Weshalb die Japaner die griechische Antike mögen – Antikenrezeption in Anime und Manga (Gastbeitrag)

Bisher habe ich mich auf diesem Blog primär mit Medien beschäftigt, die im weitesten Sinne dem sogenannten westlichen Kulturkreis zuzurechnen sind und bei denen Antikenbezüge dementsprechend nicht sehr überraschend sind, da die antike Welt eben als eine Grundlage dessen gilt, was wir als westliche Zivilisation bezeichnen. Wie verhält sich dies aber bei anderen Kulturkreisen? Weshalb greifen z.B. japanische Kulturschaffende auf „unsere“ Antike zurück? Werden Elemente der Antike durch Literatur, Hollywood, Computerspiele etc. nach Japan vermittelt, während gleichzeitig Aspekte der japanischen Kultur auf ähnlichem Weg den Westen erreichen? Das ist sicherlich aus vielerlei Hinsicht zutreffend, doch ist der Fall gerade in Bezug auf Japan wesentlich spannender als man spontan meinen sollte, da die Japaner die Antike – besonders die griechische Antike – auf eine Weise vermittelt bekommen haben, die mir bisher vollkommen unbekannt war.

Daher freue ich mich heute den ersten Gastbeitrag auf diesem Blog begrüßen zu dürfen, der sich mit genau dieser Thematik beschäftigt. Der Artikel ist zusammengesetzt aus zwei Texten, die Markus von meinekritiken.com im Oktober und November 2017 veröffentlicht hat und die er mir freundlicherweise auf Nachfrage zur Verfügung stellte, da diese Thematik natürlich wunderbar zur inhaltlichen Ausrichtung meines Projekts passt.

Ein Gastbeitrag bietet sich dabei schon alleine deshalb an, weil ich mich rein gar nicht auskenne, was Manga und Anime angeht. Für den Fall, dass das Teilen der Leserschaft ähnlich gehen sollte, sei kurz angemerkt, dass man außerhalb Japans unter „Manga“ grob gesagt japanische Comics versteht, oder aber Comics, die diesen stilistisch nachempfunden worden sind. In Japan selbst hingegen handelt es sich um eine Bezeichnung für Comics im Allgemeinen. Der Begriff „Anime“bezieht sich dementsprechnd außerhalb Japans auf japanische Trickfilme oder Trickfilme, die diesen stilistisch entsprechen, während das Wort in Japan selbst Trickfilme im Allgemeinen bezeichnet.

Photo: Ariane vom Nerd-mit-Nadel-Blog (Vielen Dank für das Bild!)

Es folgen also nun in redaktionell leicht überarbeiteter Form die beiden Texte, die ich hier zusammengefügt präsentiere, wobei das Photo weiter unten den Übergang vom ersten zum zweiten Teil markiert:

„Den meisten Anime- und Manga-Fans wird sicher aufgefallen sein, wie intensiv in diesen Medien Bezug auf germanische Mythologie und die griechische Antike genommen wird. Das mag zunächst verwundern, hat aber eine lange Tradition und einen klar definierten Ursprung. Schuld daran sind wie immer die Katholische Kirche und die USA. Beginnen wir aber beim Anfang, im Jahre 1543, als die Portugiesen als erste Europäer nach Japan kamen. Wie überall auf der Welt lagen Handelsinteressen im Vordergrund, in deren Schatten die christlichen Missionare kamen. Dieser christliche Glaube war es, der dem Shogunat ein Dorn im Auge war, weshalb sich Japan ab 1635 gegenüber dem Ausland für 200 Jahre vollkommen isolierte. Und diese Missionare waren es, die den Grundstein für die Liebe zum antiken Griechenland legten. Sie benutzten nämlich zum Zwecke der Missionierung die Fabeln des Griechen Aesop. Diese Tiergeschichten hatten einerseits den Zweck, den Einheimischen westliche moralische Werte zu vermitteln, andererseits auch sich gegenseitig Sprache beizubringen. Nach dem späteren Rauswurf der Christen sind die Fabeln jedoch erhalten geblieben, wurden weiter tradiert und regional angepasst.

