Hellboy, Hekate und die thessalischen Hexen

Hellboy in Rumänien

In „Wake the Devil“ besucht Mike Mignolas Hellboy auf der Suche nach dem Vampir Vladimir Giurescu ein Schloss in Rumänien, wo er auf den untoten Vater des Vampirs trifft. Der Alte ist äußerst gesprächig und erzählt Hellboy, dass eine zunächst nicht genauer beschriebene weibliche Person in Kürze kommen werde.

Die Unbekannte

Diese sei 1492 von griechischen Fischern aus einer Höhle gezogen worden, doch hätten die Männer nicht verstanden, wen sie da gefunden hatten, sodass sie den verwelkten und hart gewordenen Körper verbrennen wollten. Der alte Giurescu, der offensichtlich anwesend war, erkannte jedoch gleich, um wen es sich bei der Gefundenen handelte, kaufte sie den Griechen ab und brachte sie schließlich nach Rumänien, da er wusste, dass Wesen wie dieses nicht sterben, sondern gelegentlich in tausendjährigen Schlaf fallen.

In seinem Schloss badete er sie in Oxenblut, Milch, Honig und Ölen, bis ihr Körper wieder beweglich wurde. Auch errichtete er ihr einen Tempel. Weiter erfahren wir, dass die uns immer noch unbekannte Dame aus dem Schatten des Mondes geboren wurde und seit den ersten Menschen auf der Erde weilt. So habe sie gesehen, wie das Polareis Hyperboreia und die Ozeane Atlantis verschlungen haben (die Hyperboreaner waren ein mythisches Volk am Rand der Welt).

Auch sei sie die heimliche Königin von 100 Reichen gewesen. Endlich drückt der Alte Hellboy ein Buch in die Hand, in dem wir offenbar den Namen der weiblichen Gestalt erfahren: Lamia. Diese sei von Toth verflucht worden, sodass sich ihre Gestalt zur Hälfte geändert und sie von nun an kein Tageslicht mehr habe ertragen können.

Photo: Michael Kleu
Die Lamia und ihre Dienerinnen

Als Vladimir Giurescu eines Tages bei einem Unfall ums Leben kam, brachte sein Vater die Leiche in den von ihm errichteten Tempel, der im Comic deutlich griechisch-antik gestaltet ist. Hier opferte er alle seine Hunde und schließlich auch seine Diener, bis die Lamia Vladimir nach drei Tagen wieder zum Leben erweckte, wodurch er offenbar zum Vampir wurde.

Schließlich erfahren wir noch von dem Alten, dass die Dienerinnen der Lamia bereits gekommen seien. Die thessalischen Frauen würden sich hinter der Mondtür versammeln und der Mond sei bereits aufgegangen. Wenig später findet Hellboy eine mit einem Mond versehene Tür (=> Mondtür), hinter der sich Statuen von Frauen und schwarze Vögel befinden. Als sich die Vögel (und die Statuen?) allmählich in Harpyien verwandeln, dämmert Hellboy, was hier gerade geschieht: „Women of Thessaly. Damn! I knew that sounded familiar.“

Thessalische Hexen

In Form einer Erläuterung erfährt die Leserschaft, was Hellboy gerade bewusst wurde: Es handelt sich um thessalische Hexen, die laut der antiken griechischen Überlieferung in der Lage gewesen seien, den Mond auf die Erde herunterzuziehen und die Gestalt von Ungeheuern, Vögeln und anderen Tieren annehmen zu können. Außerdem ernährten sie sich von Leichen und Exkrementen und sollen über einen unstillbaren sexuellen Appetit verfügt haben.

Während Hellboy und die Hexen in Harpyiengestalt einander jedenfalls bekämpfen, geben letztere eine Art Gebet von sich: „Hellish, heavenly, and earthly Hecate, goddess of crossroads, witch queen, Gorgon-eyed terrible dark one … Thirsty for blood and the terror of mortal men … Gorgo, Mormo, Moon of a thousand forms …„. In diesem Kontext erwacht Vladimir Giurescu wieder zum Leben und bezeichnet Hekate als „blessed moon … mother … goddess …„.

Hellboy, der Vampir und die Göttin Hekate

Natürlich kommt es zum Kampf zwischen Hellboy und dem Vampir, wobei der Altar der Hekate zu Bruch geht und Giurescu durch diesen in das eigentliche Heiligtum flüchtet, wo zunächst Schlangen und dann schließlich Hekate persönlich erscheinen, nachdem der arg in Mitleidenschaft gezogene Vampir sie angerufen hat: „Infernal, terrestrial, and celestial Hecate, Goddess of Crossroads, queen of night, enemy of sun, friend an companion of darkness … mother … save your poor son.“ Es versteht sich von selbst, dass Hekate nicht sonderlich begeistert darüber ist, wie Hellboy ihren „Sohn“ zugerichtet hat.

