenten immer zieht (mich eingeschlossen ;))!
Liebe Grüße, Kay
http://www.twistheadcats.com
Lucifer muss ich mir auch noch anschauen. Es gibt so viel zu tun, ich weiß gar nicht, wann 😉
Da kann ich nur sagen lass dich von der ersten Folge nicht abschrecken, es dauert ein bisschen bis man reinkippt 😉