Zum Beispiel gibt es da die Fabel von den Ameisen und der Zikade. Im antiken Griechenland haben die Ameisen das ganze Jahr Nahrung gesammelt, um den Winter zu überstehen, während die Zikade faul herumlag und am Ende verhungerte. In Japan aber wurde es so umgeändert, dass die Zikade am Ende bei den Ameisen aufgenommen wurde und überlebte. In dieser Zeit der Abschottung waren nur auf einer kleinen Insel Ausländer erlaubt, nämlich in einem kleinen niederländischen Handelsposten. Dorthin kamen viele deutsche Ärzte, die bald großes Ansehen genossen und die Medizin Japans stark beeinflussten. Tatsächlich sind auch heute noch viele medizinische Fachbegriffe dort auf Deutsch in Verwendung.

1853 landeten amerikanische Schiffe in der Bucht von Edo und zwangen Japan, sich wieder international zu öffnen. Japan war aber kein schwaches Land, das sich kolonisieren ließ, im Gegenteil konnte es sich seine Besucher selber auswählen. Dank der oben genannten Ärzte war dann auch Deutschland die erste Adresse für japanische Interessen. Wie es der Zufall nun so wollte, war dies genau jene Zeit, als unter den deutschen Gelehrten sich viele dem Philhellenismus verbunden fühlten. Sie sahen sich als Verteidiger einer großartigen antiken Zivilisation und unterstützen den Freiheitskampf Griechenlands gegen das Osmanische Reich. Diese deutschen Philhellenen gelangten dann nach Japan und sahen sich irgendwie berufen, ihre Liebe zur Antike dort zu verbreiten.

Sehr viel, was die heutige japanische Kultur ausmacht, stammte damals aus Deutschland. Das Schulsystem allgemein basiert auf dem deutschen Gymnasium, die Schuluniform auf dem preußischen Militär. Sogar das japanische Wort für „Arbeit“ – „arubaito“ (kurz: „baito“) – ist eigentlich Deutsch. Es ist auch bezeichnend, dass Altgriechisch sehr bald an höheren Schulen unterrichtet wurde, während Latein erst spät im 20. Jahrhundert nach Japan gelangte. (Das erste Foto eines japanischen Kaisers ist übrigens vom österreichischen Baron Raimund Von Stillfried gemacht worden.)

Darin liegt also der Ursprung für die Liebe zu und die Kenntnis von germanischen und griechischen Mythen, Wörtern und Traditionen. Die konkrete Rezeption in Anime und Manga folgt nun im zweiten Teil.“

Photo: Ariane vom Nerd-mit-Nadel-Blog (Vielen Dank für das Bild!)

„Wie bereits oben ausgeführt, ist die griechische Antike und Mythologie in Japan sehr bekannt und beliebt. Daher möchte ich jetzt diesen zweiten Teil dazu verwenden, um einige Animes und Mangas zu nennen, die darauf zurückgreifen und auch ganz allgemein über diese Verwendung zu sprechen.

Es ist natürlich ein unmögliches Unterfangen, alle Animes und Mangas aufzulisten, da fast in jedem eine Referenz in irgendeiner Form gemacht wird, sei es die griechische Statue als Mordwaffe bei Detective Conan, Herkules als Gegner im Jenseits bei Dragon Ball Z oder antiker griechischer Goldschmuck als Beute bei Lupin III. Dazu kommen auch noch die unzähligen Verwendungen von Namen für irgendwelche Projekte, Strukturen oder Waffen, etwa „Aegis“ bei God Eater oder einfach der inflationär gebrauchte Begriff „Gaia“ – ebenso auch germanische Begriffe wie „Yggdrasil“. Ganz zu schweigen von all den Kreaturen, wie Kentauren, Chimären etc. Dann noch die Verballhornung der griechischen Schrift, gemeinsam mit den germanischen Runen, um eine Atmosphäre der Mystizität zu schaffen. All das findet deshalb statt, weil diese beiden Welten in Japan sehr bekannt sind und daher einen Wiedererkennungswert in sich bergen, aber dennoch fern und fremd genug, um exotisch, mystisch, fantastisch zu wirken.

Die bekannteste Serie ist sicherlich Saint Seiya, wo jeder Charakter der griechischen Mythologie entspringt und die ganze Hintergrundgeschichte darauf basiert. Am Ende wird dort sogar noch die germanische Mythologie eingebaut. Eine andere Serie, bei der der Einfluss der griechischen Mythologie an allen Ecken und Enden zu erkennen ist, wäre Sailormoon. Man erkennt vor allem an den Namen, wo sich die Autorin hat inspirieren lassen, etwa die Katze Artemis oder Prinz Endymion, aber auch die Gegner können teilweise von dort hergeleitet werden, zusätzlich zur Optik des Königreichs auf dem Mond.