Photo: Michael Kleu
Hellboy vs. Hekate

Also macht sie sich im Schloss auf die Suche nach ihm, wobei sei von den Hexen in Harpyiengestalt angekündigt wird: „Hail goddess of crossroads … witch queen; Gorgon-eyed Hecate … Hail Hecate. Hail Medea.“ Da Hellboy im Comic den Mächten der Finsternis seit Urzeiten als derjenige angekündigt wurde, der das Ende der Welt herbeiführen würde, betrachtet Hekate ihn zunächst als einen der ihrigen und versucht ihn zu überzeugen, sich ihr anzuschließen.

Bekanntlich schert sich Hellboy jedoch nicht sonderlich um die ihm eigentlich zugedachte Aufgabe, das Armageddon herbeizuführen, sondern rüstet sich zum Kampf gegen Hekate, wobei er bemerkenswerterweise anmerkt, dass er eigentlich nachsichtig mit ihr sein wollte, da sie eine Hauptfigur der Mythologie sei.

Bisher wurde immer nur der grüngehaltene Oberkörper Hekates gezeigt, wobei im Hintergrund gelegentlich griechische Gesichter und Satyrmasken erscheinen (s.u.). Nun zeigt sich jedoch, dass Hekate nur den Oberkörper einer Frau besitzt, während ihr Unterkörper dem einer gewaltigen Schlange entspricht. Schließlich spießt Hellboy Hekate im Kampf auf und stürzt sich mit ihr aus dem Fenster, wo das Tageslicht sie schließlich vernichtet (s.o.).

Die Lamia in der giechischen Mythologie

Versuchen wir, ein bisschen Ordnung in diesen mythologischen Mix zu bekommen. Zunächst wird uns Hekate als Lamia vorgestellt, bei der es sich um einen weiblichen Geist handelt, die besonders in Bezug auf Angriffe auf Kinder in Erscheinung tritt, wobei sie in späteren Quellen auch Männer verführt und ins Unglück stürzt. Im engeren Sinne ist sie eine Geliebte des Zeus gewesen, deren Kinder von Hera getötet werden, jedoch wird der Begriff Lamia auch allgemein für hässliche oder monströse Frauen verwendet, da sie später ein Schlangenhaupt erhält.

Toth

Toth, der sie laut dem alten Giurescu verflucht haben soll, ist ein ägyptischer Gott der Weisheit und Wissenschaft sowie des Mondes, der auch mit Astrologie und Magie in Verbindung gebracht und dem griechischen Gott Hermes gleichgesetzt wird.

Thessalische Hexen in der Antike

Die Hexen aus der griechischen Landschaft Thessalien werden gelegentlich in den antiken Quellen erwähnt, wo ihnen tatsächlich zugesprochen wird, den Mond auf die Erde herunterholen und in der Gestalt von Vögeln fliegen zu können (vgl. z.B. schol. Apoll. Rhod. 4,59 oder Apul. met. 3,21), wobei es für Hellboy-Schöpfer Mike Mignola vermutlich naheliegend erschien, sie wie Harpyien zu zeichnen, auch wenn wir streng genommen gar nicht wissen, wie Harpyien eigentlich auszusehen haben.

Photo: Michael Kleu
Die Göttin Hekate

Hinsichtlich der Göttin Hekate steht in der Antikenrezeption ganz klar ihre Funktion als Herrin von Geistern und Vermittlerin zwischen der Unterwelt und der oberen Welt im Vordergrund. Auch wird sie gerne mit Hexen in Verbindung gebracht. Dabei ist sie in der Antike ursprünglich keineswegs nur als „böse“ Göttin betrachtet worden, sondern wurde durchaus auch als gutmütige Göttin wahrgenommen.

In der späteren Antike nahm die Herrin der Geister dann auch selbst unheimliche Züge an, die bis heute im Vordergrund stehen, wenn man an Hekate denkt. Ihre Rolle als Geisterherrin ist auch mit ihrer Zuständigkeit für Eingänge, Wegkreuzungen etc. verbunden, da man davon ausging, dass an solchen Orten Geister lebten. Oft wurde Hekate von furchteinflößenden Hunden begleitet, die sinnbildlich mit ihrem Geheule für die Seelen von Toten standen, weshalb ihr auch Hunde als Opfer dargebracht wurden.

Ihre Verbindung zur Geisterwelt könnte damit zusammenhängen, dass Hekate als Göttin der Übergänge eben auch den Übergang zwischen Leben und Tod überwacht. In der Spätantike wird Hekate zur Schutzgöttin der Theurgie und ist im neoplatonischen Weltbild für den Übergang zwischen der materiellen Welt und der ideelen Welt zuständig. Dass Hekate von den Geistern Verstorbener begleitet wird, könnte die griechischen Gesichter und Fratzen erklären, die in ihrem Umfeld im Comic erscheinen.