Campione! Matsurowanu Kamigami to Kamigoroshi no Maou ist eine Serie, in welcher der Hauptcharakter nach Sizilien und später durch sämtliche Mittelmeerländer reist und dabei auf alle möglichen Götter und Kreaturen der griechischen Antike trifft. Auch in der aktuellen Serie Danmachi (oder Is It Wrong to Try to Pick Up Girls in a Dungeon?) spielen griechische Götter, allen voran Hestia, und Kreaturen eine zentrale Rolle.

Man sieht, der Varianz und Kreativität, mit der die griechische Antike in Anime und Manga aufbereitet wird, kennt keine Grenzen. So mancher moderner konservative Philhellene wird vielleicht den Kopf schütteln, wenn seine ach so geliebte Kultur derart recycelt wird, aber machen Filmemacher in Hollywood und Fantasy-Autoren nicht dasselbe? Ich jedenfalls freue mich immer wieder, wenn ich diese Elemente sehe und erkenne. Denn auch die Griechen haben viel recycelt und ihrem Zeitgeist angepasst, aber das ist eine andere Diskussion.“

Zum Abschluss noch einmal die Links zu den Originalbeiträgen, für die ich mich sehr bedanke:

https://meinekritiken.com/2017/10/18/gedankensprung-antikenrezeption-in-anime-und-manga-i-historische-wurzeln-in-deutschland/

https://meinekritiken.com/2017/11/08/gedankensprung-antikenrezeption-in-anime-und-manga-ii/

Und noch etwas weiterführende Literatur, die der Autor des Textes empfiehlt:

Ancient Greece in Present Japan, Mariko Sakurai, Emeritus Professor at the University of Tokyo, Japan (PowerpointPräsentation)

„Meine Forschung“: Ein griechischer Autor „big in Japan“ (Vorstellung eines Promotionsprojekts)

Manga Greece Shinwa (besonders einschlägiges Manga zum Thema)

Tsuzoku Isoppu monogatari 通俗伊蘇譜物語.A Popular Version of Aesop’s Fables. (Online-Sammlung des British Museum)

Germanismen in der japanischen Sprache (Wikipedia)

A Career of Japan. Baron Raimund von Stillfried and Early Yokohama Photography

Manfred Pohl: Japan (Vorstellung der Geschichte des Landes in der Beckschen Reihe)

GastautorIn

7 Kommentare zu „Weshalb die Japaner die griechische Antike mögen – Antikenrezeption in Anime und Manga (Gastbeitrag)

Gib deinen ab

  1. Naja, dazu sollte man vielleicht Erwähnen, dass die Antike, besonders die Überlieferungen dieser Zeit voller Helden und deren Taten steht, die vermutlich auch noch die nächsten 4000 Jahre Einfluss auf die Menschen haben wird. Egal ob Japaner, Chinese oder Europäer, die Heronen sind einfach Teil der Menschheit und das hat weniger mit der Kultur zu tun, als viel mehr mit dem was sie Darstellen. 😉

    1. Es geht in dem Artikel um die Frage, weshalb die Kultur X Elemente der Kultur Y anderen Elementen weiterer Kulturen gegenüber vorzieht.

      Die Antike hat ja historisch gesehen nicht das Geringste mit Japan zu tun, sodass sich die Frage stellt, woher das oben geschilderte besondere Interesse stammt. Man könnte sich ja auch für mesoamerikanische Mythen begeistern. Die Rolle Äsops belegt außerdem, dass es nicht einfach an einer allgemeinen Begeisterung für Heldengeschichten liegen kann. Äsop hat Tierfabeln verfasst. Es handelt sich hier also um ein wesentlich tiefergehendes Phänomen, was es umso spannender macht 😉

      1. Nicht wirklich. Griechische und Nordische Mythen gehören zu den am besten überlieferten, antiken Geschichten. Kaum jemand kenn die alten, ägyptischen Geschichte. Teils auch, weil die Überlieferung mehr als nur mangelhaft sind.

        Hinzu kommt, dass diese beiden alten Kulturen auch viele parallelen zu der japanischen Antike haben. Sie vereinen, aus japanischer Sicht, viele Werte der alten Samurai mit der Exotik eines fremden Landes. Ich würde sagen, damit haben sie den Nagel auf den Kopf getroffen, als sie westliche Geschichten übernommen haben.