Gelegentlich wird Hekate auch als Muttergöttin betrachtet. Da sie eine aus Karien (Westküste der heutigen Türkei) importierte Göttin war, gelang es ihr nie, einen festen Platz im griechischen Pantheon zu erhalten, was vielleicht ihre Vielschichtigkeit erklärt.

Der Bezug zu den Gorgonen, zu denen auch die Medusa zählt, ergibt sich aus deren äußerem Erscheinungsbild mit Schlangenhaaren und Fangzähnen. Ebenso dürfte dies der Grund sein, weshalb Hekate zunächst als Lamia vorgestellt wird, die ebenfalls später ein Schlangenhaupt besaß (s.o.). Mormo ist eine weibliche Schreckgestalt für Kinder. Medea ermordete bekanntlich ihre eigenen Kinder, um sich an Jason zu rächen, und wird ebenfalls mit Magie in Verbindung gebracht. Der Mond könnte in Verbindung zu Hekate stehen, da er als eine Verbindung zwischen vergänglicher und unvergänglicher Welt angesehen wurde.

DSC05474
Photo: Michael Kleu
Schlussbetrachtungen

Wie sich zeigt, hat sich Mike Mignola einerseits einige Aspekte aus der griechischen Mythologie herausgegriffen, die er relativ „originalgetreu“ und durchaus auch mit einem gewissen Detailwissen wiedergibt, während er andererseits auch vielerlei Dinge miteinander vermischt, wie Hekate, Lamia, Medea etc., was aber ja grundsätzlich für den Mythos nichts Ungewöhnliches ist.

So kommt es sogar, dass Hekate von den 4 Reitern der Apokalypse spricht, die natürlich der christlichen Überlieferung zugeordnet werden. Aspekte, die sich nicht durch die Antike erklären lassen, dürften späteren Traditionen zu Hekate usw. entstammen, insofern Mignola sie sich nicht selbst ausgedacht hat. Natürlich besteht auch die Möglichkeit, dass er sich teilweise auf weniger geläufige antike Überlieferungen stützt.

Interessant ist wie schon bei der Star Trek-Folge „Who mourns for Adonais?„, dass die jeweiligen Helden Figuren der griechischen Mythologie zwar bekämpfen und letztlich auch besiegen müssen, sie dies letztlich jedoch ein wenig ungern tun, worin sich vielleicht der Respekt der jeweiligen Autorinnen und Autoren vor der Mythologie widerspiegelt.

Literatur

Mike Mignola: Hellboy, Bd. 2: Wake the Devil, Dark Horse Books, 2. Auflage 2003.

Alle Angaben zur griechischen Mythologie entstammen den jeweiligen Artikeln aus „Der Neue Pauly“ (Enzyklopädie der Antike, hrsg. v. Hubert Cancik, Helmuth Schneider und Manfred Landfester).

Michael Kleu

3 Kommentare zu „Hellboy, Hekate und die thessalischen Hexen

Gib deinen ab

  1. Überaus spannend! Da ich mich mit Hekate bisher wenig beschäftigt hatte, gibt mir das auch ein bisschen einen Hintergrund – denn nicht nur in der SciFi, sondern auch immer, wenn es um Hexen geht (Buffy, Charmed), wird Hekate ja inflationär angerufen … 😉

    1. Richtig! Hekate ist überall 😉 Buffy und Charmed muss ich auch noch einbauen. Ich weite meinen Blog auf Horror und Fantasy aus.

  2. Hekate

    Hekate wurde von Hesiod in die griechische Mythologie integriert (Theogonie). Da gibt es sehr viele Merkwürdigkeiten. Hesiod macht aus Hekate eine Art Super-Gottheit („Die Hochverehrte“). Weiterhin gehört Hekate gemäß Hesiod zu den Titanengottheiten. Nach der Titanomachie hatte Zeus alle Titanen unterworfen (also diejenigen, die nicht in den Tartaros verdammt wurden). Als einzige Titanengottheit behielt Hekate ihre Unabhängigkeit.

    Es gibt unterschiedliche Ansätze, wie sich das erklären lässt. Hekate erinnert auch an die christliche Dreifaltigkeit, sie wird nämlich selber „die Dreifaltige“ (Triformis) bezeichnet. Es ist kein Wunder, dass uns Hekate heute an allen Ecken und Kanten (Filme, Videospiele, Romane, etc.) über den Weg läuft -> https://www.mythologie-antike.com/t3-hekate-in-der-griechischen-mythologie

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

* Bitte stimme den Datenschutzbestimmungen zu.

Betrieben von WordPress | Theme: Baskerville 2 von Anders Noren.

Nach oben ↑