        Spannend ist auf alle Fälle, ich sehe es nur weniger Rätselhaft als man glauben möchte 🐾🐱

        1. Wir verwenden den Begriff „Antike“ offensichtlich sehr unterschiedliche, aber das ist jetzt mal egal, weil ich an Deinem Kommentar etwas anderes spannend finde:

          Wir Althistoriker gehen in der Regel davon aus, dass nur etwa 1% der literarischen Zeugnisse der (griechisch-römischen) Antike erhalten sind, worüber wir natürlich gerne klagen, weil das ja letztlich nicht so sonderlich viel ist 😉 Von diesen literarischen Quellen widmet sich natürlich nur wiederum ein kleiner Teil den Mythen usw.

          (Die nordische Mythologie klammere ich hier aus, weil ich da als Althistoriker nicht so sonderlich viel zu sagen kann. Ich würde diese was ihre schriftlichen Zeugnisse angeht – abgesehen von den Berichten des Tacitus und des Prokop – eher ins Mittelalter einordnen.)

          Durch Deinen Kommentar angeregt stelle ich mir jetzt die Frage, wie unsere Zeugnisse zur griechisch-römischen Mythologie quantitativ zu bewerten sind im Vergleich zu denen anderer Epochen, Kulturen etc. (Altorientalistik, Ägyptologie, Keltologie, Altamerikanistik etc.).

          Es könnte schon sein, dass wir da im Vergleich tatsächlich gar nicht so schlecht dran sind. (Bei der Ägyptologie sieht es, glaube ich, etwas weniger schlecht aus, als Du meinst.)

          Da habe ich mir noch nie Gedanken drüber gemacht, werde ich aber jetzt tun 😉

  2. Mir würden tatsächlich noch weitere Beispiele einfallen, Ragnarök zum Beispiel (Die Götter – hier quer durch alle Pantheen vertreten – beschließen gemeinsam die Menschheit auszulöschen und die Walküren, als ehemalige Menschen schlagen einen Deal vor: Wenn die Menschen in der Lage sind, die Götter zu besiegen, behalten sie das Recht weiter zu existieren: Dies führt dazu, dass berühmte Krieger der Menschheitsgeschichte gegen verschiedene Götter antreten und teilweise gewinnen.)
    Bezüglich der wenigen Prozente überlieferter griechischer und römischer Quellen: Alle Historiker neigen dazu in dieser Hinsicht gelegentlich zu jammern, aber man muss auch bedenken, dass all die wunderbaren Quellen, angenommen sie wären noch vorhanden, unglaublich viel Platz okkupieren würden und ein Großteil vermutlich kaum genutzt würde. Einer der Gründe für archivische Bewertung. Es gibt nur einen begrenzten Platz und begrenzte Kapazitäten zur Bestandserhaltung. (Und wer hätte schon die Zeit sie alle zu lesen und in ihrer Gesamtheit zu erfassen?😉)
    Was mythologische Überlieferungsbildung angeht, habe ich immer das Gefühl, dass es von verschiedenen Faktoren abhängt, wie viel bis heute überdauert hat. Kulturen mit einer ausgeprägten Schriftlichkeit haben bessere Chancen, dass zumindest ihre Geschichten überdauern. Andererseits spielen die Datenträger, also Beschreibstoffe eine wichtige Rolle. Stein ist unglaublich langlebig, selbiges gilt bei korrekter Lagerung auch für Tontafeln, aber Papier und Papyrus sind teilweise anfällig für Schimmel oder Schädlingsbefall.

    1. Das Schlimme ist ja, dass wir in vielen Fällen ziemlich konkrete Vorstellungen davon haben, was das für Werke waren, die uns verlorengegangen sind. Da bleibe ich dann doch mit voller Überzeugung im Jammermodus 😉

      Klar, die Überlieferung hängt von zahlreichen Faktoren ab, u.a. den von Dir genannten.

      Auf was beziehst Du Dein Beispiel mit Ragnarök? Das kann ich jetzt gerade nicht einordnen.

      Viele Grüße!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

* Bitte stimme den Datenschutzbestimmungen zu.

Betrieben von WordPress | Theme: Baskerville 2 von Anders Noren.

Nach oben ↑